Von der Belegung bis zum Schnitzel: Kaum ein Leben ist stärker industrialisiert als jenes der Schweine.

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Wien – Fünf Millionen Schweine werden in Österreich jährlich geschlachtet. 95 Prozent von ihnen haben in den 220 Tagen ihrer Mast den Stall nie von außen gesehen. Sie leben bis auf rare Ausnahmen auf Spaltböden ohne Einstreu. Jedem Tier stehen per Gesetz 0,7 Quadratmeter zu. Ihre Mütter kennen sie nur aus Käfigen, Maschinen erledigen die Versorgung. Im Schlachthof zerlegen Roboter sie in küchengerechte Portionen.

Kaum eine Produktionskette in der Lebensmittelindustrie ist stärker industrialisiert und effizienter als jene für Schweinefleisch. Kein tierisches Erzeugnis dient Supermärkten mehr als Lockartikel, und kaum eines ist preissensibler.

Die Österreicher zählen zu den Europameistern beim Verzehr von Schweinernem. Fast 40 Kilo landen jährlich pro Kopf und Jahr im Schnitt auf ihren Tellern. Weitere 20 Kilo wiegt der Verbrauch inklusive des Konsums von Hund und Katz mitsamt Haut und Knochen, errechnete die Schweinebörse.

Leben hinter Mauern

Anders als das Leben der Hühner und Rinder entzieht sich jenes der Schweine fast gänzlich den Blicken der Öffentlichkeit. Zu Gesicht bekommt man sie erst verpackt im Kühlregal. Doch die Debatten um artgerechte Tierhaltung erfassen auch sie. Zögerlich, aber doch versuchen Einzelhandel und Industrie zu reagieren. Einer, der sich des Schweines nun im größeren Stil annimmt, ist Hofer.

Versuche des Diskonters, dafür eine Biolinie zu entwickeln, misslangen. Produktionskosten waren zu hoch, Konsumenten nicht bereit, dafür tiefer in die Tasche zu greifen. Jetzt probiert es Hofer mit höheren Standards für Schweinewohl bei konventioneller Zucht.

Partner ist der Fleischverarbeiter Hütthaler. Der Familienbetrieb aus Schwanenstadt nahm 15 Bauern mit in Summe 13.000 Schweinen unter Vertrag. Die Landwirte erhalten für das Kilo Schwein im Jahresschnitt um 30 Prozent mehr als bisher und eine fünfjährige Abnahmegarantie. Dafür müssen sie den Tieren die doppelte Fläche, Auslauf und gentechfreies Futter bieten. Die entsprechenden Fleischerzeugnisse laufen unter der Marke Fairhof. Bis Jahresende werden sie österreichweit gelistet – mit zu 15 bis 20 Prozent höheren Preisen als jene herkömmlicher Produkte.

Stressresistent und robust

Die nach den neuen Standards gehaltenen Schweine seien stressresistenter und robuster, sagt Lieferant Florian Hütthaler, "und den Landwirten soll das Ausmisten im Stall wieder Spaß machen". Man wolle Vorbild in der Branche sein, betont Hofer-Chef Günther Helm. "Unser Ziel ist es, den konventionellen Markt zu verändern."

Deren Vertreter geben sich bei aller Anerkennung für neue Initiativen jedoch skeptisch. "Da muss man die Kirche schon im Dorf lassen", sagt Johann Schlederer, Geschäftsführer der Schweinebörse und seit 30 Jahren in der Branche. Ihm fällt kein einziger ähnlicher Vorstoß ein, der letztlich nicht an der Finanzierung scheiterte. "Die Bauern sind offen für alles, solange man es nachhaltig bezahlt." Für Schweinefleisch mehr auszugeben, dazu seien aber nur zehn bis 20 Prozent der Österreicher bereit.

"Die Konsumenten profitieren von einem sehr guten und günstigen Grundnahrungsmittel. Keiner hat Interesse daran, das zu ändern." Das lasse sich allein schon am seit Jahren unverändert mageren Bioanteil von weniger als zwei Prozent im ansonsten äußerst bioaffinen Österreich ablesen.

Ein Kilogramm konventionelles Schnitzelfleisch ist im Handel bereits ab drei Euro zu haben. Landwirte brauchen für kostendeckende Zucht im Schnitt 1,65 Euro fürs Kilo, rechnet Schlederer vor. Was jedoch macht Schweine zum Liebling der billigen Massenindustrie?

Vielseitig verwendbar, sind sie idealer Rohstoff für die Weiterverarbeitung. Die Effizienz in der Produktion zu erhöhen, bündelt weltweit Forschung und Entwicklung. Zwölf Ferkel im Jahr warf eine Sau 1960. Heute sind es in Österreich bis zu 25, in Dänemark 30. Brauchte es vor 30 Jahren noch gut fünf Kilo Futter für ein Kilo Schwein, sind heute weniger als drei nötig. Zwei Drittel der Produktionskosten entfallen darauf, wobei sich Getreide aufgrund flächenfördernder Agrarpolitik deutlich verbilligt hat.

Rasanter Strukturwandel

Mästeten die im europäischen Vergleich immer noch kleinen österreichischen Betriebe vor EU-Beitritt im Schnitt 37 Schweine, sind es nun 120. Diese Effizienz setzt sich in den Schlachthöfen fort, die wöchentlich 10.000 Tiere zerlegen. Der Handel sei bereit, auf die Hälfte der Spannen zu verzichten, um mit günstigem Schweinefleisch Kunden in die Filialen zu locken, ist Schlederer überzeugt.

Der Preisabstand zu biologisch gezüchteten Tieren, denen unter anderem Stroh, Grünfutter, Auslauf, freies Abferkeln und längeres Leben beschieden ist, klafft damit noch weiter auseinander. Dass die Biobranche von konventionellen Kollegen oft müde belächelt wird, nimmt Johann Ollmann, Gründer der Plattform Bioschwein Austria, dennoch gelassen. 16 Bioschweine hat er 1996 wöchentlich verkauft, 800 sind es heute. 300 Lieferanten züchten sie, teilweise haben sie nicht mehr als drei, vier Schweine im Stall.

"Klar ist die Luft bei Preisen von 17 Euro fürs Kilo Schnitzelfleisch dünn", sagt Ollmann. "Aber das Wohl der Tiere lässt sich eben nur erhöhen, wenn dafür auch Geld in die Hand genommen wird." (Verena Kainrath, 10.1.2017)