Man staunt immer noch in Berlin. Und man fragt sich: Wie schafft es eine Partei, deren interne Regularien bis zur Besetzung des Kassiers im kleinen Ortsverein alles im Detail festlegen, eine so wichtige Frage wie die Kanzlerkandidatur zur umstrittenen Solonummer des scheidenden SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel verkommen zu lassen?

Doch ins Staunen, so war am Tag danach zu bemerken, mischt sich auch unendliche Erleichterung. Denn bei Gabriel wäre schon bei einer etwaigen Kanzlerkandidatur klar gewesen, dass er bei der Bundestagswahl nicht einmal in Zaunnähe des Berliner Kanzleramts gekommen wäre.

Jetzt berauschen sich die Genossen an Martin Schulz, und das nicht einmal nur notgedrungen. Es sei ihnen vergönnt, sie haben harte Zeiten hinter sich – arbeiteten nicht schlecht in der Regierung, in Umfragen wurde es aber nicht gedankt. Also wird Anfang März ein Sonderparteitag stattfinden und Schulz dabei zweifelsohne eine seiner fulminanten Reden halten.

Den Führungsanspruch hat er ja schon gestellt, was sonst hätte er tun sollen. Natürlich muss Schulz aufs Ganze gehen, sonst braucht er gar nicht erst anzutreten und Kanzlerin Angela Merkel herauszufordern. Diese dürfte vom roten Erdbeben auch einigermaßen aufgeschreckt worden sein. Sie selbst hat schon im November, als sie ihre Spitzenkandidatur bekanntgab, prophezeit, dass dieser Wahlkampf sehr hart werden wird.

Damals rechnete man eher noch mit Sigmar Gabriel als Herausforderer, was Merkel einen gewissen Komfort garantiert hätte. Zu laute Kritik Gabriels an ihr wäre mit dem Hinweis, dass Gabriel im Kabinett ja jeden Beschluss mitgetragen habe, elegant zurückzuweisen gewesen.

Doch nun kann Merkel sicher sein: Der Bundestagswahlkampf 2017 wird ungemütlich. 2009, als Merkels blasser SPD-Gegenkandidat Frank-Walter Steinmeier hieß, kam sie praktisch im Schlafwagen ins Kanzleramt. Vier Jahre später – 2013 – konnte sie dank der wenig überzeugenden Performance von Ex-Außenminister Peer Steinbrück (SPD) auch noch halbwegs bequem ans Wahlziel reisen.

Jetzt rumpelt es nicht nur rechts, sondern auch links des Wegesrands gewaltig. Schulz wird die Abteilung Attacke eröffnen. Viel zu verlieren hat er nicht, die SPD liegt so am Boden, dass jeder Prozentpunkt, der unter seiner Führung dazugewonnen wird, ein Pluspunkt ist. Es geht jetzt überhaupt noch nicht darum, welche Koalition sich letztendlich am nächsten Kabinettstisch wiederfindet. Für derlei Rechenspiele ist es viel zu früh.

Zunächst heißt es für die SPD: kämpfen, kämpfen, kämpfen. Ein gutes Ergebnis könnte auch die halbe Miete für die Oppositionsbank nach der Wahl am 24. September sein.

Natürlich liegt die Union im Moment scheinbar uneinholbar und rund 15 Prozentpunkte vor der SPD. Aber Merkel kann sich nicht auf diesen Vorsprung verlassen. Aus welchen Rohren die AfD so schießen wird, hat gerade Thüringens Chef Björn Höcke mit seiner Rede zum Holocaust-Mahnmal demonstriert.

Schulz auf der einen, die AfD auf der anderen Seite – diesmal steht kein Schlafwagen für Merkel bereit. Auch wenn die Union stärkste Kraft bleibt, wäre das nicht der ganze Sieg. Dann muss sich auch noch eine tragfähige Koalition finden. Auch das, und nicht nur der Wahlkampf, wird diesmal sehr viel schwieriger werden. (Birgit Baumann, 26.1.2017)