"Schön, dass ihr da seid" – Mari (Kirsten Dene) begrüßt bei "Ein europäisches Abendmahl" im Akademietheater.

Foto: Georg Soulek / Burgtheater

Wien – Gott hat Marusja ins Glück geleitet "wie Sputnik 2", sagt sie. Mit ihrem kleinen Sohn ist die wohlgemute Frau (toll: Maria Happel) einst aus Russland geflohen, um im Westen ein schönes Leben aufzubauen. Dafür hat sie so komplizierte deutsche Wörter gelernt wie "Elektrizitätswirtschaftsorganisationsgesetz". All ihre Mühen haben allerdings nichts gebracht, konstatiert sie jetzt. Sie habe ihre Hände ein Berufsleben lang gewiss nicht dafür wundgescheuert, um jetzt in einem Flüchtlingsheim den "Hammelfleischfressern" hinterherzuwischen.

Nino Haratischwilis Marusja-Monolog ist einer von fünf im Auftrag des Burgtheaters entstandenen Texten, die von Zuwanderung und Ökonomie, Fremdenangst, Armut und Gleichgültigkeit in Europa handeln. Unter dem Titel Ein europäisches Abendmahl feierten sie hintereinander aufgefädelt am Freitag Uraufführung im Akademietheater.

Da der Kanon der Theaterliteratur von männlichen Sichtweisen und Interessen durchdrungen ist, ist es ein begrüßenswerter Ansatz, gezielt Frauenstimmen ins Theater zu holen. Ein europäisches Abendmahl implementiert ein weibliches Narrativ: Die Autorinnen – weiters Terézia Mora, Elfriede Jelinek, Sofi Oksanen und Jenny Erpenbeck – gewähren Frauen schlichtweg Redezeit. Und Marusja hat viel zu erzählen, sie vertritt jene unzähligen billigen weiblichen Arbeitskräfte auf dem Reinigungssektor, die ihre weiter östlich in Europa wohnhaften Familien vielleicht sogar noch finanziell bezuschussen. Und die sich nun durch neue Migrationswellen um das wenige bedroht fühlen.

Zeus entführt Europa

Mari, eine pensionierte, ebenfalls aus dem Osten stammende und im Westen heimisch gewordene Weltenbummlerin – aber mit besserer Gehaltsstufe -, lässt in ihrem freundlichen Monolog eine abgeklärte Gleichgültigkeit spüren. Die Bettler am Supermarkteingang nimmt sie aus dem Augenwinkel ihrer abgesicherten Existenz vorwiegend als kurios wahr, ihr Konversationspartner Hamid, ein junger, hoffnungsfroher Syrer, nervt sie, kaum dass er neugieriger wird.

In das Reihum der Be- und Erkenntnisreden mischt sich Elfriede Jelineks Frau aus Österreich wie eine Stimme aus dem Off. Ein Minichor (im Duo: Sylvie Rohrer mit Jelinek-Schminke, Frieda-Lovisa Hamann) lässt die mit dem Mythos – Zeus entführt als Stier verkleidet die von ihm begehrte Europa – abgemischten Szenen aus der Flüchtlingsrealität versprachlicht durch den Raum schwirren. Dass die beiden Nichtpersonen kopfüber im schwarzen Kiesel verschwinden, ist in Barbara Freys einfallsloser Regie nur schlüssig.

Der Schweizer Regisseurin war vor allem daran gelegen, Sitzgelegenheiten für ihre Schauspielerinnen bereitzustellen. Sie alle nehmen eine nach der anderen in der von Martin Zehetgruber gebauten verwitterten Herrschaftsruine auf einem der noch nicht vom hereingewehten Kiesel verschütteten Stühle Platz. Für diese Eintönigkeit entschädigen einige Monologpassagen.

Offenbar war es nicht möglich, die unabhängig voneinander entstandenen, fallweise disparaten Texte zu mehr als zu einer Nummerndramaturgie zusammenzuschließen. Wobei Frey durchaus Striche gewagt hatte (z. B. bei Erpenbeck). Das Abendmahl-Schlussbild deutet die Möglichkeit des Zusammen nur an. (Margarete Affenzeller, 29.1.2017)