Inklusion erfordert unpopuläre Maßnahmen wie Standortflexibilität des Personals oder die Gleichstellung aller Lehrerinnen und Lehrer im Dienstrecht.

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Bildungsministerin Sonja Hammerschmid hat sich mit einigem Wenn und Aber für die Abschaffung der Sonderschulen ausgesprochen, die Pflichtschullehrer-Gewerkschaft ist strikt dagegen, und Familienministerin Sophie Karmasin folgt deren Argumentation. Im jüngsten Regierungsprogramm scheint das Thema erst gar nicht mehr auf. Österreich ist in seiner Entwicklung stehen geblieben.

Dabei forderte Unterrichtsminister Rudolf Scholten schon 1992 die Abkehr von gesonderten Bildungseinrichtungen in Richtung einer Schule für alle Kinder, unterstützt von der damaligen Familienministerin Maria Rauch-Kallat. Die Entwicklung solle nicht einem freien Spiel der Kräfte überlassen werden, so Scholten in einer Grundsatzerklärung zur integrierten Schule: "Die Situation erfordert, dass das Unterrichtsministerium die weitere Entwicklung nicht nur dem 'freien Spiel der freien Kräfte' überlässt ... In Abkehr von der bisher verfolgten Zielsetzung, in gesonderten Bildungseinrichtungen die beste mögliche Schule für behinderte Kinder zu entwickeln, sieht das Unterrichtsministerium die Entwicklung der Schule zu einer Schule unter Einschluss aller Kinder als zentrale Notwendigkeit zur Wahrung des Wohles behinderter wie nichtbehinderter Kinder."

Tal-und-Berg-Fahrt

Ministerin Elisabeth Gehrer deutete in ihrer Amtszeit Integration in Richtung eines Ergänzungsmodells um, es sollte eine Verdoppelung der Systeme ermöglicht werden. Mit den bekannten Folgen: Sowohl Sonderschulklassen als auch integrative/inklusive Klassen wurden gefördert. Die Zuschreibung "Sonderpädagogischer Förderbedarf" erhöhte sich enorm, die Anzahl von Kindern in Sonderschulen verkleinerte sich bis zur Jahrtausendwende, erhöhte sich danach bis zum Jahr 2014/15 wieder auf einen Wert, der inzwischen wieder ähnlich hoch ist wie im Jahr 1991.

Eine erstaunliche Tal-und-Berg-Fahrt und Systemstabilisierung von aussondernden Schulbedingungen. Dieser Trend ist auch durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention nicht gebrochen worden. Die schulsysteminterne und individualisierende Steuerung der Definition der eigenen Klientel ("sonderpädagogischer Förderbedarf") stabilisiert das Doppelsystem und weitet es aus. Diese Dynamik wirkt weiter, die beschlossene Schulautonomie kann diesen Trend noch verstärken.

Fehlende Umverteilung

Nicht die Kosten, sondern fehlende Umverteilung sind das entscheidende Problem. Elterninitiativen haben die Integration in den 1990er-Jahren entscheidend angetrieben, nun werden sie alleine gelassen und in eine unmögliche Entscheidungssituation getrieben. Das Hauptproblem ist: Es mangelt an weitreichender und effizienter klassen- und schulinterner Unterstützung und Fortbildung in Richtung Inklusion. Und: Inklusion erfordert standespolitisch unpopuläre Standortflexibilität des Personals sowie eine Gleichstellung aller Lehrerinnen und Lehrer im Dienstrecht. Im Dreieck der Interessen von Bund, Ländern und Interessenvertretungen haben Grundrechte – wie die in der UN-Behindertenrechtskonvention formulierten Rechte – wenig Umsetzungschancen.

Es wird vermutlich weiterhin lokalen Entwicklungen und lokalen Rebellen überlassen bleiben, eine inklusive Schulentwicklung voranzutreiben. Alles andere wäre ein österreichisches Wunder. Ein kleines Wunder ist es schon, dass Ministerin Hammerschmid mit Skandinavien argumentiert und Südtirol besucht hat. In Italien sind seit 1977 alle Sonderschulen abgeschafft, das deutschsprachige Südtirol erreicht unter diesen Bedingungen entscheidend bessere Pisa-Werte als Österreich. Die empirische Forschung ist ohnehin weitgehend aufseiten der Inklusion. (Volker Schönwiese, 1.2.2017)