der erste Lauf der VCM-Winterlaufserie

Christoph hatte es nicht einmal sarkastisch gemeint – und hatte mich auch nicht überraschen wollen. Aber als vergangenen Sonntagnachmittag seine Gratulation ankam, war ich baff. Schließlich laufe ich prinzipiell nie gegen, sondern immer mit anderen Leuten – und hatte es zweitens sowieso und nicht nur deshalb nicht darauf angelegt, in irgendeiner Wertung vorne zu sein.

Auch nicht beim ersten Lauf der VCM-Winterlaufserie: Bei dem waren wir vergangenen Sonntag angetreten. Und eben weil mir Ergebnisse und Reihungen in der Hobettenliga wurscht sind, hatte ich mir gar nicht die Mühe gemacht, meine Platzierung abzufragen.

Nur: Auch wenn ich mich – natürlich – drüber lustig machte: Ein bisserl stolz macht die silberne Erdbeere dann schon …

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Geplant war das nicht. Wirklich nicht. Dass ich bei einem der vom Vienna-City-Marathon abgehaltenen Vorläufe überhaupt antreten würde, hatte ich erst am Donnerstag oder Freitag beschlossen. Weil ich mich längst nicht für wettkampffit halte. Weil ich nicht mal genau weiß, auf welche großen Läufe ich heuer hintrainiere. Und weil mein Verhältnis zu den Veranstaltern der beiden Wiener Winterlaufreihen (eben die Winterlaufserie des VCM und die Eisbärläufe des LCC) nicht ganz friktionsfrei ist.

Foto: thomas rottenberg

Andererseits sind solche Läufe sehr brauchbare Standortbestimmungen: Wo bin ich? Worauf kann ich aufbauen? Bei mir läuft es langsam wieder. Trotzdem tippte ich mir an die Stirn, als Harald Fritz, der Chef des "Teams Ausdauercoach", meinte: "Leg den 14er auf rund eine Stunde an." Sicher nicht: "No way. 4'50er-Schnitt. Mit viel Glück 4'40er. Mehr ist in diesem Leben nimmer drin." Fritz sah mich spöttisch an: "Schau einfach, was geht – und renn mit der Moni."

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"Die Moni" kenne ich seit meinem Start beim New-York-Marathon. Das ist so lange her, dass es gar nimmer wahr ist. "Die Moni" heißt in Wirklichkeit Monika Kalbacher und ist vermutlich Österreichs schnellste Flugbegleiterin.

In New York lief sie damals Sub-3 – und seit damals ist sie in allen sportlichen Belangen in einer anderen Liga als ich daheim. Verletzt waren wir zuletzt aber beide: Auch "die Moni" tippte sich bei Fritz' Ansage an die Stirn. Nicht meinetwegen.

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Läufe wie die Winterlaufserie sind auch aus anderen als wettkämpferischen Gründen fein. Man sieht und trifft einander. Alte Bekannte, Freunde, Wahlverwandte, Leute, die man vielleicht doch länger nicht gesehen und gegrüßt hat: In der Jedermann- und Jederfrau-Liga haben Laufevents durchaus Familientreffen-Charakter.

Natürlich gibt es auch immer wen, der so auf Anschlag rennt, dass er oder sie nicht plaudern kann – aber "Hi, wie geht's" geht sich meist aus.

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14k in einer Stunde bedeutet eine 4'17"er-Pace. Das bin ich nicht. Ich schloss einen Kompromiss mit mir: Ich würde "falsch" starten. Also deutlich schneller losrennen, als ich es mir für den Schnitt zutrauen oder gar einplanen würde. 4'30" zum Beispiel. So – mit einem zu schnellen Beginn – verliert man Läufe: Die Sekunden, die man am Anfang rausholt, verliert man am Ende in Minuten. Mindestens. Ein Anfängerfehler – den auch routinierte Läuferinnen und Läufer ständig machen: Sich an wen anhängen, der nur ein Eitzerl schneller ist, als man es selbst kann, endet meist fürchterlich.

