Flüchtlinge aus Ungarn bei ihrer Ankunft am Samstag, 5. September 2015, an der Grenze zu Österreich in Nickelsdorf im Burgenland

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Will gemeinsame Linie bei Europa in Sachen Obergrenze: Vizekanzler Mitterlehner

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Wien/Pöllauberg – Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) reagierte reserviert auf den ÖVP-Vorschlag, die Flüchtlingsobergrenze für 2017 auf rund 17.000 Personen zu halbieren: Die Zuwanderung zu regulieren, sei eine "große Aufgabe" und es gebe viel zu tun, sagte Kern Mittwochabend in der "ZiB 2" – "da wird's nicht reichen, wenn wir eine statistische Größenordnung auf ein Blatt Papier schreiben".

Kanzerl Kern präsentierte Mittwochabend seinen "Plan A" in Wels.
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Den ÖVP-Vorschlag habe er "mit Interesse gelesen", sagte Kern. Entscheidend sei, sich klar dazu zu bekennen, Flüchtlinge menschlich zu behandeln und humanitären Verpflichtungen nachzukommen. Klar sei aber auch, dass die "Wanderungsbewegung" Österreich an seine Grenzen der Fähigkeit bringe, weitere Menschen zu integrieren. Eine Begrenzung der Zuwanderung sei das Ziel und man habe Maßnahmen zu entwickeln, um das Ziel zu erreichen. "Jetzt ist das eine reine Debatte über eine Zahl." Es brauche konkrete Maßnahmen wie etwa Rückführungsabkommen, da seien bekanntlich ÖVP-Minister gefordert.

Absage von Doskozil

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) verschließt sich nicht prinzipiell einer Diskussion über die Obergrenze für Asylanträge, schließlich wolle man Zuwanderung begrenzen. Der Minister ist aber skeptisch, ob es die ÖVP wirklich ernst meine, die Zuwanderung tatsächlich zu reduzieren. "Die Zahl 17.000 ist eine Schein-Obergrenze am Papier", meinte Doskozil am Donnerstag gegenüber der APA.

Gehe es nach der ÖVP, sollen aber ab dem 17.001. alle Migranten trotzdem ins Land gelassen werden, meinte Doskozil am Rande einer Veranstaltung in Wien. "Das will ich nicht." Es könne nicht sein, dass man eine Obergrenze festlege und dann tausende Menschen mehr ins Land lasse, um sie in Lagern einzuquartieren. Doskozil bezieht sich auf den Wunsch von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), jene, die über der festgelegten Zahl liegen, in leerstehenden Kasernen unterzubringen.

Keinen Sand in die Augen streuen

"Das sind die Fehler, die in der Politik immer wieder gemacht werden: Den Menschen Sand in die Augen streuen und glauben, dass sie das schon akzeptieren werden", richtete Doskozil dem Koalitionspartner aus. "Wir müssen ehrlich sein und als Regierung einhalten, was wir versprechen." Es müsse sichergestellt werden, dass Migranten über die Obergrenze hinaus "an der Grenze abgewiesen bzw. bei Aufgriff im Landesinneren sofort zurückgebracht werden", forderte Doskozil. "Das haben wir der Bevölkerung gesagt und das müssen wir auch einhalten."

Die Zuwanderung müsse tatsächlich begrenzt werden, "nicht nur in Statistiken". Er habe eine gute Achse zum Innenminister, betonte Doskozil aber auch – wenn es darum gehe, "eine Obergrenze" auch tatsächlich einzuhalten, "dann hat er meine Unterstützung".

ÖVP macht Druck

Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hat am Donnerstag auf die Halbierung der Obergrenze für Asylanträge gepocht und dabei einen Appell an den Koalitionspartner gerichtet. Kanzler Kern solle sich auch zu dieser Reduzierung auf rund 17.500 bekennen, forderte Mitterlehner in seiner Rede zum Abschluss der ÖVP-Klubklausur in Pöllauberg. Die Halbierung sei aus Integrationssicht notwendig, bekräftigte der Vizekanzler: "Das verträgt das Land." Nun soll sich auch die SPÖ zu dieser Reduzierung bekennen. Weiters forderte Mitterlehner, dass diese Linie dann gemeinsam in Europa vertreten wird.

Der ÖVP-Chef räumte ein, dass es sich mitunter um ein schwieriges Thema handelt, es brauche neue Denkansätze, es gebe Diskussionen und "einige überholen uns sogar noch". Auch bei der Klubklausur in Bad Leonfelden, als es um das Schließen der Balkan-Route ging, habe man gefragt, ob das für eine christlichsoziale Partei nicht schwierig sei: "Ja, es ist schwierig, aber das führte zu einem Denkprozess in ganz Europa." Und diesen erwartet Mitterlehner jetzt erneut.

Sobotka kontert Doskozil

Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) warf Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) vor, "fantasievolle Phrasen zu dreschen". Doskozil hatte sich zwar nicht grundsätzlich ablehnend zu einer Diskussion über die Obergrenze für Asylanträge gezeigt, sich aber gegen eine "Scheinobergrenze am Papier" ausgesprochen. Auch erteilte er Sobotkas Wunsch, jene Migranten, die über der Obergrenze liegen, in Transitzonen wie leer stehenden Kasernen unterzubringen, eine Absage. Es müsse sichergestellt werden, dass Migranten über die Obergrenze hinaus "an der Grenze abgewiesen bzw. bei Aufgriff im Landesinneren sofort zurückgebracht werden".

