"The Who and the What" im Schauspielhaus Hamburg: Ernst Stötzner (links), Paul Herwig.


Foto: Klaus Lefebvre

Hamburg – Was macht ein traditionsstolzer pakistanischer Einwanderer, in Atlanta als Taxiunternehmer zu einigem Wohlstand gekommen, der seine selbstbewusste, akademisch gebildete älteste Tochter nach frommer Väter Sitte verheiraten will? Er stellt sie, natürlich ohne ihr Wissen, auf der Kuppel-Website muslimlove.com in die Auslage und nutzt die Verwirrung der Bewerber, beim ersten Rendezvous den Vater statt der möglichen Braut vor sich zu haben, um sich ein Bild von den Absichten und vor allem Aussichten zu machen: "Was verdienen Sie?"

Die geschmeidige Vereinbarkeit von avancierter Technologie und archaischer Gepflogenheit bei der Partnerwahl ist einer der ironisch-kühlen Punktstrahler, mit denen der New Yorker Stückeschreiber Ayad Akhtar ein Immigrantenmilieu ausleuchtet, das wirtschaftlich zwar längst auf die Beine gekommen ist, dem sich aber desto schneller der Kopf dreht.

Nach Geächtet bringt das Hamburger Schauspielhaus mit The Who and the What ein weiteres Konversationsstück des US-Dramatikers zur deutschsprachigen Erstaufführung. Der unvoreingenommen beobachtenden Regie von Hausherrin Karin Beier gelingt dabei das rühmliche Kunststück, nicht mal den Anflug eines Blicks, gar eines Gedankens auf das Fremde aufkommen zu lassen.

Diese Familie: ein verwitweter Griesgram, seine beiden erwachsenen Töchter sowie der tatsächlich im Netz gefundene spätere Mann seiner Ältesten, ist der viel zitierte Durchschnitt von nebenan. Klug verzichtet Beier auf jedes szenische Detail, mit dem sich das Quartett in eine zugewiesene Ecke abschieben ließe. Nur dass der Beigeschmack von Wahrheit, der auch dieser Familienbande anhaftet, von den unvereinbaren Vorstellungen über den Propheten Mohammed und seine Lehren herrührt. Aus dem Vorrat dieses elementaren Dissenses basteln die vier eine Bombe, die schließlich das scheinbar fest gebaute familiäre Gefüge in die Luft jagt.

Dass seine Jüngere sich jahrelang vom späteren Mann mit Analsex hat beackern lassen, wie sie das mit einem Verweis auf den Propheten rechtfertigend bezeichnet, um nur ja als Jungfrau in die Ehe gehen zu können – diese Portion Perversion kann der Patriarch gerade noch verdauen. Aber dass die Ältere ein Buch über den historischen Mohammed schreibt und ihn darin als einen Mann schildert, der seine Schwiegertochter begehrte und vielleicht die Stimme eines weiblichen Gottes – eines Gottes mit Brüsten! – hörte, geht über seine Fassungskraft.

Es geht hoch her in diesem Disput zwischen Ungleichen, und es geht nicht gut aus. Der brennende Wunsch, zu erfahren, wer der Prophet war, und nicht nur zu wissen, was er den Muslimen bedeutet, ist im Glauben der Vorfahren nicht vorgesehen. Und sein Smartphone, das so smart ist, ihm einen Schwiegersohn zu finden, lässt ihn beim Bemühen, diesen Wunsch zu verstehen, im Stich.

Der Schauspieler Ernst Stötzner macht aus diesem zeitlupenlangsamen Fall in das schwarze Loch, über das der Mann die Bretter seiner Existenz gelegt hatte, eine fesselnde Studie der Überforderung. Wäre es nicht so sentimental, man könnte mit Kafka ins Tagebuch eintragen: im Theater gewesen, geweint. (Oswald Demattia, 23.1.2017)