Deshalb freute ich mich zwar, als ich nach rund drei Kilometern plötzlich auf Monika Kalbacher auflief – aber ich ahnte, wie das ausgehen würde: Nicht gut. Egal. Den Fehler hätte ich diesmal bewusst gemacht: Standortbestimmung halt.

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Mir ging es gut. Bei Moni lief es dagegen nicht ganz so rund. Sowas kommt vor – und das muss man dann einfach akzeptieren: Auch das ist Teil des Reizes des Laufens. Zu Lernen, dass man keine Maschine ist, die immer gleich und immer gleich rund läuft – und von der man durch solides Training garantiert und punktgenau bessere Leistungen abrufen kann: Jeder Lauf ist anders – weil jeder Tag anders ist. Schlaf, Job, Wetter, Futter, Psyche – alles spielt eine Rolle. Beeinflusst jeden und jede. Und es ist gut, richtig und lehrreich, immer wieder darauf hingewiesen zu werden.

Auch, wenn es manchmal so gar nicht das ist, was man sehen oder spüren will.

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Die Winterlauf-(aber auch die Eisbären-)Runde in Wien ist einfach angelegt: die Hauptallee ab Happel-Stadion-Höhe raus, dann die Runde über die Lusthausstraße rund ums Heustadlwasser. Bei der Stadionallee zurück auf den "Strip", also die Hauptallee. Bis zum U-Turn stadteinwärts – und zurück zum Start.

Der Vorteil: Da man den Wendepunkt nach Maß setzen kann, ist praktisch jede Streckenlänge möglich.

Der Nachteil: Wenn es in Wien windig ist, bläst einem der Wind auf der Hauptallee entgegen. Da der Wind in Wien meist von Westen bis Nordwesten kommt, hat man auch auf der gewundenen, längeren Heustadlseite länger Gegenwind. Und in Wien ist es fast immer windig.

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Deshalb wunderte ich mich auch nicht, dass ich auf der PHA in meinem Nacken Atem und knapp hinter mir Schritte hörte: Ein bisserl Windschutz tut immer gut – und allem Anschein hatte ich eine Pace drauf, die für irgendwen angenehm und brauchbar war.

Als ich über die Schulter schaute, war ich aber baff: Jacqueline Kallina ist Triathletin, gehört ebenfalls zu Fritz' "Team Ausdauercoach" – und läuft, schwimmt, radelt mir so was von um die Ohren, dass ich normalerweise nicht mal ihre Startnummer lesen kann. Auch wenn Jacqueline heute den 21er und ich nur den 14er anpeilte und sie mich nach dem U-Turn erwartungsgemäß stehenließ, war das ein Indiz: Etwas war anders. Lief gut.

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Halbzeit. Sieben Kilometer. Die Bruttozeit unterm Zielbogen. Ich sah auf meine Uhr. Auch hier die Bestätigung: knapp mehr als 30 Minuten für die halbe Strecke. Weit schneller, als ich es geplant oder angedacht hatte. Aber "besser"?

Das kann man so nicht sagen: Ich hatte jetzt ja Rückenwind. Und das dicke Ende würde noch kommen. Spätestens dann, wenn ich nach dem nächsten Kilometer wieder im Wind stehen würde. Aber: Schaun wir mal – es geht ja um nix.

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"Na, den STANDARD lass ich sicher nicht unüberholt." Irgendwann gewöhnt man sich an solche Eröffnungen nicht nur, sondern freut sich sogar drüber. Denn Ansagen wie diese sind weder böse noch feindselig – und ein bisserl Zwicken ist absolut okay. "Helmut", stellte sich der Mann vor, den ich seit längerem vor mir gehabt hatte – und der zuletzt immer wieder vom Laufen ins Gehen gewechselt war.

Als ich ihn etwa bei k10 überholte, gab er sich einen Ruck – und zog an. "Wenn man über 50 ist, schmeißt einen der kleinste Schnupfen zurück", seufzte er, als wir gleichauf waren. Er straffte sich, setzte sich neben mich und dann vor mich – und war wieder vorne weg.

