Alexander Schauer: "All die Mauern und Stangen üben ihren Reiz aus, es ist schwierig abzuschalten."

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Wien – Der 21-jährige Alex Schauer fliegt förmlich durch die Hauptstadt. Freerunning ist des Wieners Sache. Wo anderen schwindlig wird, setzt er zum Sprung an. Das Zuschauen fällt dabei nicht immer leicht. Ein Gespräch über Angst, Kontrolle und den Reiz des urbanen Settings.

Standard: Eine Frage liegt quasi auf der Hand: Haben Sie völlig den Verstand verloren?

Schauer: Ja, möglicherweise. Man muss ein bisschen außerhalb der Box denken. Wem würde einfallen, dass man auf der Thurnstiege in Wien von einer Stange zur anderen springen kann? Für mich ist es ganz offensichtlich.

Standard: Was spielt sich in Ihrem Kopf ab, wenn Sie so eine Stiege sehen?

Schauer: Wenn ich dort oben stehe und hinunterblicke, sehe ich nur Stangen und Routen. Wenn man intensiv trainiert, bekommt man mit der Zeit ein Auge für das Mögliche. Dann sieht man Dinge, die andere nicht sehen. Man hat einen eigenen Blick auf die Umgebung.

Die Thurnstiege in Wien-Alsergrund im Eiltempo.

Standard: Können Sie noch durch die Stadt bummeln, ohne an den nächsten Stunt zu denken?

Schauer: Nein, das geht fast nicht. All die Mauern und Stangen üben ihren Reiz aus, es ist schwierig abzuschalten. Was könnte ich wo machen? Wie könnte ich es anlegen? Diese Fragen geistern ständig durch meinen Kopf.

Standard: Ist Wien in dieser Hinsicht eine ergiebige Stadt?

Schauer: Wien ist durch seine historische Architektur eine der besten Städte. Hier gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten. Die Strudelhofstiege zum Beispiel, die Rahlstiege in Mariahilf oder die Mauer beim Haus des Meeres. Aber auch Lissabon, Singapur oder Santorin bieten sich für unseren Sport an. Ich bin viel unterwegs.

Standard: Und Sie lassen das alles sehr leicht aussehen.

Schauer: Ich habe klein angefangen und trainiere seit neun Jahren. Die Sprünge von Gehsteig zu Gehsteig gaben mir die notwendige Sicherheit. Ich weiß genau, wo ich lande, und wie weit ich springen kann. Alles beruht auf Wiederholung. Irgendwann sehen auch die hohen und weiten Sprünge leicht aus. Derzeit trainiere ich zwischen vier und sechs Tagen die Woche, jeweils zwei bis fünf Stunden. Kommt auch auf das Wetter an.

Standard: Sie suchen die Route, drehen Videos, präsentieren immer wieder neue Ideen. Ist Ihre Tätigkeit auch eine kreative?

Schauer: Auf jeden Fall. Das Körperliche macht nur 50 Prozent aus. Sprünge, Lines, Saltos – man muss sich etwas einfallen lassen. Der Körper hat Grenzen, die Phantasie nicht. Dazu kommt die mentale Komponente, man muss sich überwinden. Sprünge, die am Boden funktionieren, sollten auch in vier Metern Höhe von Mauer zu Mauer klappen. Man muss kleine Schritte machen, einen nach dem anderen, sich Zeit geben. Der Körper muss gestärkt werden, bevor man richtig Gas gibt.

Ein bisschen wie ein Videospiel.
Alex Schauer

Standard: Welche Rolle spielt Angst?

Schauer: Ich hatte am Anfang Höhenangst. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Ich habe Respekt und nehme die Höhe nicht auf die leichte Schulter. Ich weiß, dass es da runter geht. Aber ich weiß auch, was ich mir zutrauen kann. Es benötigt eine Portion Selbstvertrauen und eine realistische Einschätzung.

Standard: Sie sprangen in Lissabon zwischen Häusern von Balkon zu Balkon. Ein falscher Griff und es geht im freien Fall Richtung Beton. Kann man da noch von kontrolliertem Risiko sprechen?

Schauer: Ja, denn ich weiß bei jedem Sprung, was zu tun ist. Sollte ich im schlimmsten Fall mit einer Hand oder dem Fuß abrutschen, kann ich mich immer noch retten. Es gibt nicht nur den Plan A, sondern auch einen Plan Z.

Standard: Bei allem Respekt vor Ihren Fähigkeiten bleibt aber doch ein Restrisiko.

Schauer: Es wäre naiv zu denken, dass gar nichts passieren kann. Wir sehen uns die Konstruktionen genau an, überprüfen die Stabilität, aber eine Stange könnte mit Pech auch wegbrechen. Mir könnte auch ein Vogel ins Gesicht fliegen. Unwahrscheinlich, aber nicht völlig auszuschließen.

Standard: Schon mal verletzt gewesen?

Schauer: Ich habe mir noch nie etwas gebrochen, auch nichts gerissen. Eine Fersenprellung zwang mich zu einem Monat Pause, das war das Schlimmste. Blaue Flecken gehören dazu.

Don't try this at home, nur in Lissabon.

Standard: Sie bezeichnen sich als "Professional Freerunner". Können Sie von Ihrer Tätigkeit tatsächlich leben?

Schauer: Ja, seit zwei bis drei Jahren. Ich bin in Österreich und im Ausland unterwegs für Werbeaufnahmen, für Filmstunts, für Shows. Sponsoren habe ich nicht, kann aber noch werden.

Standard: Nehmen Sie auch an Wettbewerben teil oder schreckt dieser Gedanke eher ab?

Schauer: Bei uns ist es eher Athlet gegen Kurs als Athlet gegen Athlet, in neunzig Sekunden versucht man den besten Run hinzulegen. Man kennt sich, die Stimmung ist familiär, da freut sich jeder für jeden. Bei den vielen unterschiedlichen Styles ist es ohnehin schwierig, Vergleiche zu ziehen.

Standard: Der öffentliche Raum ist Ihre Bühne. Kommt da niemand vorbei und sagt: Junge, hör auf mit dem Quatsch, Du wirst Dir noch weh tun.

Schauer: Die Leute beobachten, was wir tun. Viele kennen den Sport aus den sozialen Medien. Sie sind interessiert und suchen auch das Gespräch. Früher war das anders, da hieß es: Hört auf damit, Ihr macht die Mauern kaputt und brecht Euch die Beine. (Philip Bauer, 27.1.2017)