Kann sich vorstellen, private Videoüberwachung in Österreich zu vernetzen: Innenminister Wolfgang Sobotka.

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Innenminister Sobotka hat die Weihnachtsferien für einen politischen Gefühlsausbruch genutzt. Er forderte "in allen Fragen eine lückenlose Überwachung". Für sein offenes Bekenntnis zum Überwachungsstaat muss man fast schon dankbar sein. Wenigstens wird klar, was zu erwarten ist.

Die Anschläge von Paris, Brüssel, Nizza, Istanbul und Berlin sind an niemandem spurlos vorübergegangen. Medien bringen uns hautnah an den Tatort des Terrors, und alle fühlen mit den Angehörigen der Opfer. Natürlich entsteht die Angst, dass so etwas wieder – auch an anderen Orten – passieren könnte. Genau auf diese Angst zielt der Terrorismus. Aber auch die Politik Sobotkas mit seinen Forderungen nach lückenloser Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung und staatlicher Schnüffelsoftware.

Polizeiarbeit im Spannungsverhältnis

Natürlich bewegt sich Polizeiarbeit immer in einem Spannungsverhältnis. Grundrechte sind stets einer Abwägung der Verhältnismäßigkeit unterworfen. Kaum jemand würde zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch und familiären Beziehungstaten die Überwachung von Wohn- und Schlafzimmern fordern. Der Großteil der Bürger und Bürgerinnen wird es als zu Recht unverhältnismäßig empfinden, die Privatsphäre derart einzuschränken, selbst wenn damit vielleicht andernorts Straftaten verhindert werden könnten. Genau diese Sensibilität fehlt aber dem Innenminister, wenn er den lückenlosen Überwachungsstaat in allen Fragen will. In einer funktionierenden Demokratie dürfen sich Bürger und Bürgerinnen erwarten, dass der Staat alles versucht, um sie vor Terror zu schützen, ohne aber dabei die Grundfreiheiten aller komplett aus den Augen zu verlieren.

Nach jedem Anschlag werden weitere Verschärfungen angekündigt. So wurde vor kurzem das Staatsschutzgesetz trotz breiter Kritik verabschiedet, weil es dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung mehr Rechte und Möglichkeiten zur Prävention gegen Terrorismus geben würde. Einen Anschlag später ist selbst das schon wieder zu wenig. Die Verknüpfung privater – meist illegaler – Videoüberwachungskameras bei der Polizei soll die neue Antwort sein. Schon jetzt steht fest, dass bei weiteren Terrortaten neue Vorschläge der selbsternannten Law-and-Order-Politiker folgen werden. Wo wird das hinführen?

Den entscheidenden Punkt traut sich kaum jemand anzusprechen, weil er wenig populär ist. Gegen Einzeltäter, die nicht in einer Organisation operieren oder propagandistisch auffällig werden, gibt es kaum wirksame Präventivmaßnahmen. Die Einschränkung der Grundrechte durch lückenlose Videoüberwachung oder die Vorratsdatenspeicherung bleibt da wirkungslos und könnte maximal eine begangene Terrortat aufklären. Dort liegt aber nicht das Problem, weil schon mit derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten der Strafverfolgung praktisch alle Terroranschläge aufgeklärt werden konnten. Auch im Fall der Berliner Terrorfahrt war es das Ergebnis klassischer kriminalpolizeilicher Ermittlungsarbeit wie ein verlorener Ausweis, Fingerabdrücke oder DNA-Spuren sowie "Kommissar Zufall" in Italien, die zum Täter geführt haben.

Law-and-Order-Politik

Trotzdem sind der Rechtsstaat und die Sicherheitspolitik regelmäßig das neue Aufmarschgebiet für immer weitergehende Forderungen nach mehr Überwachung. Neben der aktuellen Sicherheitslage und damit verbundenen Ängsten sowie neuen technischen Möglichkeiten gibt es dafür aber einen weiteren Grund: Immer seltener können und wollen Politiker und Politikerinnen wirtschaftliche Stabilität und soziale Sicherheit garantieren. Wer aber leistbare Mieten und Jobs, von denen man leben kann, nicht bietet, muss mit einer Law-and-Order-Sicherheitspolitik ein Ersatzfeld finden, um den Bürgern und Bürgerinnen politische Handlungsfähigkeit zu beweisen.

Was wird von unseren Grundfreiheiten und dem europäischen Rechtsstaat übrig bleiben? Wird er am Ende zu einer kurzen historischen Episode, der bewegten Zeiten nicht mehr trotzen konnte? Das ist nicht auszuschließen. Bis jetzt haben Verfassungsgerichte und der Europäische Gerichtshof der etablierten Politik aber immer wieder Grenzen aufgezeigt. Eine kleine, aber aktive Szene an Datenschutz- und Menschenrechtsaktivisten stemmt sich ebenfalls aktiv gegen den Ausbau des Überwachungsstaats. Letztendlich wird sich entscheiden, ob die Wachsamkeit gegenüber einem überbordenden Kontrollstaat stärker ausgeprägt ist als die Versuchung, den falschen Versprechungen der Überwachungspolitiker auf den Leim zu gehen. (Albert Steinhauser, 9.1.2017)