Viele Autos in Liaoning, Chinas Schwerindustrieprovinz. Mit den Zahlen nahmen es die Lokalpolitiker zuletzt nicht so genau. Ehrgeizige Funktionäre präsentierten Peking über Jahre hinweg geschönte Wirtschaftsergebnisse.

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Liaonings Gouverneur Chen Quifa verblüffte die neugewählten Parlamentarier im Volkskongress der Schwerindustrie-Provinz. Vergangenen Dienstag rezitierte er in seinem Rechenschaftsbericht einen Spottvers des Volkes über ehrgeizige Funktionäre, die Peking geschönte Wirtschaftsergebnisse vorgaukeln, nur um befördert zu werden: "Beamte machen Zahlen. Zahlen machen Beamte."

Das Zitat schlug weithin Wellen. Es war das erste öffentliche Eingeständnis, wie dreist Statistiken in den chinesischen Provinzen manipuliert werden. Es weckte Zweifel auch an den nationalen Zahlen zum Wirtschaftswachstum, die, wie das finanzpolitische Magazin "Caixin" schreibt, immer genau so ausfallen, wie Peking sie vorab plant.

Drei Jahre lang, von 2011 bis 2014, wurden in Liaoning Statistiken systematisch verfälscht, das Finanzaufkommen um 23 Prozent nach oben gerechnet. Manche Kreise verdoppelten ihre Einnahmen. Die Zeche für vom Staat darauf erhobene Abgaben musste der Steuerzahler zahlen. "Falsche Finanzdaten wurden von Städten und Kreisen über lange Zeit erstellt. Viele waren beteiligt und benutzten dabei allerlei Tricks", sagte Chen.

Wachstum der Bevölkerung 2011 bis 2016 in 10.000: Chinas Bevölkerung wuchs 2016 etwas schneller, um acht Millionen auf 1,382 Milliarden. Es ist die erste leichte Auswirkung nach dem Ende der Ein-Kind-Politik. Erstmals sind aber mit 150 Millionen Pensionisten auch mehr als zehn Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre alt.
Grafik: Staatlich Statistisches Amt

Der Zahlenbetrug und nicht Pekings Reform der Wirtschaft, die sich von der Schwerindustrie hin zu einer nachhaltigen Binnen- und Dienstleistungswirtschaft wandeln soll, war der Grund, warum das Wachstum in der 42-Millionen-Einwohner-Provinz 2015 plötzlich auf drei Prozent sank. 2016 endete es gar mit einem dicken Minus, sagte der aus Hunan 2015 zum Aufräumen nach Liaoning geschickte Chen. Zuvor hatte es die Provinz mit falschen Wachstumszahlen von 2011 bis 2014 noch auf Platz sieben unter Chinas 31 Provinzen gebracht.

Auch andere Kennzíffern für die Industrieproduktion, Anlageinvestitionen bis zu Exporten wurden manipuliert, fanden nationale Buchprüfer heraus. Das Parteiorgan "Volkszeitung" zitierte aus einem Untersuchungsbericht 2016 und nannte es "erstmalige Offenlegung" eines allgemeinen Problems.

Das sieht Chinas oberster Statistiker Ning Jizhe, Nachfolger des 2015 wegen Korruptionsverdachts festgenommenen Wang Baoan, differenzierter. Fälschungen seien nur in "einigen Gebieten" ein Problem, sagte er bei seiner Jahrespressekonferenz am Freitag und kündigte schärfere Kontrollen an. Die nationalen Wachstumszahlen seien dagegen "genau und zuverlässig". Das gelte auch für die 6,7 Prozent Wirtschaftswachstum für China im Jahr 2016. Das sei zwar die niedrigste Zuwachsrate seit einem Vierteljahrhundert, nachdem Indiens Wachstum auf 6,6 Prozent heruntergestuft wurde, habe Peking damit aber "das höchste Wachstum der Welt".

Wirtschaftswachstum in Prozent pro Quartal, erstes Quartal 2015 bis viertes Quartal 2016: 6,7 Prozent Wirtschaftswachstum für 2016 sind der geringste Zuwachs in China seit einem Vierteljahrhundert – aber das höchste Wachstum eines Einzellandes im Weltvergleich.
Foto: Staatlich Statistisches Amt

2016 sei ein "guter Start im ersten Jahr von Chinas neuem Fünfjahresplan". Auch für die Strukturreform: Statt Exporten und Investitionen würden Dienstleistungen und Konsumnachfrage zu den neuen Wachstumstreibern des Landes werden.

Demonstration wirtschaftlicher Zuversicht

Nings Pressekonferenz reihte sich in jüngste Demonstrationen wirtschaftlicher Zuversicht und Stärke ein, die Peking vor dem Amtsantritt von US-Präsidenten Donald Trump inszeniert. In Davos warnte Xi, dass es in einem Handelskrieg nur Verlierer geben würde. Er warb um den Geschäftsmann Trump. China werde bis 2021 um acht Billionen US-Dollar Waren und Dienstleitungen aus aller Welt importieren, erwarte 600 Milliarden Dollar an Investitionen und wolle über seine Unternehmen 750 Milliarden Dollar im Ausland investieren.

Auch das Handels- und das Außenministerium ließen am Freitag wissen, dass sich China und die USA wirtschaftlich ergänzten und daher miteinander, aber nicht gegeneinander profitieren würden. Statistikchef Ning stand dem nicht nach. Er gratulierte in seiner Pressekonferenz eigens Trump zur Amtseinführung. "Ich bin überzeugt und voller Hoffnung, dass er künftig von der Aussicht auf eine Win-win-Situation für beide Länder ausgeht."

Getreideproduktion 2011 bis 2016 in 10.000 Tonnen: 2016 ging Chinas Getreideernte erstmals leicht auf 616 Millionen Tonnen zurück.
Foto: Staatlich Statistisches Amt

Unterdessen geht in Chinas Medien die Debatte über die Statistikfälschungen in Liaoning weiter. Zumal die inzwischen ausgetauschte Provinzführung zuvor schon für einen gigantischen Skandal in ihrem Scheinparlament gesorgt hatte. 523 der 616 Abgeordneten des Provinz-Volkskongresses hatten sich 2013 für die Nominierung von Liaoninger Funktionäre als neuen Abgeordneten im Nationalen Volkskongress bestechen lassen. Zwei Jahre lang ermittelten Pekings oberste Parteiwächter. 2016 flogen 45 Abgeordnete Liaonings – fast die Hälfte der Delegierten – aus Chinas 3.000 Abgeordnete zählendem nationalem Parlament, schrieb "Caixin".

Das Magazin enthüllte weitere "Tricks", mit denen lokale Beamte auch in anderen Provinzen statistische Zahlen schönten, etwa durch eine "Politik der Steuerrückzahlungen". Zuerst werden mitmachende Unternehmen veranlasst, "falsche Warenrechnungen für nicht erhaltene Einnahmen" auszustellen. Dann erheben die Behörden darauf Steuern, erstatten sie aber den Unternehmen in unterschiedlichen Formen von "Steuerrückzahlungen". Die lokale Regierung meldet karrierefördernd höhere Finanzeinnahmen "nach oben", die Unternehmen erhalten Extraprofite. Nur der Staat und der Steuerzahler sind die Angeschmierten. (Johnny Erling, 20.1.2017)