Der Libanon nahm trotz der Fläche Oberösterreichs in den vergangenen Jahren knapp zwei Millionen geflüchtete Menschen aus Syrien auf, gemessen an der Einwohnerzahl mehr als jedes andere Land. Nach offiziellen Zahlen sind mehr als 18 Prozent der Gesamtbevölkerung Geflüchtete – die inoffizielle Zahl liegt weitaus höher. Ihre Situation ist mehr als prekär, und Unterstützung lässt meist lange auf sich warten. Mehr als 40 Prozent von ihnen sind zudem Kinder und Jugendliche, ein Großteil hat keinen Zugang zu Bildung oder ist schlecht in das Schulsystem integriert. Dadurch werden viele genötigt, einen Teil des Familieneinkommens durch Straßenbettelei oder den Verkauf von Lebensmitteln aufzubessern.

Was werde ich tun?

SB Overseas, eine belgische Grassroots-Organisation, hat bereits 2013 angefangen, Schulen in der Nähe von Flüchtlingslagern zu errichten und zu verwalten. Neben ihrer Arbeit in Belgien wurden Bildungseinrichtungen in Beirut und nun auch in Saida aufgebaut. In den letzten beiden Jahren schafften über 480 Kinder den Sprung in das libanesische Schulsystem. Ich werde die nächsten zwei Monate für die Organisation als Lehrer im Flüchtlingslager in der Nähe von Saida arbeiten. Ziel ist es, so vielen Kindern wie möglich Bildungschancen und Chancengleichheit zu ermöglichen.

Im Krieg sind die meisten Opfer Zivilisten

Nicht nur in meiner Anstellung als Lehrer versuche ich Veränderung zu bewirken. In Kooperation mit der Organisation werde ich ebenfalls mein persönliches Fotoprojekt realisieren. Mit fünf analogen Kompaktkameras und 30 Filmen im Gepäck möchte ich bei den jungen Geflüchteten die Begeisterung für Fotografie wecken. Dabei werden sie jedoch nicht einfach blindlings herumknipsen. Den Moment selbst festhalten, ihn zu entschleunigen und selbst Bewusstsein schaffen ist das Ziel. Dabei entscheiden sie individuell, wie sie sich darstellen wollen, und geben uns einen Einblick in ihre sozialen, politischen und ökonomischen Erfahrungen. Während dies für die Kinder und Jugendlichen befreiend wirken soll, rückt es ebenfalls unsere eigene Wahrnehmung in ein anderes Licht. Bewusstsein schaffen ist hier angesagt. Bewusstsein dafür, dass im Krieg die meisten Opfer Zivilisten sind. Bewusstsein dafür, wie WIR als Gesellschaft mit dem Thema umgehen.  Bewusstsein dafür, dass es um Menschen geht. Etwas, was bereits vielerorts verlorengegangen scheint.

Wer bin ich?

Ich bin 28 Jahre alt und am Ende meines Masterstudiums Internationale Entwicklung, davor habe ich Ethnologie studiert. Dazu hatte ich schon immer ein Faible für die Pluralität des arabischen Raums. Seit Beginn meines Studiums nahm ich einen erweiterten Fokus auf die Zusammenhänge und Hintergründe der dortigen Region. Nachdem ich unterschiedliche wissenschaftliche Zugänge ausprobiert habe, habe ich mich verstärkt auf soziale Bewegungen, Radikalisierung, aber in letzter Zeit vor allem auf Flucht und Migration spezialisiert.

Zudem konnte ich bereits im vorigen Jahr als Lernbetreuer für einen somalischen Geflüchteten und einen tschetschenischen Jungen erste Erfahrungen in der Bildungsarbeit gewinnen. Dabei wurde mir klar, dass es ein unglaublich bereicherndes Gefühl ist, Menschen Möglichkeiten aufzuzeigen, damit sie die Chance haben, selbst für ihr Schicksal verantwortlich zu sein. Bereits kleine Lernerfolge sind ein Ansporn, weiter an sich zu arbeiten und sich zu verbessern. Mit dieser Einstellung hoffe ich auch im Libanon einen Unterschied zu erwirken.

Das Ungewisse

Wenn Sie meinen ersten Eintrag lesen, bin ich schon auf den Weg in den Libanon. Voller Erwartungen und Hoffnungen, aber auch mit einer gewissen Ungewissheit. Viel Neues, Aufregendes, Schönes, Ermutigendes, aber auch Strapazierendes, Trauriges und Abschreckendes wartet auf mich. An allem werde ich Sie in den nächsten Tagen und Wochen teilhaben lassen, und ich hoffe, Sie begleiten mich auf meinem Weg. (Fabian Rogatschnig, 11.1.2017)