Labour-Chef Jeremy Corbyn hat für die Abstimmung über den Brexit den Fraktionszwang ausgerufen: Es muss im Sinne der Regierung und des Referendums für den EU-Austritt votiert werden.

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London – Nur einen Satz lang ist der Gesetzesentwurf – aber die Änderungsanträge, die die Opposition einzubringen versucht, füllen 30 Seiten. Am Dienstag hatten die Abgeordneten des britischen Unterhauses erstmals die Gelegenheit, sich über das Gesetz zu streiten, das Premierministerin Theresa May die Autorität verleihen soll, den Ausstieg aus der Europäischen Union zu initiieren.

In Rekordzeit, bis zum 9. Februar, soll das Gesetz in zweiter und dritter Lesung passiert sein. Und die Regierung hat dafür die Mehrheit. Selbst überzeugte EU-Freunde unter den Abgeordneten werden es nicht wagen, gegen das Gesetz und damit gegen den im Referendum erklärten Volkswillen zu stimmen. Änderungsanträge, die vom Mitspracherecht für die schottische Regionalregierung bis zum Bleiberecht für EU-Ausländer im Land reichen, dürften von den mit absoluter Mehrheit regierenden Konservativen abgeschmettert werden.

Labour-Fraktionszwang

Oppositionschef Jeremy Corbyn hat für Labour den Fraktionszwang ausgerufen, für das Gesetz zu stimmen. Das hat unter anderem zum Rücktritt von Mitgliedern seines Schattenkabinetts geführt. Aber die Mehrheit der Labour-Abgeordneten werden zähneknirschend May unterstützen. Allenfalls eine Aufweichung ihres harten Brexit-Kurses werden sie versuchen.

Auf mehr Widerstand könnte der Gesetzesentwurf im Oberhaus stoßen, wenn die Lords ab dem 20. Februar darüber beraten. Denn dort hat die Regierung keine Mehrheit, dort verfügen die Liberaldemokraten über 102 Mandatare. Sie vertreten die Parteilinie, ein zweites Referendum abzuhalten. Wenn man zusammen mit Labour-Peers und unabhängigen Lords eine Allianz schmieden kann, wäre es möglich, das Brexit-Gesetz mit Änderungen zu versehen und zurück an die "Commons" zu schicken. Dann begänne ein Pingpong-Spiel zwischen Unterhaus und Oberhaus – und Theresa Mays Zeitplan wäre ernsthaft in Gefahr.

"Spätestens Ende März" will May den Brexit-Startschuss geben. Sie erwartet vom Oberhaus, dass das Gesetz bis zum 7. März verabschiedet ist. Das lässt, spekulierte die Times, darauf schließen, dass die Premierministerin schon zwei Tage später, wenn der EU-Gipfel in Malta beginnt, formell den Austrittsartikel 50 anruft. Bis zum Ende des Monats zu warten wäre wenig delikat: Am 25. März begeht die EU ihren 60. Geburtstag, und da wäre es doch äußerst unpassend, die Feiern mit dem Scheidungsbescheid zu stören. (Jochen Wittmann aus London, 31.1.2017)