So voll ist das Auditorium nicht bei jeder Fachtagung – wie hier bei der ersten Herzl-Vorlesung von Armin Wolf 2012.

Foto: Fidler

Franzisca Weder lehrt und forscht am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften der Universität Klagenfurt.

Foto: privat

Neulich in Salzburg: Mit den sogenannten Kommunikationswissenschaftlichen Tagen beging die Österreichische Gesellschaft für Kommunikationswissenschaft (ÖGK) im November ihr biennales Treffen – und diesmal kam noch das 40-jährige Jubiläum der eigenen Fachzeitschrift, des "Medienjournals", dazu. Geladen war die Community aus dem deutschsprachigen Raum, angelockt von dem Thema "postmediale Kommunikationskulturen".

Verflixt, denkt da der kritische Leser, jetzt hieß es doch eben noch "Mediengesellschaft" und "Die Medien durchdringen unseren Alltag", und nun ist alles schon wieder "post" und vorbei?

Die Vorträge, angeführt von den Keynotes des Soziologen Hartmut Rosa und des Medientheoretikers und Internetaktivisten Geert Lovink, waren inspirierend, die Zuhörerzahl überschaubar, die Themen hochaktuell, der Altersdurchschnitt irritierend hoch.

Obwohl selbst vom Fach – und zumal noch in einer Rolle als Vorsitzende oben genannter Community in Österreich –, drängt sich mir die Frage auf, ob sich Fachgesellschaften heute nicht quasi selbst überflüssig machen. Dazu drei kritische Anfragen ans uns WissenschaftlerInnen:

  • Postfaktisch: Vom Intellektuellenbegriff zur Allzweckwaffe – das Postfaktische ist heute in aller Munde. Doch neben einem neuen, besorgniserregenden Politikstil stellt sich die Frage, ob dementsprechend auch wissenschaftliche Erkenntnisse obsolet werden. Leben wir heute in einer neuen "Fake-News-Ära", die das Credo "Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast" abgelöst hat?
  • Postmedial: Die Beschleunigung kommunikativer Alltagsprozesse ist immens, die digitale Dauervernetzung eine Grundlage aktueller Gesellschafts- und Zukunftsdiagnosen. Ist der Begriff "postmedial" möglicherweise unser Tribut an einen immer "unfassbareren" Objektbereich? Entbindet sich die Medien- und Kommunikationswissenschaft mit diesem Begriff sogar ihres Gegenstands? Daneben sei vermerkt, dass unsere eigenen Studierenden heute ihre eigenen Blogs haben, twittern und programmieren; es stellt sich die Frage, was wir da – insbesondere in einer universitären medien- und kommunikationswissenschaftlichen Ausbildung – noch an Kompetenzen vermitteln können bzw. sollen?
  • Posthum: Das Konzept der Fachtagungen scheint in Anbetracht von Plattformen, Netzwerken, Foren etc. quasi überholt – wer trifft sich heute schon noch persönlich? Wissen ist überall und immer zugänglich, Vorträge, Studiendaten und entsprechende Publikationen sind online verfügbar; eine Fachtagung erscheint hier wie ein launiges Treffen im vielzitierten Elfenbeinturm, bei dem letztendlich der eigentliche Diskussionsgegenstand vernebelt wird.

Und doch, genau heute braucht es Fachgesellschaften – warum?

Erstens als Instanz – gerade im postfaktischen Kommunikations- und Informationssumpf. Eine Fachgesellschaft – und zwar weniger auf internationaler (ICA) oder europäischer Ebene (Ecrea) als gerade auf nationaler Ebene in Deutschland (dgpuk), der Schweiz (sgkm) oder eben in Österreich (ÖGK) – erarbeitet eine Linie für den Umgang mit Studienergebnissen und entsprechenden Daten; ebenso ist sie auch moralische Instanz für deren Weitervermittlung. Darüber hinaus kann und muss eine Fachgesellschaft auch ein Forum sein, in dem sich die wissenschaftliche Ausbildung über ihre Kernfunktion, die Vermittlung analytischer Kompetenzen bis hin zur Reflektionsfähigkeit oben angesprochener Entwicklungen, bewusst wird und dieses Bewusstsein immer wieder im Austausch mit dem eigenen Nachwuchs z. B. auf Fachtagungen schärft.

Zweitens als Transfer-Netzwerk. Die Dialektik zwischen einer weltfremden, theoriengeleiteten, unpolitischen Wissenschaft und einer methodisch "inkompetenten", laienhaften und nicht aktuellen Praxis besteht heute nicht mehr. Dementsprechend muss weniger die Anwendung der Wissenschaft in der Praxis als vielmehr die Anwendung der Praxis in der Wissenschaft zum Leitbild einer kommunikationswissenschaftlichen Fachgesellschaft werden. Neueste Erkenntnisse gehören auf Facebook, spannende Interviews auf Youtube und offene Fragen, die aus einem Projekt, aber eben auch einer Fachtagung entstehen, auf einen Blog.

Drittens als Kompetenznetzwerk für Medien- und Kommunikationskunde über alle Bildungsstufen hinweg, vom Kindergarten bis zur Universität. Medien sind heute als Werkzeug zu begreifen, dementsprechend gehören reflektierte Nutzungskompetenzen zu den Schlüsselkompetenzen der Zukunft. Und genau hier sind Fachgesellschaften die Instanz, die nicht so sehr als Elfenbein-, sondern vielmehr als Leuchtturm in der heutigen Mediengesellschaft und für deren Entwicklungen im digitalen Zeitalter funktioniert. (Franzisca Weder, 24.1.2017)