Foto: APA/AFP/JIM WATSON

Es riecht nach Salz vom Meer, schattige Wege unter ausladenden Bäumen führen zu weiß getünchten Hallen. Ein Basketballplatz, dekorative Palmen dürfen nicht fehlen, der Blick geht auf grüne Hügel, die das nahe Manoa Valley säumen. Es dürfte nicht viele Schulen geben, die es mit dem Postkartenidyll der Punahou School aufnehmen könnten – der prestigeträchtigsten Privatschule Hawaiis, 1841 von Missionaren gegründet, deren Name "Neuer Frühling" bedeutet. Die Atmosphäre ist so friedlich, wie die Flora ringsum üppig. Barack Obama hat einst hier gelernt.

Vielleicht muss man wirklich bis nach Honolulu fliegen, um Obama zu verstehen. Um zu begreifen, warum er als Präsident so rational und unaufgeregt wirkte, das personifizierte Kontrastprogramm zu seinem Nachfolger Donald Trump, dem polternden, dünnhäutigen Milliardär und Wutbürger.

Dass er so gelassen sei, hat er dieser Tage dem Magazin "National Geographic" erklärt, habe auch mit dem Ort seiner Geburt zu tun. "Die Leute fragen mich immer, wie ich so ruhig bleiben kann, wenn um uns herum so viel Verrücktes passiert." Nun, er stamme aus Hawaii, wo man jederzeit in den Ozean springen könne und das Leben in ziemlich harmonischen Bahnen verlaufe. Die Stadt Honolulu liegt mitten im Pazifik, Tokio ist näher als New York. Wer aus Hawaii kommend eine Karriere am Festland anstrebt, bleibt wohl lange ein Exot.

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Barack Obama zog als erster schwarzer Präsident ins Weiße Haus ein. Im Bild beim Besuch einer Schulklasse.
Foto: AP / Pablo Martinez Monsivais

Beobachter als Präsident

Denn gelassen ist nichts am amerikanischen Diskurs. Es dürfte unter den westlichen Demokratien keine andere geben, in der es verbal derart zur Sache geht, häufig nicht nur hemdsärmelig direkt, sondern regelrecht schroff. So gesehen wirkt "No-Drama-Obama", wie seine Berater ihn nennen, bisweilen noch immer, als gehöre er nicht richtig dazu. Als wäre er ein neugieriger Beobachter, der von außen auf sein Land blickt und sich manchmal nur wundern kann, weil rationale Lösungsansätze ein ums andere Mal übertönt werden vom Lärm der Profilierungsgefechte in Washington.

Der Satz, mit dem er 2004 auf dem Parteitag der Demokraten in Boston auf der großen Bühne der Politik erschien, ist zwar unendlich oft zitiert worden, doch beim Versuch, eine Bilanz der Obama-Jahre zu ziehen, führt kein Weg an ihm vorbei. "Ein liberales Amerika und ein konservatives Amerika gibt es nicht, es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika. Ein schwarzes Amerika und ein weißes Amerika, ein Amerika der Latinos und ein asiatisches Amerika gibt es nicht, es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika."

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Obama auf dem Parteitag der Demokraten in Boston 2004.
Foto: REUTERS/Brian Snyder

Es war sein Credo, nichts daran war gekünstelt. Jemand, der mitten im Pazifik aufwuchs, mag sie tatsächlich nur als grotesk empfinden, die politische Spaltung in Washington, die Schluchten zwischen Demokraten und Republikanern, die immer tiefer werden.

Brillante Reden

Als Obama im Februar vor zehn Jahren an den Start des Kandidatenrennens ging, hatte ich gerade angefangen als USA-Korrespondent. Klirrende Kälte in Springfield, Illinois. Auf den Stufen des Old State Capitol sprach der aufstrebende Senator von Abraham Lincoln, der 1858 an gleicher Stelle mit Worten für die Geschichtsbücher die Sklaverei verdammt hatte. "Wo Lincoln ein geteiltes Haus aufrief, zusammenzustehen, stehe ich heute vor euch und gebe meine Kandidatur für die Präsidentschaft bekannt", sagte Obama.

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Obama verkündete im Februar 2007 in Springfield, Illinois, dass er sich als Präsidentschaftskandidat der Demokraten bewirbt.
Foto: APA/EPA/EPA/TANNEN MAURY

Von da an sollte er noch des Öfteren von Lincoln sprechen, dem schlaksigen Anwalt aus der Provinz, den Amerikaner in der Rangfolge ihrer Präsidenten als den Größten ansehen, mindestens auf einer Stufe mit George Washington, vor Franklin D. Roosevelt, Ronald Reagan und John F. Kennedy.

