Trautes Heim: Alina Fritsch und Christoph Radakovits.

Foto: Reinhard Maximilian Werner

Wien – Ein sauber gescheitelter junger Mann (Christoph Radakovits) hantiert im Vestibül des Burgtheaters an einem roten Vorhang. Für eine Brecht-Gardine hängt das Tuch etwas hoch. Geht der Vorhang endlich auf, wird der ganze Stolz von Heinz sichtbar. Anni (Alina Fritsch), seine Braut, trägt ein verschwenderisch schönes Brautkleid. Ihr Lächeln ist so süß wie festgefroren. Von nun an lautet das Motto: So klein kann das traute Glück gar nicht sein, als dass es nicht mit viel Selbstverleugnung begrüßt würde.

Gegeben wird Oberösterreich (1972), eines der sozialkritischen Dramen des Bayern Franz Xaver Kroetz. Dieser vollendete einst mit kalter Wut und geduldiger Anteilnahme das süddeutsche Volksstück. Horváths Kleinbürgertöchter standen bei Kroetz, dem DKP-Mitglied, nicht mehr auf der Straße, sondern hatten ein bescheidenes Auskommen gefunden.

Fleisch und Fernreisen

Anni zum Beispiel arbeitet in derselben Firma wie Heinz, im Verkauf. Nach Feierabend versteht sie sich auf die Zubereitung bekömmlicher Mahlzeiten für den Gemahl, und der Hinweis auf "Fleisch" weckt bei ihm durchaus natürliche Regungen. Wenn da nur nicht die Lockungen des Konsums wären. Eine Fernreise nach Wien, die alte "Kaiserstadt", stünde auf der Sehnsuchtsliste. Ein "schwimming-pool" (sic!) wäre fein, nur bräuchte man zu seinem Unterhalt halt auch einen Garten.

Im Vestibül ist die Bühne blendend weiß (Ausstattung: Korbinian Schmidt) ausgeschlagen. Andreas Schmitz’ kleine, feine Inszenierung hält sich den Text ein Stück weit vom Leib. Musiziert wird das Stück als Kompromiss: halb angeeignet, halb in epischer Distanz. Das bekommt der Aufführung erstaunlich gut. Schlagerlieder hüllen die Bewusstseinsstenogramme der beiden Eheleute daunenweich ein. Der ehelichen Pflicht kommt man stehend nach, gehüllt in den Vorhang.

Trauriger Tatsachenboden

Annis ungewollte Schwangerschaft beeinträchtigt nachdrücklich Heinz’ Selbstwertgefühl. Ab nun spricht Radakovits seine Sätze künstlich und spröde. Fritsch aber lächelt unerschütterlich. Zum Hochzeitstag hat sie einen Steingutteller bekommen. Ihr freudiges Jauchzen macht jeden Orgasmus überflüssig! Schwanger trägt sie ein rotes Kleid in der Form einer Geschenkschleife. (Leider siedelt Fritsch ihr Deutsch mehr in Wien als in München an.)

Doch es hilft alles nichts. Die Idee einer Abtreibung geistert sehr konkret durch die Stube. Man wird sich einschränken müssen in Heinzens Haushalt, wo man noch in DM rechnet und von zitronengelben Buckellimousinen träumt.

Irgendwann reißt Heinz die Papierbahnen von der Wand, nur um erneut vor einer Mauer zu stehen. Mit den Papierfetzen fängt dieser Mustermann um sich zu schlagen an. Ein Ikarus, der am Boden der Tatsachen traurig festklebt. Diese Aufführung ist ein starkes Stück, von dem man hofft, es werde helfen, eine kleine Franz-Xaver-Kroetz-Renaissance einzuleiten. (Ronald Pohl, 22.1.2017)