Bettina Bannasch, Helga Schreckenberger und Alan E. Steinweis (Hg.): Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch, Band 34/2016, Exil und Shoah, edition text + kritik, 407 Seiten, 38,00 Euro

Foto: edition text + kritik

Wien – Der Holocaust war unter Juden, die vor den Nationalsozialisten in die USA geflohen waren, erstaunlich früh bekannt. In wichtigen Exil-Zeitschriften wie "Aufbau" oder "Austro American Tribune" erschienen kurz nach Einrichtung der NS-Vernichtungslager 1942 erste Texte über die systematischen Deportationen, so Germanist Primus-Heinz Kucher von der Uni Klagenfurt in einer aktuellen Publikation.

Der Forscher schließt daraus, dass der "Aufbau" und die ihm nahestehenden jüdischen Organisationen über ein "ausgezeichnetes Netz von Informationsquellen verfügten", schreibt er in seinem Beitrag im internationalen Jahrbuch für Exilforschung zum Thema "Exil und Shoa". "Die Leserschaft dieser Zeitschrift, die bekanntlich aufgrund ihrer Auflage und des zeitgenössischen Leseverhaltens einen beträchtlichen Teil des deutschsprachigen Exils in den USA erreichte, wurde somit sehr früh mit dem Holocaust konfrontiert." Ab Mitte 1944 wurden Berichte über den Massenmord in den einschlägigen Exilplattformen Alltag.

Aufrufe zum Kampf

Der Umgang mit den Informationen wirke im Rückblick erstaunlich, wenn nicht gar irritierend "pragmatisch", schreibt Kucher. Er vermutet als Grund die Konzentration auf die Kriegslage und Debatten über künftige Lebensräume für jenen Teil der europäischen Juden, die in Gefahr waren bzw. die man noch retten konnte. Die tendenziell säkulären jüdischen Intellektuellen in den Redaktionen von "Aufbau" und ähnlichen Zeitschriften machten Stimmung für eine aktive Teilnahme am Krieg gegen Nazi-Deutschland.

In Schlagzeilen wie "Jüdische Helden in Stalingrad" oder "1,5 Millionen Juden kämpfen mit" pflegten sie das Narrativ vom jüdischen Widerstandskampf. Hannah Arendt etwa forderte im "Aufbau" eigenständige jüdische Kampfverbände. Diese sollten "wenigstens versuchen, das Gesetz der Ausrottung und das Gesetz der Flucht durch das Gesetz des Kampfes zu ersetzen".

Sprachliche Zäsur

Noch früher als Berichte über die Massenvernichtung, bereits ab 1940 bis 1941, entstanden auch erste Texte mit Bezug auf schon damals existierende Lager, laut Kucher "z.T. aus verbürgten Erfahrungen heraus, z.T. noch zurückhaltend und andeutend". Oft seien sie allerdings "unverdient in der gewaltigen Flut von bedrückenden Nachrichten" oder neben prominenteren Stimmen verhallt, "oder sie waren dem Unfassbaren sprachlich schlicht (noch) nicht gewachsen". Als Beispiel nennt Kucher etwa Alfred Momberts letzten großen Zyklus "Sfaira, der Alte".

Insbesondere in lyrischen Texten sei der Holocaust auch als sprachliche Zäsur sichtbar geworden. Die Wiener Schriftstellerin Mimi Grossberg formulierte es so: "Es ist interessant, dass mit einer einzigen Ausnahme alle diese Gedichte über Auschwitz in englischer Sprache entstanden. Die Erklärung mag sein, dass sie zu einer Zeit geschrieben worden sind, da man im Unterbewusstsein sogar die unschuldige deutsche Sprache hasste."

In dem Band gehen Wissenschafter verschiedenster Disziplinen in 17 weiteren Beiträgen der Frage nach, wie der Holocaust sich auf das künstlerische, wissenschaftliche und philosophische Werk der Exilanten ausgewirkt hat. (APA, red, 27. 1. 2017)