Sobotkas Konter: "Das Bundesheer ist nicht in der Lage, die gesamte grüne Grenze Österreichs zu sichern, da bringt es auch nichts, fantasievolle Phrasen zu dreschen." Er habe deshalb Transitzonen vorgeschlagen, weil man eine Lösung für jene brauche, die illegal ins Land kommen und hier aufgegriffen werden. "Wenn der Verteidigungsminister unsere Grenzen lückenlos sichern kann, verzichte ich aber gerne auf meinen Vorschlag", richtete Sobotka dem Regierungskollegen aus.

Abgrenzung und Sticheleien

Einen Seitenhieb gegen den Kanzler konnte sich auch dessen Vize im Ö1-Mittagsjournal nicht verkneifen: "Die Titelseite des Kern-Papiers", ätzte Mitterlehner da, "ist eher ,Plan B' und erinnert an ein Wahlprogramm." Ingesamt hat der ÖVP-Obmann bei der schwarzen Klubklausur mit einer 35 Minuten langen Rede Kerns Rede geantwortet. Die Punkte Studienplatzfinanzierung, Flexibilisierung der Arbeitszeit oder Wahlrecht werde man dabei gerne aufgreifen. Vehement abgelehnt wurden neue Steuern.

Als "irritierend" bezeichnete Mitterlehner, dass der Eindruck erweckt werde, es sei Aufgabe der Politik für Wohlstand und gute Laune zu sorgen. Diesen "Wünsch dir was"-Eindruck lehnt er ab, so Mitterlehner. Es brauche dabei nicht nur gute Ideen, es sei auch die Finanzierungsfrage zu lösen und so verwies er weiter auf die Arbeitsplatzkompetenz. Kern habe erklärt, der Fehler liege bei der Politik und hier bestehe der Unterschied, denn der Staat könne keine Arbeitsplätze schaffen, betonte Mitterlehner, wofür es großen Applaus gab. Der Staat schaffe demnach nur die Bedingungen, die das Arbeiten ermöglichen. Je besser die Rahmenbedingungen sind, desto besser seien die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse und die Arbeitsplatzbedingungen.

Neiddebatte befürchtet

Wenn man das nicht tut, könne man die Wirtschaft "ausplanen" und lande bei Begriffen wie der Mindestsicherung. So landete auch Mitterlehner beim Thema Steuergerechtigkeit. Es stimme, jeder soll seinen Anteil am Erwerbsleben haben. Wer in diesem Prozess nicht mithalten kann, bekomme Transferleistungen. Wenn man das Steuersystem aber für ungerecht halte, ernte man eine Neiddiskussion, eine Abhängigkeit vom Staat und neue Steuern – Vermögenssteuern, Schenkungssteuern, Erbschaftssteuern: "Das Modell führt nicht zu mehr Gerechtigkeit, das Modell führt zu mehr Steuern."

Der Ansatz der ÖVP sei jedoch ein marktwirtschaftlicher und dieser sei verbunden mit "Eigeninitiative, Eigenverantwortung und Subsidiarität und die drei Wörter finde ich in der wunderschönen Darstellung kein einziges Mal. Das ist aber unser Programm, das sind unsere Werte", betonte Mitterlehner. "Unser Ansatz sind weniger Steuern. Wer uns wählt, wählt weniger Steuern. Wer die andere Partei wählt, der erntet mehr Steuern", hielt er außerdem fest.

Eine weitere Breitseite gegen die SPÖ setzte es beim Thema Pensions-Hunderter. Hätte man das Thema anders aufgezogen "und nicht so, dass es der 'Kronenzeitung' in sorgfältiger Recherche gelungen ist, die Idee beim Koalitionspartner zu entdecken", hätte es die Diskussion darüber nicht gegeben. So jedoch habe auch die ÖVP-Seite den Pensions-Hunderter gefordert. Mit diesem Geld hätte man Laptops für viele Schüler oder Stipendien finanzieren können, gab Mitterlehner zu bedenken.

Bekräftigt wurden von Mitterlehner die Forderungen nach mehr Mobilität am Arbeitsplatz oder der Senkung der Steuer- und Abgabenquote. Beim Thema Nachhaltigkeit betonte er, dass das Thema Ökostrom keine Angelegenheit von Großgrundbesitzern sei. An dem Modell hängen Existenzen, so der Vizekanzler und Wirtschaftsminister.

Sicherheit als Priorität

Die ÖVP ortet außerdem eine Zunahme des subjektiven Unsicherheitsgefühls. Damit begründete Mitterlehner die Forderung nach Verschärfungen etwa gegen Gefährder oder Überwachungsmaßnahmen und pochte auf den Beschluss des Integrationsgesetzes. Mitterlehner hatte den Mut ins Zentrum seiner Rede gestellt und so verwies er auf das Sprichwort, wonach Angst und Mut ansteckend seien.

Die Grundstimmung im Land sei nicht sehr positiv, die Bevölkerung habe Zukunftsangst – sei es vor Terrorismus oder um den Arbeitsplatz. Lange sei den Menschen "vorgegaukelt" worden, die Politik löse alle Probleme von der Geburt an bis zum Lebensende. Die Wahrheit sei den Menschen jedoch zumutbar und aus den Betroffenen sollen Beteiligte gemacht werden. (APA, 12.1.2016)