Irgendwie ist es ein Befreiungsschlag. Wenn am Freitag die Mieter im Weißen Haus wechseln, heißt das für Michelle Obama, dass sie ihre Handlungsfreiheit wiedererlangt. Nicht nur, dass sie ausatmen kann, statt auf dem Präsentierteller der Macht ständig darauf achten zu müssen, nur ja keine Fehler zu machen. Sie, die Absolventin der Eliteuniversitäten Princeton und Harvard, kann endlich ihre eigene Karriere in Angriff nehmen. Womöglich wird es eine politische Karriere, vielleicht wiederholt sich, was Bill und Hillary Clinton vorexerziert haben.

Nicht, dass sie in den acht Jahren in der berühmten Villa nicht politisch gewesen wäre. Sie kümmerte sich um vergessene Kriegsveteranen, während sie der Fettleibigkeit im Heimatland der Marke McDonald’s mit der Fitnesskampagne "Let’s Move" den Kampf ansagte. Ihr Gemüsegarten war ein Appell zur gesunden Ernährung. Dahinter steckten klare Botschaften. Aber sie hat eben auch oft und gern betont, dass sie keinen gesteigerten Wert darauf lege, das politische Tagesgeschehen in all seinen Wendungen zu verfolgen.

Politische Ambitionen

Andererseits hielt sie auf dem Parteitag der Demokraten, der Hillary Clinton zur Kandidatin kürte, die beste Rede von allen. Schon damals empfanden es viele als logisch, würde sie dereinst für ein Wahlamt kandidieren. Eine Michelle Obama, die für Illinois, den Bundesstaat, aus dem sie stammt, im US-Senat sitzt – es gibt kaum einen, der sich zumindest das nicht vorstellen könnte.

Michelle Obama bei ihrer Rede am Parteitag der Demokraten im Juli 2016.
Democratic National Convention

"Michelle 2020" lautet der Slogan ihrer Fans, die sie auffordern, an den Start des nächsten Rennens ums Oval Office zu gehen. Es gebe drei Dinge im Leben, die sicher seien, hat ihr Gatte zu dem Thema gesagt: "der Tod, Steuern und dass sich Michelle nicht als Präsidentin bewirbt". Aber das war vor einem Jahr, heute würde niemand mehr darauf wetten. Die Popularität der 53-Jährigen hat Umfragewerte erreicht, von denen amerikanische Politiker nur träumen können.

Das war nicht immer so. Ein Karikaturist des "New Yorker" zeichnete sie als Black-Panther-Rebellin mit Flinte, Patronengürtel, geballter Faust und Afrofrisur, was ängstliche Publicity-Experten veranlasste, ihr Image so weichzuspülen, als wäre sie eine biedere Hausfrau, deren Ambitionen sich ganz aufs Familiäre beschränken. Vorausgegangen war eine Rede, gehalten im Februar 2008 auf einer Wahlkampfbühne, an der sich die Geister schieden. "Zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben bin ich wirklich stolz auf mein Land, weil es sich anfühlt, als stehe die Hoffnung tatsächlich vor einem Comeback", sagte Michelle. Cindy McCain, die Gattin von Obamas republikanischem Gegenspieler John McCain, ließ demonstrativ wissen, dass sie schon immer stolz gewesen sei auf Amerika. Die Juristin aus Chicago galt auf einmal als zornige schwarze Frau, in den Augen ihrer Kritiker nicht patriotisch genug, um die Republik würdevoll zu repräsentieren. Es war eine Lektion.

First Lady als Modeikone

An der Pennsylvania Avenue begnügte sie sich fürs Erste damit, die Porzellankollektion zu erweitern. Obendrein wurde sie zur Mode-Ikone: In den Kleidern, die Jason Wu und Isabel Toledo für sie kreierten, sah sie oft umwerfend aus, wobei bemerkenswert ist, dass sie am liebsten aufstrebende Designer beauftragte, deren Wiege in Asien oder Lateinamerika stand, statt etablierten Modehäusern den Zuschlag zu geben.

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Michelle Obama in einem Kleid von Jason Wu beim Inauguration Ball im Jänner 2009.
Foto: APA/EPA/CHIP SOMODEVILLA

Dass das Leben in der Machtzentrale ein sehr isoliertes sein kann, daraus hat sie nie ein Hehl gemacht. Kugelsicheres Fensterglas, auf dem Dach Scharfschützen, jede Fahrt in die Schule der Töchter könne schnell zu einem mittleren Staatsakt werden, plauderte sie gegenüber der Journalistin Jodi Kantor aus dem Nähkästchen. Malia und Sasha wollten schon gar nicht mehr, dass ihr Vater Elternsprechstunden besuche, "denn wenn er kommt, kommt gleich eine ganze Autokolonne".

Klartext zu reden, wann immer das Protokoll es zulässt, es ist ihr Markenzeichen. 2008, als manche ihren Mann zum Heilsbringer verklärten, war es Michelle, die Tochter eines Arbeiters der Wasserwerke, die Geschichten aus dem realen Leben erzählte. Es liege noch nicht lange zurück, dass sie beide, Barack und Michelle, ihre Studienschulden abgezahlt hätten. Im Übrigen, fügte sie schmunzelnd hinzu, lasse Barack überall im Haus seine Socken herumliegen.

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Michelle Obama beim demokratischen Parteitag im Sommer 2012.
Foto: AP Photo/Jae C. Hong

Nachdem Donald Trump die Wahl gewonnen hatte, redete sie sich ihren Frust von der Seele, ohne ihn hinter diplomatischem Wortnebel zu verbergen. Mit dem Land, sagte sie der Talkshow-Königin Oprah Winfrey, verhalte es sich wie mit einem Kleinkind, das hingefallen sei und nun auf die Erwachsenen schaue, um zu sehen, ob es wehgetan habe. Wenn man dann "Oh, mein Gott" schreie, beginne das Kind tatsächlich zu weinen. Wenn man aber tröste, ach, komm schon, das wird schon wieder, dann eher nicht. Für die US-Nation habe Barack die Rolle des Aufrichtenden gespielt. Mit Trump, sagte sie, sei das anders. (Frank Herrmann aus Washington, 19.1.2017)