Die Investmentmanagerin Gina Miller (2. von links) hat den Brexit-Prozess losgetreten. Die einen feiern sie und ihre Mitstreiter dafür wie eine Volksheldin, die anderen verachten sie.

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Proteste gegen Premierministerin Theresa May vor dem Supreme Court am Dienstag, wo das Urteil zur Parlamentsmitsprache gefällt wurde.

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Präsident des Obersten Gerichts David Neuberger bei der Verkündung des Urteils.

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Um den geplanten Zeitplan für den EU-Austritt einhalten zu können, hat die britische Regierung nach ihrer schweren juristischen Niederlage vor dem obersten Gerichtshof den politischen Druck aufs Parlament erhöht. Die Höchstrichter zwangen Premierministerin Theresa May und ihr Kabinett am Dienstag dazu, die Zustimmung beider Kammern einzuholen, ehe sie Artikel 50 des Lissabon-Vertrags in Kraft setzen. Das entsprechende Gesetz werde "von größtmöglicher Klarheit" sein, versicherte Brexit-Minister David Davis im Unterhaus. Die Opposition kündigte umfassende Änderungsanträge an.

Die Regierungschefin hatte vergangene Woche den "harten Brexit" angekündigt, also den Austritt aus Binnenmarkt und wohl auch Zollunion. Innerhalb der vertraglich vorgesehenen Frist von zwei Jahren will sie bis Ende März 2019 mit den EU-Partnern nicht nur den Austritt der Insel fixieren, sondern auch ein neues Handelsabkommen. Dies soll der Insel Zugang zum Binnenmarkt ermöglichen, die Personenfreizügigkeit für EU-Bürger sowie die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs aber beenden.

Klage von Vermögensverwalterin

Bei der Klage der Vermögensverwalterin Gina Miller sowie eines in London lebenden spanischen Friseurs ging es um die Balance zwischen Parlament und Regierung. Zunächst vor dem englischen High Court, bei der mündlichen Verhandlung im Dezember auch vor dem Supreme Court beharrte Generalstaatsanwalt Jeremy Wright auf dem sogenannten "königlichen Vorrecht". Dieses gibt der Exekutive die Befugnis, wichtige außenpolitische Entscheidungen ohne Vorabzustimmung des Parlaments zu treffen.

Der Brexit betreffe aber auch rein britische Angelegenheiten, argumentierten die Privatkläger und erhielten in beiden Instanzen Recht. Viele britische Gesetze basierten auf der 44-jährigen Mitgliedschaft in der Union, deshalb gelte weiterhin die Souveränität des Parlaments, befanden nach dem High Court auch acht von elf Höchstrichtern. Die Minderheit konnte sich auf kein gemeinsames Votum einigen.

In einer anderen Frage war das Gremium hingegen einer Meinung: Die Regierung muss nicht die Zustimmung der Regionalparlamente in Belfast, Cardiff und Edinburgh einholen. Dies hatten Privatkläger beim nordirischen High Court erzwingen wollen. Der oberste Gerichtshof bestätigte die Sichtweise der Belfaster Richter: Den regionalen Kammern stehe kein Vetorecht zu. Erkennbar erleichtert verwies Brexit-Minister Davis im Unterhaus auf die ausdrückliche Mitteilung der Richter, wonach das Parlament über die Art seiner Zustimmung bestimmen kann. Im britischen System bedeutet dies in der Praxis, dass die Regierung Text und Zeitplan der Gesetzgebung dominiert.

Kein Weißbuch

Offenbar will sich die Regierung über den Wunsch des mächtigen Brexit-Ausschusses hinwegsetzen und kein Weißbuch vorlegen. Stattdessen soll ein möglichst kurzer Text die Änderungsmöglichkeiten der Opposition einschränken. Geplant ist offenbar eine baldige erste Lesung im Unterhaus, mit einer Abstimmung vor den einwöchigen Parlamentsferien Mitte Februar. Den Lords blieben dann drei Wochen für ihre Beratungen im Oberhaus.

Die schottische Nationalpartei SNP, die den Brexit ablehnt, kündigte 50 "ernsthafte und gewichtige" Änderungsanträge an; die große Mehrheit dürfte aber nicht einmal bis zur Beratung gelangen. Labour-Brexit-Sprecher Keir Starmer sprach von einem "guten Tag für die Souveränität des Parlaments".

Die Regierung habe mit dem Einspruch gegen das Urteil des High Court Zeit und Geld verschwendet, anstatt das Parlament von vornherein einzubeziehen. Der frühere Leiter der staatlichen Anklagebehörde kündigte an, seine Partei werde die Regierungsvorlage genau prüfen.

Die Rede der Premierministerin sei nicht genug: "Wir brauchen im Parlament entweder ein Weißbuch oder einen detaillierten Plan." Die größte Oppositionspartei steuert einen schwierigen Kurs, weil die überwiegende Fraktionsmehrheit für den EU-Verbleib votierte, in ihren Wahlkreise aber die Brexit-Befürworter die Mehrheit stellten. (Sebastian Borger, 24.1.2017)


David Neuberger, Präsident des Obersten Gerichts, verkündet das Urteil.
The Independent