Moussa Al-Hassan Diaw promovierte in Osnabrück zum Thema "Muslimischer Zelotismus und politischer Salafismus".

Foto: Robert Newald

Als Folge der Razzien mit 14 Festnahmen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung könnten manche Salafisten die Festgenommenen als eine Art Märtyrer verehren, sagt Religionspädagoge und Islamismus-Forscher Moussa Al-Hassan Diaw, Mitglied des Vereins Derad. Derad ist ein Netzwerk, das im Auftrag des Justizministeriums in österreichischen Gefängnissen gegen Extremismus im Einsatz ist. DER STANDARD erreichte den Religionspädagogen, der Österreich im internationalen Vergleich in Sachen Prävention vor Radikalisierung gut dastehen sieht, am Freitag per E-Mail.

STANDARD: Nach den Razzien in Wien und Graz mit 14 Festnahmen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung hieß es von Sicherheitsdirektor Konrad Kogler, die Betreffenden hätten vorgehabt, parallele Strukturen in Österreich aufzubauen. Was sind nach Ihren Kenntnissen die Ziele der Salafisten-Szene in Österreich?

Diaw: Es gibt nicht nur eine Szene, sondern es sind verschiedene Persönlichkeiten, die früher teilweise befreundet waren und dann in ein Konkurrenzverhältnis getreten sind. Da hat der eine den anderen das rechte ideologische und religiöse Verständnis abgesprochen. Gleichzeitig haben sie alle anderen Moscheegemeinden manchmal zu Nichtmuslimen erklärt, wo das Gebet nicht gültig sei.

STANDARD: Als wie stark beurteilen Sie den Schlag der Polizei gegen dieses Netzwerk?

Diaw: Die Polizeiaktion und die der Justiz hinterlassen natürlich ihre Wirkung, weil Personen, die bestimmte Ideen vertreten haben, jetzt nicht mehr erreichbar sind. Zurück bleiben Anhänger, die vielleicht die Personen zusätzlich als eine Form von Märtyrern wahrnehmen.

STANDARD: Die Salafistenszene wird Berichten zufolge jünger und konzentriert sich mehr auf die Rekrutierung von Frauen. Welche Beobachtungen machen Sie dazu?

Diaw: Wir haben sehr junge Menschen in Betreuung gehabt in den Justizanstalten, und wir betreuen auch außerhalb der Justizanstalten sehr junge Leute, das ist nicht neu. Vieles können Außenstehende in den sozialen Netzwerken nachvollziehen.

STANDARD: Der Innenminister sieht eine Verstärkung der Überwachungsmaßnahmen vor. Inwieweit lässt sich die Szene beziehungsweise die Radikalisierung Einzelner zu Jihadisten Ihrer Meinung nach durch Überwachung kontrollieren?

Diaw: Sie ist ein notwendiger Teil der Maßnahmen. Nachher würde es heißen, warum hat die Exekutive das nicht gemerkt? Notwendig sind aber auch flankierende Maßnahmen aus dem Bereich soziale Arbeit, Workshops in Schulen, Extremismusprävention und sogenannte Deradikalisierung.

STANDARD: Wie kann man wegen Terrorverdachts Inhaftierte deradikalisieren?

Diaw: Es handelt sich um unterschiedliche Persönlichkeiten, und daher braucht es unterschiedlichen Zugänge. Es braucht die Zusammenarbeit mit den Fachdiensten, welche fix in den Gefängnissen täglich tätig sind, und Betreuungsmaßnahmen wie den unseren (vom Verein Derad – einem Netzwerk gegen Radikalisierung in Haftanstalten, Anm.), weil wir konkret die Weltanschauung, Ideologie und religiöse Überzeugungen gemeinsam reflektieren. Die Klienten kommen oft auch mit ihren persönlichen Anliegen und Bedürfnissen zu uns, welche sie zusätzlich besprechen wollen. Das hilft dabei, die Gesprächsbasis zu stärken.

STANDARD: Was wäre in Sachen Prävention in Österreich wünschenswert?

Diaw: Österreich steht in Europa sehr gut da. Andere Länder sind noch nicht dort, wo Österreich jetzt ist. Die Zusammenarbeit und Koordination der einzelnen Stellen, die jetzt in Angriff genommen wird, ist wichtig. Hilfreich wären weniger Animositäten, weniger politisches Hickhack und weniger Suchen nach Problemen, um Vorwürfe zu konstruieren.

STANDARD: Sollten die nun Festgenommenen in Haft kommen, droht im Gefängnis weitere Radikalisierung?

Diaw: Natürlich, daher bitten Anstalten, die entsprechende Beobachtungen machen, auch um Abklärungsgespräche. Die Justizanstalten sind diesbezüglich sehr aufmerksam. Durch den Kontakt mit Personen in Justizanstalten ist es in der Vergangenheit schon dazu gekommen. Sozialarbeiter, der psychologische Dienst und die Justizbeamten sind vor Ort und merken Auffälligkeiten. Auch der Verfassungsschutz kommt zum Einsatz, der hier die größte Kompetenz besitzt. Es wird auch aufgepasst, wer mit wem welche Kontakte hat oder wie diese vermieden werden können.

STANDARD: War Ihnen der kürzlich in Wien verhaftete 17-jährige Terrorverdächtige bekannt?

Diaw: Nein, davor nicht. Er war, wie kolportiert, in Haft. Kontakte mit bestimmten einflussnehmenden Inhalten und Personen kamen später über das Internet und persönlich außerhalb der Justizanstalt zustande, wie teilweise kolportiert wurde. (Gudrun Springer, 27.1.2017)