Pianist Brad Mehldau – mit Vater Bach und Eklektik.

Foto: Lucchesi

Wien – Die pianistische Solosituation ist historisch stark durch den recht sensiblen Selbstquäler Keith Jarrett besetzt. Er legt seine Séancen seit Jahrzehnten als Versenkungsreisen Richtung inspirative Erlösung an. Das tangiert zwar Mainstreamkollegen, etwa jene in der Nachfolge eines Oscar Peterson, wenig. Brad Mehldau allerdings, der im Wiener Konzerthaus unbegleitet in Erscheinung trat, agiert wie Jarrett im Rollensegment "exzentrisch-emphatischer Virtuose" und muss seinen Platz finden, ohne sich im Schatten des Kollegen zu verkühlen.

Der Amerikaner ist, seit er Mitte der 1990er-Jahre als wichtiger Vertreter der neuen Jazzgeneration erkannt wurde, umgeben vom Nimbus des grübelnden Jazzromantikers. Standards (als Zugabe gibt er entspannt Gershwins How Long Has This Been Going On?) und Popsongs spielt er nicht einfach, er versinkt in ihnen. Auch sucht er in eigenen Kompositionen die Nähe zur Klassik und steht insgesamt für Jazz abseits der Routine.

Vitrinenstücke und Ausflüge

So jemand begibt sich nicht einfach in die Solosituation, um seinem aus Authentizität erwachsenen Image gerecht zu werden. Mehldau wird bei seinem aktuellen Projekt vielmehr zum Interpreten des Wohltemperierten Klaviers von Vater Bach (anfangs eine solide, gemütliche Version des Präludiums Nr. 3 in Cis-Dur, Band I). Zudem präsentierte er sich als Komponist, der den großen Kontrapunktiker in seinen Three Pieces after Bach paraphrasiert. Und auch als reiner – hier von Bach animierter – Improvisator ist Mehldau tätig.

Der Abend bietet ganz vieles: Da finden sich quasi in die Vitrine des Besonderen gestellte Jazzklischees ebenso wie liebliche Ausflüge zu popsongartigen Passagen.

Originell gestaltet Mehldau die Schlüsse mancher Stücke und Improvisationen: Da wird eine mitunter bluesige Schlusskadenz wieder und wieder beschworen, jedoch immer mit anderer sehr intelligenter Pointierung. Mitunter nimmt Mehldau auch das (rhythmisch dahingroovende) Barock auf, übernimmt dessen Energie einstimmig und extrapoliert harmonisch. Besonders dicht klingt es, wenn Mehldau nach Einsatz der Allemande aus der Bach'schen Partita Nr. 4 irgendwann ein Riff an die Linke übergibt, um in Folge improvisierend abzuheben. Da klingt er ein bisschen wie Jarrett – allerdings ebenso überzeugend. (Ljubisa Tosic, 16.1.2017)