René Descartes hätte seine Zweifel gehabt, hätte er das Tanztheater KörperVerstand von Steffi Jöris und Anna-Luise Braune betrachtet, das derzeit im Dschungel Wien zu sehen ist. Denn dieses Stück für Besucher ab vierzehn Jahren reicht den kartesianischen Dualismus "res extensa" (Körper) und "res cogitans" (Denken) so frisch herüber, als hätte sich daran seit dem 17. Jahrhundert nichts geändert. Dass Körper und Geist zusammengehören, ist erwiesen. Bei Jöris und Braune treten Körper und Verstand trotzdem gegeneinander an und lassen gleich ein paar Klischees auf die Bühne.

DSCHUNGELWIEN

Der körperliche Part wird von einer Frau getanzt, der Verstand von einem Mann. So viel zu einem halben Jahrhundert Genderdiskurs. Dem Körper-ist-gleich-Gefühl wird die Farbe Weiß, dem Verstand-ist-gleich-Mann Schwarz zugeordnet. Und ein zweiter Herr erklärt dem Verstand von seinem gefühlig-rational bespielten Keyboard her, dass er nicht so verklemmt sein soll: "Scheiß dich nicht an, mach!"

Körperweisheit

Was machen Menschen ab 14, die gelernt haben, dass Schwarzweißdenken unterkomplex ist, dass Frauen gleich viel Verstand wie Männer haben und dass Denken eine Kunst sein kann, mit diesen Informationen? Unter Tänzerinnen und Tänzern herrscht die Hybris, sie hätten die Körperweisheit quasi gepachtet. Ihnen wird oft das Vorurteil entgegengebracht, es gebreche ihnen an Verstand. Beide Klischees sind fast ausgestorben. Hätten sich Jöris und Braune mit ihrer eigenen Kunstform besser beschäftigt, stünden sie nach dieser Uraufführung nicht im Ruf, sie wiederzubeleben. (ploe, 12.1.2017)