Ob ihr Laden nicht ein bisserl weit vom Schuss liegt? Elisa und Ed Kramer schauen erstaunt. Und schütteln dann die Köpfe: Nur weil die verwöhnte Wiener Klientel alles außerhalb des Gürtels für "weit weg" hält, sei das noch lange nicht so, meint Ed Kramer. "Wir haben Kunden, die reisen eigens aus Bratislava oder Budapest an." Außerdem sei man ja genau dort, wo man hingehöre. Auf dem Spielplatz. Respektive gleich daneben: "Unmittelbar vor dem Shop ist der Liesingbach. Ein kleiner Park. Der Wien-Rundumadum-Weg führt hier vorbei. Und der Wienerwald ist gleich vor der Tür", sagen die Kramers – und fragen dann: "Wo, wenn nicht hier, sollen Trail-Läuferinnen und -Läufer ausprobieren, was sie kaufen wollen? Auf dem Stephansplatz?"

Foto: Thomas Rottenberg

Das hat was. Ganz abgesehen von den Mieten: Hier in Liesing ist es für Menschen, die sich einen Traum erfüllen wollen, allemal erschwinglicher, Läden zu eröffnen als in einer angesagten Hochfrequenzlage. Noch dazu, wenn man ohnehin nicht auf Laufkundschaft schielt – vorausgesetzt, man übersetzt "Lauf" in diesem Fall anders. Mit "Zufall" nämlich – denn eines ist der Shop der Kramers ganz bestimmt: ein Laufshop nämlich.

"Traildog Running" heißt das 80 m2 große Geschäft, in dem die Theaterwissenschafterin und Modedesignerin Elisa und ihr 52-jähriger Mann Ed, der eigentlich Restaurator und Zahntechniker ist, seit August 2016 Herzblut, Energie und Ersparnisse, statt wie in den vergangenen 15 Jahren Ferienwohnungen in Wien zu vermieten (lange vor Airbnb, aber das wäre eine ganz andere Geschichte), einsetzen: im ersten rein auf Trailrunning spezialisierten Laufshop im Wiener Einzugsraum.

Die Zeit, erkannten die Kramers, war schlicht und einfach reif dafür: Die Mutation der Eybl-Kette zu den für gezielt nach Beratung und Qualität suchenden Sportartikelkäufern komplett unbrauchbaren Sports-Direct-Filialen hatte – das ist hinlänglich beschrieben – in ganz Österreich die Stunde der Spezialisten eingeläutet. Nicht nur, aber auch beim Laufen: Hier haben mit dem "WeMove Runningstore" und "RunInc" zuletzt zwei Shops den Markt spürbar erfrischt und belebt, allerdings mit deutlichem Fokus auf jenen Markt, der immer noch das Gros der Läuferinnen und Läufer darstellt: Straßenläufer.

Foto: Thomas Rottenberg

Doch auch wenn sich drei von vier Läufern (noch) nicht auf Trails wagen, ist das mit dem Geländelaufen ein bisserl wie mit dem Freeriden und dem Tiefschnee: Man fährt auf der Piste, schielt aber neidig in den Powder, auf die Freiheit und Leichtigkeit abseits der bevölkerten Trampelpfade – und bemerkt erst, wenn man den Schritt dann doch wagt, dass die Leichtigkeit hart erarbeitet werden will und dass die Geschichte mit der Abgeschiedenheit und dem Entrischen im Backcountry so schon längst nicht mehr stimmt: Da wuselt es ganz gewaltig. Auch, weil "Trail" – analog zum Geländeskifahren – ja nicht nur jenes spektakuläre Ding ist, das man dann in Videoclips oder Magazinen sieht, sondern jede Form des Laufens, bei dem der asphaltierte/befestigte Streckenanteil weniger als 20 Prozent ausmacht. So lautet jedenfalls die "amtliche" Definition.

Foto: Thomas Rottenberg

Wobei die Definition eigentlich egal ist. "Wir laufen einfach lieber im Wald", erklären die Kramers. Und über die Jahre – "eigentlich Jahrzehnte" – hat sich vor allem Ed Kramer auf der Suche nach dem richtigen Laufschuh nicht nur enormes Fachwissen, sondern ein noch enormeres Schuhdepot angeeignet. "Wenn du fragst, ob man Ed die ‚Imelda Marcos der Laufschuhe‘ nennen kann, werde ich jetzt diplomatisch schweigen", lacht Elisa Kramer – stimmt aber in der Sache ihrem Mann zu, wenn der betont, dass "der richtige Laufschuh nie die einzige Antwort, aber fast immer ein wichtiger Teil der Lösung ist, wenn es beim Laufen nicht klappt."

Das gelte auf der Straße genauso wie im Wald. Doch während es für den großen Markt gute und funktionierende "Lösungshelfer" gab, lag dort, wo die Kramers unterwegs waren und sind, ein weites und weitgehend unbestelltes Feld – obwohl die Szene auch hier längst existierte. Und wuchs.

