Marie-Janine Calic, "Südosteuropa – Weltgeschichte einer Region". € 39,10 / 704 Seiten, C.-H.-Beck-Verlag, München 2016

Foto: C. H. Beck

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Dieses Wort Mark Twains stellt Marie-Janine Calic an das Ende ihres Buches. Twain war mit Nikola Tesla befreundet. Teslas Biografie wiederum ist eine Art Leitmotiv dieser höchst bemerkenswerten historischen Abhandlung, die man zu den Standardwerken über Südosteuropa zählen muss.

Nikola Tesla, 1856 als Sohn eines serbisch-orthodoxen Priesters im heutigen Kroatien an der Militärgrenze des Habsburgerreiches zu Serbien geboren, wurde zu einem der originellsten Naturwissenschafter seiner Zeit. Von 1875 bis 1877 studierte er an der Technischen Universität Graz. Dabei eignete er sich die Grundlagen der Elektrotechnik an. Auf Basis dieses Wissens machte er später in Paris und New York bahnbrechende Erfindungen. Er erfand etwa Radioübertragung, AC-Motor und elektrische Fernsteuerung. Spule, Transformator und Turbine sind nach ihm benannt, und "Tesla" ist die physikalische Einheit der magnetischen Flussdichte. Schließlich gehört auch das Tesla-Elektroauto, das weltweit Furore macht, zu seiner Erbschaft, wie Calic anmerkt.

Zum 160. Geburtstag Teslas wurden am 12. Dezember in der nach ihm benannten Hochspannungshalle der TU Graz Experimente in seinem Geist durchgeführt: die Simulierung von Überschlagsspannungen und Blitzen zur Überprüfung technischer Komponenten.

Teslas Geist? Er zielte weit über das Materielle hinaus, begeisterte sich für die Spiritualität des Hinduismus, strebte "die vollkommene Herrschaft des Geistes über die stoffliche Welt" an. Seine wissenschaftliche Vision waren drahtlose Energieübertragung und Nachrichtenübermittlung. "Entfernung, das Haupthindernis menschlichen Fortschritts, wird im Denken, Reden und Handeln vollkommen beseitigt werden. Die Menschheit wird vereint sein und Kriege unmöglich werden."

Hier irrte der Visionär leider gewaltig. Dass drahtlose Nachrichtenübermittlung gerade die Möglichkeiten der Kriegsführung erweitert hat – Stichwort Drohnen -, war in Teslas vergeistigtem Weltbild nicht vorgesehen. Das ändert nichts an der Bedeutung dieses unkonventionellen Denkers und Forschers. Mit Herkunft, Werdegang und Werk steht er für die kulturelle Vielschichtigkeit, das kreative Potenzial und die Weltoffenheit einer Region, der noch immer das Hinterwäldlerische als prägendes Stereotyp anhaftet. Calic, Professorin für die Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, rückt dieses Bild nachhaltig zurecht. Auf spannende Art stellt sie die Entwicklung des Balkans in den globalen Kontext. Dabei versucht sie möglichst alle Dimensionen – soziale, wirtschaftliche, politische, kulturelle und menschliche – in ihrer Wechselwirkung einzubeziehen, und das gelingt ihr hervorragend. Die eingestreuten Biografien von Persönlichkeiten wie Tesla vermitteln auch die Denkweise der Zeitgenossen, ob in Zustimmung oder Ablehnung.

Zu weiteren Glanzstücken des Werkes zählen in den jeweiligen historischen Abschnitten Kapitel, in denen die Autorin konkrete Orte in einem bestimmten Schlüsseljahr beleuchtet: etwa Istanbul 1683, Ragusa (Dubrovnik) 1776, Plovdiv, Sredna Gora und die Rhodopen 1876 (blutig niedergeschlagener Aufstand der Bulgaren), Belgrad 1913 (am Vorabend des Ersten Weltkriegs) oder Sarajevo 1984 (Olympische Winterspiele).

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Die aktuellen Probleme der EU mit einer in die Diktatur abdriftenden Türkei, das zwiespältige Verhältnis zwischen Sultan Erdogan und Zar Putin, die offensive Strategie Russlands auf dem Balkan können als Reime auf die Geschichte gelesen werden, gewissermaßen als Neuauflage der ominösen Orientalischen Frage. Ebenso wie Österreichs Kooperation mit mehreren Balkanländern bei der Schließung der Grenzen für Flüchtlinge und Wiens Alleingang mit der Forderung, die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara einzufrieren. Schimmert da die alte Rivalität zwischen Habsburgern und Osmanen in Südosteuropa durch?

Seit der Frühen Neuzeit habe der Balkan als Labor gedient, neue Instrumente der Diplomatie und des Völkerrechts sowie der Krisenbewältigung zu entwickeln, schreibt Calic. Als Beispiele nennt sie den griechischen Unabhängigkeitskrieg Anfang des 19. Jahrhunderts, der angesichts unvorstellbarer Gräueltaten zur Geburtsstunde der "humanitären Intervention" wurde; oder, Jahrzehnte später, die ersten internationalen Polizeiaktionen der Großmächte in Kreta und Makedonien; oder die ersten organisierten Bevölkerungstransfers zwischen Türken und Griechen in den 1920er-Jahren – möglicherweise eine Art Vorbild für die blutigen "ethnischen Säuberungen" beim Zerfall Jugoslawiens.

Schon im 19. Jahrhundert sahen politische Visionäre in einer Balkanföderation nach dem Muster der USA und der Schweiz einen Weg, die Region nachhaltig zu befrieden. Die EU-Mitgliedschaft Sloweniens, Kroatiens, Rumäniens und Bulgariens und die Beitrittsperspektive für die Länder des Westbalkans sind, wenn man so will, der historische Reim darauf. An seinen Verfassern liegt es, ob er harmonisch oder schrill ausfällt. (Josef Kirchengast, 17.1.2017)