Landesheiliger Pröll: Rechtzeitig gegangen, ehe die absolute Mehrheit verlorengegangen ist.

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Wien – Es war ein klassischer Schuss ins eigene Knie. 2001 steuerten Niederösterreichs Sozialdemokraten ihre Stimmen für eine Wahlrechtsreform bei. Seither hatte gegolten: Egal, welche Partei ein Bürger auch immer ankreuzte – schrieb er gleichzeitig "Erwin Pröll" auf den Zettel, zählte die Stimme für die ÖVP.

Profitiert von diesem bei Landtagswahlen einzigartigen Prinzip hat natürlich die Landeshauptmannpartei, die einen furiosen Personenkult anfachte. Bei seiner letzten Kür 2013 räumte Pröll 267.842 Vorzugsstimmen ab, mehr als die Landes-SP insgesamt an Stimmen einfuhr. Zum Vergleich: Sebastian Kurz, Vorzugsstimmenkrösus bei der Nationalratswahl, kam auf 35.728 – bei fünfmal so vielen Wahlberechtigten.

"Kein Nachfolger kann das aus dem Stand auch nur annähernd erreichen", glaubt der Politologe Peter Filzmaier. Wie viele Wähler tatsächlich ihre Stimme zwischen Landeshauptmann und Partei gesplittet haben, ist zwar unbekannt. Doch sind es nur ein paar Prozent, die dies nach Prölls Abgang nun nicht mehr tun, rechnet Filzmaier vor, "dann ist die absolute Mehrheit weg".

Ist das Scheitern für Nachfolgerin Johanna Mikl-Leitner also unausweichlich? "Dass sie die absolute Mehrheit hält, ist unrealistisch" , sagt Christoph Hofinger, Meinungsforscher vom Sora-Institut, "aber wahrscheinlich hätte Pröll die auch verloren." Nachrückende Generationen zeigten ein immer variableres Wahlverhalten, sagt Hofinger, die Lagerbindung verblasse ebenso wie die im Osten noch relativ starke "Fürstentreue". Zwar hat die Volkspartei in Niederösterreich den Vorteil, dass es im weiten Land relativ wenige urbane Zentren gibt. Doch der Speckgürtel um Wien boomt allemal, "und derartige Ballungsräume sind gefährlich für eine hegemoniale Partei", sagt Hofinger. Dass die ÖVP 2013 auch bei jungen Wählern fast 50 Prozent schaffte, "ist eh unglaublich".

Warum dies glückte? Herausragend sei die Professionalität der niederösterreichischen Volkspartei, analysiert Filzmaier: "Ich kenne keine andere Partei, die zwei Jahre vor der nächsten Wahl an der Strategie zu arbeiten beginnt." Langfristige Kampagnen würden sogar über Jahrzehnte getragen: Man denke an die konsequente Stärkung der Landesidentität oder die Umfärbung des Parteiauftritts von Schwarz in Gelb-Blau.

Während der ÖVP in Wien das junge, liberale Bürgertum en masse davonlief, haben die Niederösterreicher auch früh begonnen, sich für das Publikum im Speckgürtel ein moderneres Antlitz zu verpassen – ohne dabei die konservative Anhängerschaft in den Landgebieten zu vergrätzen.

Geschmeidiges Rollenspiel

Dass dieser Spagat gelang, hängt jedoch auch wieder mit der Persönlichkeit Prölls zusammen. Kaum ein anderer Politiker stellt sich so virtuos auf die jeweilige Zielgruppe ein, wechselt derart geschmeidig die Rolle. Mit Traktor und Tracht hat Pröll ebenso wahlgekämpft wie als cooler "Man in Black". Den katholischen Landesvater gab er ebenso wie den Förderer von Künstlern wie Hermann Nitsch und Manfred Deix, die in ruralen Zonen des Landes – wie Filzmaier sagt – "als personifizierter Straftatbestand gelten".

Fremd ist Mikl-Leitner das Rollenspiel ebenso nicht: Wer sie nur im TV als harsche Innenministerin erlebt hat, traut ihr die persönliche Leutseligkeit nicht zu. Was gleichfalls Hoffnung macht: Jene zehn Prozent an Stimmen, die 2013 das nun zerbröselte Team Stronach einfuhr, sind wieder neu am Markt. Allerdings stammt ein großer Teil von Nicht- und Protestwählern, die etablierte Parteien verachten.

Eine Stärke sei auch die Schwäche der Konkurrenz, sagt Hofinger. Für alle anderen Parteien gelte: Die niederösterreichischen Landesgruppen sind in bescheidenem Zustand. (Gerald John, 19.1.2017)