Mit brillanten Reden weckte er die Erwartung, mit ihm würde ein zweiter Lincoln im Weißen Haus einziehen, zumindest ein zweiter Kennedy. Oder eine Art Ronald Reagan der Linken, der die Gesellschaft umkrempeln würde, wie Reagan es in den 1980er-Jahren getan hatte. Der nach drei Jahrzehnten, in denen konservatives Gedankengut die Agenda mehr oder weniger beherrschte, auch unter dem Demokraten Bill Clinton, das Ruder herumwerfen würde. Er wolle ein transformativer Präsident sein, hat Obama in Springfield gesagt. Die Euphorie, die er damit links der Mitte auslöste, beruhte auf einem Missverständnis.

Pragmatisch statt kühn

Wähler, die im November 2008 geglaubt hatten, sie delegierten einen kühnen Reformer in die Machtzentrale, sahen sich bald eines Besseren belehrt. So inspirierend Obama am Rednerpult wirkte, im Regierungsalltag entpuppte er sich als Pragmatiker, der überaus gründlich abwog, ehe er sich zum Handeln durchrang. Und dann mit der Vorsicht des Juristen, der er mit dem Studium in Harvard geworden war.

Obama überließ es Bankern der Wall Street, nach der Finanzkrise neue Regeln für die Wall-Street-Banken aufzustellen. Das Gefangenenlager Guantánamo, das er binnen eines Jahres zu schließen versprach, wurde auch deshalb nicht geschlossen, weil der Präsident nur halbherzig kämpfte.

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Im Jahr 2009 unterschrieb Obama einen "Executive Order" zur Schließung Guantánamos. Acht Jahre später existiert das Gefangenenlager immer noch.
Foto: AP Photo/Charles Dharapak

Die Gesundheitsreform, die er 2010 im Kongress durchsetzte, entsprang einem Kompromiss mit den Versicherungskonzernen, und am Ende stellte sie keinen zufrieden: Linken Demokraten ging sie nicht weit genug, die Tea-Party-Bewegung sprach zornig von gefährlichen Irrwegen hin zu sozialistischen, jedenfalls "unamerikanischen" Verhältnissen.

Das Konjunkturpaket, das Obama 2009 schnürte, damals schon gegen den Widerstand der Republikaner, die ihm jegliche Kooperation verweigerten, weil sie ihn nach nur einer Amtszeit aus dem Oval Office drängen wollten, wog aus Sicht des Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman nicht schwer genug. Die Schere der sozialen Ungleichheit ist im Laufe der vergangenen acht Jahre noch weiter aufgegangen, aller Rhetorik Obamas zum Trotz.

Kultureller Kontext

Warum er nicht energischer handelte? Nicht entschlossener eintrat für seine Agenda? Man dürfe den kulturellen Kontext nicht vergessen, gibt die in Princeton lehrende Nell Painter zu bedenken, eine der führenden Historikerinnen der USA. Die weißen Mittelschichten seien ihm, dem schwarzen Mann im Weißen Haus, mit latentem Misstrauen begegnet.

"Das war ihr Bauchgefühl", sagt Painter. "Er musste zunächst mal beweisen, dass er kein Kommunist war", spitzt sie es zu. Vielleicht habe er sich deshalb nicht getraut, manches von dem in Angriff zu nehmen, was er im Wahlkampf angekündigt hatte.

Und doch. Ohne Obamacare, die Gesundheitsreform, wären noch immer rund 20 Millionen Amerikaner, die mittlerweile krankenversichert sind, ohne jeglichen Schutz. Ohne das Konjunkturpaket des Jahres 2009 hätte sich womöglich die Große Depression der 1930er-Jahre wiederholt. Ohne die liberale, tolerante Haltung des "Regenbogenpräsidenten" hätte es womöglich viel länger gedauert, bis der Oberste Gerichtshof in Washington die gleichgeschlechtliche Ehe legalisierte.

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"Obamacare" sollte das Vermächtnis Barack Obamas werden.
Foto: Picturedesk / Yoon S. Byun

Späte Wertschätzung

Obama untersagte der CIA das Foltern, nachdem die Regierungsanwälte Bushs das Waterboarding zum legitimen Mittel im "Krieg gegen den Terror" erklärt hatten. Er ebnete dem Pariser Klimaschutzabkommen den Weg, nachdem sich, gefördert durch sein Kabinett, auch in den USA erneuerbare Energieformen durchgesetzt hatten: Die Zahl der Arbeitskräfte in Solar-Unternehmen wächst heute zwölf Mal schneller als in der Volkswirtschaft insgesamt.

Obamas Leistungen, sagte Annette Gordon-Reed, eine Harvard-Historikerin, neulich bei einer Diskussionsrunde der Zeitschrift "New Republic", werde man erst in ein paar Jahren, womöglich Jahrzehnten, richtig einschätzen können. Womöglich werde Amerika erst nach der Ära Trump lernen, was es an dem Mann hatte.