Irgendwann, glaube ich, habe ich ihn dann zwar wieder eingeholt. Aber sicher bin ich mir nicht. Und: Darum geht es auch nicht. Ich war aber ein bisserl stolz darauf, Helmut motiviert zu haben, dort, wo er Tempo und Druck rausgenommen hatte, eben doch diesen einen Tick mehr zu geben, als er es sonst getan hätte.

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Zweites Drittel der zweiten Runde. Der U-Turn in Sichtweite. Ab dort wären es nur mehr zwei Kilometer ins Ziel – mit Rückenwind. Auf der Gegengeraden: Jacqueline. Gar nicht so weit vor mir, wie ich gedacht oder erwartet hatte. Aber so fokussiert, dass sie auf mein "Hi" nicht wirklich reagierte. Gut so: Sie hatte eine Runde mehr vor sich.

Die Triathletin hier so knapp vor mir zu sehen war gleichzeitig Ansporn und Warnung: runter vom Gas. Druck rausnehmen. Jetzt nicht übermütig werden. Zwei Kilometer sind endlos lang, wenn der Tank leer ist. Und das kann schnell passieren, wenn man mit einer Pace unterwegs ist, die man nicht kennt oder gewohnt ist.

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Aber es ging sich aus. Sehr gut sogar: knapp auf Anschlag zwar, aber eben nie drüber. Eine Stunde zwei Minuten und vier Sekunden brutto sind bei einem kleinen Event zwar auch netto mehr als eine Stunde, aber: na und? Ich hätte mir ja nicht einmal diese Zeit auch nur annähernd zugetraut.

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Zwei Minuten später kam Monika: 1:04:15. Und auch wenn sie damit nicht wirklich happy war, ist das eine Hammerzeit. 29. im Gesamtranking, viertbeste Frau. Zweite ihrer Altersklasse. Und auch Jacqueline Kallina hatte – wenig später dann – ein Superrennen hingelegt: 1:32:42 machen ihr auch die meisten Männer nicht so rasch nach. 29. in der Halbmarathon-Mix-Wertung. Viertbeste Frau. Zweite ihrer Altersklasse. Und so weiter.

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Und ich? 1:01:51. Das ist der 25. Gesamtrang und der zweite Platz in meiner Altersgruppe. Auch wenn ich solche Altersklassen-Resultate gern als "Mumienwertung" abtue, erwische ich mich dann doch mit einem kleinen stolzen Grinser. Und ja, ich weiß, dass es bei derartigen Läufen um genau gar nix geht. Schon gar nicht in Leistungsbereichen wie meinem. Aber andererseits: Wen etwas – egal was – Menschen Freude macht und gleichzeitig keinem wehtut, ist es gut, schön und begrüßenswert.

Deshalb finde ich es auch super, dass die VCM-Veranstalter heuer zum ersten Mal auch bei diesen Vor- und Trainingsläufen Finishermedaillen verteilen und es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern freistellen, sich ihre Zeiten da eingravieren zu lassen: Es gibt Menschen, die auch auf einen 7k-Lauf in einer Stunde 20 stolz sind. Zu Recht. Weil sie ein Ziel erreicht haben, das sie sich selbst gesteckt haben.

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Und das bringt mich zum – wirklich einzigen – Kritikpunkt an diesem ansonsten perfekt, freundlich, flüssig und herzlich organisierten und abgewickelten Event eines Veranstalters, an dem ich sonst eine Menge auszusetzen habe: Die Finishermedaillen sind eine feine und sympathische Geste. Aber wenn man sie den Läuferinnen und Läufern, statt im Plastiksackerl eingepackt hinter der Ziellinie in die Hand, am Band (wie überall anders üblich) um den Hals hängt, wäre das nur ein kleiner Handgriff mehr. Aber die Botschaft käme ganz anders an. (Thomas Rottenberg, 18.01.2017)

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