Maria Hofstätter (li.) führt die Gratwanderung an.

Foto: Karlheinz Fessl

Klagenfurt – "Niederträchtig", "abstoßend", "unmenschlich" sind immer wieder dieselben Kommentare einer recht ratlosen Politik, die der europäischen Bevölkerung inzwischen fast schon wöchentlich einen neuen mörderischen Anschlag selbsternannter islamistischer Gotteskrieger zu erklären versucht. Es zählt zu den schwierigsten, wahrscheinlich undankbarsten, aber wohl auch wichtigsten Aufgaben, denen Literatur sich stellen kann, in einer solchen Situation nicht ebenfalls zu verstummen.

Auf diese Herausforderung hat sich Elfriede Jelinek im Spätherbst 2015 nach den Anschlägen auf einen jüdischen Supermarkt und den Redaktionssitz des Satiremagazins Charlie Hebdo eingelassen. Ihr großer Bühnentext Wut, der Zitate aus Homers Ilias bis hin zu Beiträgen aus jihadistischen Internetforen verarbeitet, ist nach der vorjährigen Uraufführung an den Münchner Kammerspielen seit Donnerstag als österreichische Erstaufführung am Stadttheater Klagenfurt zu erleben.

Hagel kriegsstiftender Stimmen

In einem zweistündigen Hagel kriegstiftender Stimmen wehrt sich Jelinek standhaft dagegen, vom Strom der allgemeinen Wut mitgerissen zu werden. Sie dreht Achill und seinen heutigen Nachfahren die Wörter bis zur Groteske im Mund herum. Tatsächlich ist der Schauplatz nicht der Ort eines Terroranschlags, sondern der Hafen von Aulis, wo blindwütende Männer sich anschicken, durch ihren "Heldentod" geschichtsmächtig zu werden.

Der moralische Morast spiegelt sich später im sportlichen Wettstreit genauso wie in Internetspielen. Es sind nicht nur Männer, die in ihrer Friedensunfähigkeit demaskiert werden, es gibt auch eine himmelschreiende Hera oder die ganzkörperverhüllte Islamistenbraut, von der digital noch ein Foto im Bikini kursiert. Wenn es nicht derart zum Weinen wäre, wäre das alles zum Lachen. Und da, in der Lächerlichkeit, ist das heroische Pathos verwundbar. Das hat Marco Storman in seiner fast kinderspielartigen, trotz umfangreicher Kürzungen sehr texttreuen Klagenfurter Umsetzung wirkungsvoll herausgearbeitet.

Theatralische Gratwanderung

Ein (wie in München) siebenköpfiges Ensemble, angeführt von Maria Hofstätter, meistert die theatralische Gratwanderung bravourös. Gratwanderung ist dabei auch wörtlich zu verstehen, denn gespielt wird im flüchtig gezimmerten Bühnenbild von Frauke Löffel und Anna Rudolph auf einem Holzsteg über dem Orchestergraben, auf dem Sebastian Edtbauer seine Hetzrede mit ständiger Halsdrehung halten muss, um von dem sowohl im reduzierten Parkett als auch auf der Bühne platzierten Publikum gehört zu werden. Anna Böger und Katharina Schmölzer fungieren als ungeschönte, giftige Vox Populi hiesiger Prägung.

Stephanie Schadeweg bleibt die Banane fast im Mund stecken, wenn sie im Baströckchen mit Affenmaske daran erinnert, dass der europäische Kolonialismus auch nicht immer so humanitär war. Dass man als oftmals elternlos aufgewachsener Gotteskrieger keine Verantwortung mehr trägt, weil man den Rest davon einem Kalifen abgegeben hat, macht Benedikt Paulun bewusst. Und Moritz Löwe ist der Fanatiker, dessen Seele nach vollbrachtem Massenmord mit Engelsflügeln in der IS-Farbe Schwarz zum Himmel steigt. Da ist schon lange klar, dass jeder Dialog sinnlos ist: Ihr habt uns alles genommen. Jetzt sind wir dran. Betet!

Den ganzen Abend und damit auch den ganzen, manchmal geradezu singbaren Text strukturiert ein Trio, das sich "Wut-An-Klang" nennt. Roman Britschgi (Bass), Lubomir Gospodinov (Saxofon) und Jörg Reissner (Gitarre) realisieren die dem Bühnengeschehen akustisch hochkonzentriert zugeordnete Komposition von Thomas Seher. Reissner evoziert mit seinem Instrument auch das kleine Insekt, das daran erinnert, dass hier Menschen wie die Fliegen getötet werden. Das ist unerträglich.

Aber irgendwo muss die Wut enden. Vielleicht ist das der Grund, aus dem man nach diesem emotional durchaus strapaziösen Theatererlebnis nicht völlig ohne Hoffnung heimgeht: Hier wird zumindest noch versucht, das Unsägliche zu sagen. (Michael Cerha, 6.1.2017)