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Barack Obama traf Donald Trump nach dessen Wahlsieg im Oval Office.
Foto: Reuters / Kevin Lamarque

Alles in allem ist es eine gemischte Bilanz. Als ihm klar war, dass ihm die Republikaner mit ihrer Mehrheit im Parlament innenpolitisch keine großen Sprünge mehr gestatteten, prägte er die Metapher vom Staffelläufer. Man übernehme den Stab und reiche ihn weiter, es sei ein langes Rennen, man könne zufrieden sein, wenn man das Land in besserem Zustand übergebe, als man es übernommen habe. "Don't do stupid stuff" ("Tu nichts Dummes"), lautete seine Maxime.

Hoffen auf ein Wunder

Eine gemischte Bilanz, das ließe sich auch über ein Thema sagen, das schon wegen der Geschichte von Sklaverei und Diskriminierung ein emotional aufgeladenes ist. Über die Rassenbeziehungen. Allein schon die Tatsache, dass ein Politiker mit dunkler Haut an der Pennsylvania Avenue regierte, sagt Thomas Frank, einer der scharfsinnigsten US-Politikwissenschafter, habe den Relikten rassistischen Überlegenheitsdünkels einen Schlag versetzt. Eine schwarze Musterfamilie im Weißen Haus, ohne auch nur den Hauch eines Skandals, auch das habe unverbesserlichen Rassisten die Argumente genommen.

Andererseits sehen sich gerade schwarze Amerikaner in ihren Erwartungen enttäuscht. Wie hoch die einst waren, war am Tag nach der historischen Wahl des Novembers 2008 in Altgeld zu erleben, einer afroamerikanischen Armensiedlung im Süden Chicagos. Dort hatte sich Obama vor seinem Studium an der Eliteuniversität Harvard als Sozialarbeiter engagiert, und nach seinem Sieg hofften die Menschen in Altgeld auf ein kleines Wunder.

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Zusammen, bisweilen gegen den Rest der Welt: Barack und Michelle Obama feiern nach der Amtseinführung im Jänner 2009 im Ballsaal des National Building Museum in Washington.
Foto: AP / Charles Dharapak

Ein Frühpensionist namens Eddie Brown sprach von Fabriken, die sich dort, am vergessenen Südrand Chicagos, bald wieder ansiedeln würden. Vielleicht Stahl, so wie früher, vielleicht Textil. Es gehe um die Jungen in seinem Viertel, mit Obamas Sieg scheine Licht am Ende des Tunnels auf. "Sie haben Chancen, jetzt können sie träumen."

Die Hoffnung auf grundlegende Besserung erwies sich als trügerisch, und spätestens in Ferguson wurde sie zu Grabe getragen. In der Satellitenstadt am Rand von St. Louis, wo sich angestauter Zorn auf die Polizei nach tödlichen Polizistenschüssen auf den schwarzen Teenager Michael Brown in Unruhen entlud.

Fehler in Libyen

Schließlich die Außenpolitik. In Syrien zog Obama eine rote Linie, die ohne Konsequenzen blieb, als Chemiewaffen eingesetzt wurden. Militärisches Eingreifen kam für ihn nicht infrage, nicht nach den Erfahrungen des Krieges im Irak. Dass er 2011 in Libyen intervenierte, um Mummar al-Gaddafi zu stürzen, hat er im Nachhinein als Fehler bezeichnet. Die Normalisierung mit Kuba war überfällig. Wirklich gekämpft hat er für das Atomabkommen mit dem Iran, seinen vielleicht größten Erfolg, errungen gegen härtesten Widerstand.

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In der US-Bevölkerung gab es auch Unterstützung für das Atomabkommen mit dem Iran.
Foto: REUTERS/Yuri Gripas

Dann wäre da noch die Stilikone Obama. Mit welcher Leichtigkeit er durch den Alltag spazierte, die Worte so elegant wie sein Auftreten, beeindruckte selbst seine Gegner. Cool bis in die Haarspitzen. Nur einmal hat er in der Öffentlichkeit die Fassung verloren.

Nach dem Amoklauf eines geistig Verwirrten an der Sandy-Hook-Grundschule in Connecticut war ihm anzumerken, wie sehr ihn die Tragödie schockierte. Gegen Tränen ankämpfend, sprach er von den toten Kindern, von Erstklässlern, die ihr gesamtes Leben noch vor sich hatten, "Geburtstage, Abschlussfeiern, Hochzeiten, eigene Kinder". Dass er scheiterte bei dem Versuch, die Waffengesetze zu verschärfen, ist nach Obamas Worten der Punkt, der ihn am meisten frustriert. (Frank Herrmann, 15.1.2017)