Autor Josef Winkler beschäftigt sich nunmehr auch mit dem Theater – und bedenkt seinen in Paris lebenden Dichterkollegen Peter Handke mit großzügigen Rationen iranischer Pappmachébleistifte.

Foto: Heribert Corn

Wien – Beginnend mit der Trilogie "Das wilde Kärnten" (1979 ff.) hat sich Josef Winkler gegen die Sprachlosigkeit und die Gewalt seiner patriarchal wie katholisch geprägten Kindheit im Kärntner Dorf literarisch erhoben. Der Autor nähert sich aus großer Distanz seinen schmerzvollen Heimaterfahrungen, blickt durch das Fremde auf das Eigene. Seine Novelle "Roppongi" (2007) ist ein Requiem für den Vater, der 99-jährig stirbt, während der Sohn in Tokio weilt. Das Landestheater Niederösterreich bringt das 160-Seiten-Prosawerk in der Regie von Julia Jost am Freitag zur Uraufführung.

Winkler: Darf ich etwas vorwegnehmen? Vor mir liegt eine Schachtel von der Post, gefüllt mit iranischen Bleistiftpaketen. Ich war im Mai in Teheran und habe Bleistifte gekauft. Der Kulturattaché hat mir freundlicherweise nun eine Schachtel nachgeschickt. Demnächst packe ich fünf oder zehn Pakete zusammen und sende sie Peter Handke. Er schreibt ja mit meinen Bleistiften.

STANDARD: Sie beide brauchen ja eine Menge davon.

Winkler: Er schon, ich nicht. Ich habe ja nur zwanzig Bücher geschrieben, er sechzig oder siebzig.

STANDARD: Aber Sie haben doch so viele Notizbücher vollgeschrieben.

Winkler: Dafür habe ich früher immer die Füllfeder verwendet, jetzt manchmal die Bleistifte. Die iranischen Bleistifte sind ganz besonders. Die sind aus gepresstem Pappmaché. Wenn man den Stift spitzt, dann sind die dabei entstehenden Spiralen bunt, wegen des Altpapiers. Handke hat mir geschrieben, wie der Wind die Spiralen aus seinem Garten weggetragen hat. So korrespondieren wir.

STANDARD: Schickt Ihnen Peter Handke denn auch etwas zurück?

Winkler: Ja, natürlich, Briefe. Ich halte ihn für den größten europäischen Autor der Gegenwart.

STANDARD: Sie haben mit "Specter of the Gardenia" 2015 Ihren ersten Text für das Theater geschrieben. Uraufführung war beim Steirischen Herbst. Hat diese Erfahrung Sie für das Theater eingenommen?

Winkler: Veronika Kaup-Hasler (Herbst-Intendantin, Anm.) hat mir bereits vor Jahren vorgeschlagen, einen Theatertext zu schreiben. Aber ich habe mich für Theater nie so besonders interessiert. Einige Jahre später sind wir einander in Klagenfurt wiederbegegnet, schwimmend im Wörthersee. Wir konnten einander zwar nicht die Hand geben, aber es war klar, jetzt muss was passieren. Im Trockenen hat sie dann riskiert, mir einen Auftrag zu geben, und ich habe riskiert, Ja zu sagen. Und jetzt habe ich fast ein Jahr an einem Text für das Burgtheater gearbeitet. Ich stecke in diesem Text so drin, dass daraus mehr wird, nämlich auch ein Buch, das 2018 bei Suhrkamp erscheinen wird.

STANDARD: Das gesprochene Wort wirkt anders als das geschriebene. Ist das beim Schreiben relevant?

Winkler: Nein. Es gibt ja nur mehr zwei, die klassisches Dialogtheater schreiben können, Felix Mitterer und Peter Turrini. Peter Handke hat einmal gesagt, er wisse überhaupt nicht, wie man ein Theaterstück schreibt. Und ich weiß schon gar nicht, wie man ein Theaterstück schreibt. Da aber "Specter of the Gardenia" eine ermutigende Erfahrung war, sehe ich es als Chance, da weiterzutun. Zufällig hat mich jetzt auch Florian Scholz, der Intendant des Stadttheaters Klagenfurt, kontaktiert.

STANDARD: Verändert sich Ihr Schreiben mit dem Fokus auf die Bühne?

Winkler: Meine Texte betrachte ich nach wie vor als Prosa. Ich merke allerdings, dass mir beim Schreiben doch wesentlich mehr sogenanntes "Gerede" und mehr "Reden" in den Sinn kommen.

STANDARD: "Roppongi" erschien vor zehn Jahren. Warum wird der Text jetzt auf die Bühne geholt?

Winkler: Ich hatte nichts dagegen. Meinem Text kann ja nichts passieren. Was die Theaterleute in St. Pölten daraus machen, ist ja etwas anderes. Ich finde es auch ganz schön mutig, mit diesem doch sehr prosaischen Text einen Theaterabend zu bestreiten.

STANDARD: Überprüfen Sie Ihre älteren Bücher manchmal?

Winkler: Es gibt Passagen, die ich von neuem beleuchte. Es ist ja bekannt, dass ich immer wieder denselben Stuss schreibe. Es geht mir da um Form und Stil, im Sinne von Handkes Die Wiederholung, also etwas "wieder holen", um das Vorhandene zu erweitern. Einmal hat jemand zu mir gesagt: "Seit du dieses Ministrantenleben beschrieben hast, wird niemand mehr über ein Ministrantenleben schreiben können". Das ist doch lächerlich. Aber mit dem Ministrieren ist es heute eh vorbei. Wer ministriert denn noch!? Ein paar Junge, und die laufen dann mit so weißen Ärztekitteln herum. Was für eine Pracht war das im Vergleich dazu früher, mit den weißen Spitzen auf dem roten Unterkleid! Da haben wir uns, speziell ich, ganz gezielt noch ordentlich transvestitisch betätigen können.

STANDARD: Das Todernste der Kirche ist längst gewichen.

Winkler: Und wie. In einem tief verschneiten Dorf um sechs Uhr in der Früh zur ersten Messe, zur Rorate, zu gehen, mit eiskalten Fingern niederzuknien, das war todernst! Als Ministrant musste ich in der eiskalten Kirche immer den Messwein wärmen, in einer Nische mit elektrischem Heizer. Einmal ließ ich den Wein zu lange in diesem Kasten mit den roten Drähten, und alles ist explodiert, die ganze Suppe ist überall hingespritzt. Dann durfte ich das Blut Christi nicht mehr aufwärmen. Das hat mich sehr deprimiert.

STANDARD: Strafe muss sein.

Winkler: Ja, sicher. Heute wäre es wahrscheinlich nicht einmal blasphemisch, wenn der Pfarrer sein Blut Christi in einer Thermosflasche in die Kirche mitbringt!

STANDARD: Sie tragen in "Roppongi" Ihrem verstorbenen Vater Ihre Liebe nach. Markiert das Buch mit seiner spürbaren Leichtigkeit eine Wende in Ihrem Schreiben?

Winkler: Da ist schon was dran. Als mein Vater starb, war ich in Tokio. Er hatte geahnt, dass es nicht gut ist, wenn ich als "Nestbeschmutzer" an seinem offenen Grab stehe – und er hat sich das Sterben dann so eingeteilt. Ich habe mich in "Roppongi" also aus der Fantasie heraus mit diesem Begräbnis beschäftigt. Das war das Glück. (18.1.2017)