Foto: www.traildog.at

Eins und eins zusammenzuzählen, war dann der erste Schritt. Der Sprung ins kalte Wasser der zweite. Aber "es läuft gut", sind die Kramers optimistisch. Zum einen, weil sie sich auf Marken spezialisiert haben, die man zwar in Trail-Hochburgen wie Chamonix in jedem Shop an jeder Ecke findet – die in Wien aber durchaus noch Exotenstatus haben. Nike, Asics und Co sucht man hier dafür vergeblich: Mit "more of the same" füllt man eine Nische nicht – man verstopft sie.

Zum anderen, weil die Kramers keine Ware in ihren Shop lassen, die sie nicht selbst auch verwenden würden: Glaubwürdigkeit ist das Um und Auf. Und Kompetenz. "Viele Leute kommen zu uns mit einer bestimmten Vorstellung – und gehen mit einem ganz anderen Schuh aus dem Shop. Oft auch mit ein paar Übungen." Manchmal auch nur mit Übungen – und ohne Geld ausgegeben zu haben. Kramers sehen das entspannt: "Diese Leute kommen wieder."

Andererseits gibt es auch jene Kunden, die nur an Kramers Expertise interessiert sind, aber vor Ort nie Ware gegen Geld tauschen wollen: "Servicediebstahl ist ein echtes Thema. Wenn sich jemand ausführlich beraten lässt und dann fragt ‚darf ich nur rasch ein Foto machen?‘, ist eh alles klar." Vor allem bei Tech-Gadgets sei das mühsam – wobei jene Klientel, die sich eigens auf den Weg nach Liesing macht, meist Wert und Wertigkeit von Beratung richtig einzuordnen wisse: Manchmal schützt die Non-Premium-Lage eben auch.

Foto: Thomas Rottenberg

Das gleiche Konzept von Hochwertigkeit, Glaubwürdigkeit und womöglich Nachhaltigkeit verfolgen die Kramers auch bei allem, was dann eben auch zum Laufen gehört. Egal ob in der Stadt, im Park oder im Gelände: Textilien, Rucksäcke, Lampen, was auch immer. "Wir mögen Dinge, die länger als eine Saison halten", erklären die Kramers, wie sich Nachhaltigkeit mit eher kunstfaserlastigen Hightech-Funktionsfasern in Einklang bringen lässt – und Elisa Kramer zieht zwischen dem, was Modedesigner im Fokus haben, und dem, was sie und ihr Mann im Shop anpreisen und für gut befinden, eine strenge Trennlinie: "Design hat hier für mich eine untergeordnete Funktion. Es geht um Funktionalität, Leistung und auch Haltbarkeit. Das ist im Sinne der Umsatzmaximierung vielleicht nicht schlau – aber es geht auch darum, Haltung zu zeigen."

Ganz so wurscht, wie der Hardcore-Händler-Approach es suggeriere, seien Design, Farben und Style heute aber natürlich längst nicht mehr, räumt Elisa Kramer ein. Und – ja, auch wenn das ein Klischee bedient – "es ist ganz klar so, dass Frauen mehr auf Stil und Style schauen. Auch beim Laufen."

Foto: Thomas Rottenberg

Eine spannende Nische, die imagemäßig nahe beim "puristischen" und "reduzierten" Trail (obwohl das auch eher Klischee und Stadtbewohnertraum denn Wirklichkeit ist) ist auch das Barfuß- und Minimalschuhlaufen: Kramers Angebot in diesem Segment dürfte da zumindest in Ostösterreich seinesgleichen vergeblich suchen. Das erklärt jedenfalls einer, der es wissen muss – der Barfußlaufmissionar Christian Decker. Wobei es ja fast schon einen ironischen Unterton hat, wenn in einem Blog mit dem Titel "Wozu Laufschuhe" ein Laufschuhshop wärmstens empfohlen wird … ;-)

Foto: Thomas Rottenberg

Nur eines können die Kramers nicht bieten: Hundelaufausrüstung.

Wanja, der siebenjährige Familienlabrador, war zwar maßgeblich an der Namensfindung und -gebung von "Traildog Running" beteiligt und fungiert – wenn man ihn lässt – als begeistert-freundlicher Begrüßer jedes Kunden und jeder Kundin. Weil aber nicht jeder draufsteht, von 35 Kilo Hund willkommen geheißen zu werden, muss Wanja den Tag im Shop meist backstage verbringen – hinter einem Kindergatter in der Tür. Außer es ist unmissverständlich klar, dass Kunde und Hund einander mögen.

Doch Wanja sorgt hin und wieder auch für Missverständnisse in die andere Richtung: Immer wieder stehen Leute bei den Kramers im Geschäft, die eigentlich nach Ausrüstung und Informationen rund um das Thema "Canicross", also "laufen mit Hunden", suchen. Und bei aller Liebe für Nischen und Subnischen ziehen die Trailer von Liesing dann hier eine Grenze: "Sorry, aber das ist nicht unser Ding. Das wäre uns einfach zu speziell." Pause. "Obwohl: Spannend wäre es schon …" (Thomas Rottenberg, 01.02.2017)

Traildog Running

Breitenfurter Straße 378 A / 2 / 30, 1230 Wien

Telefon: 0699/18 02 17 11

Ab dem Frühjahr werden Elisa und Ed Kramer auch Laufworkshops und Lauftreffs anbieten.

www.traildog.at

Foto: www.traildog.at