Beatrice Simonsen (Hg.), "Grenzräume. Eine literarische Spurensuche im Burgenland". € 23,99 / 211 S., Edition Lex Liszt 12, Oberwart 2015

Foto: Edition Lex Liszt

Grenzräume sind immer so etwas wie die Schmuddelkinder ihrer Länder. Verschattet stehen sie im alles anziehenden Licht der Hauptstädte. Dem Burgenland als jüngstem Bundesland Österreichs, 2016 wurde es 95 Jahre alt, geht es in dieser Hinsicht nicht anders. Wien als Magnet zieht Arbeitspendler bis aus dem tiefen Süden an. Und auch in der Literatur Österreichs überragen Schnitzler, Bernhard und Handke Hertha Kräftner. Diesen Zustand zu ändern und das Burgenland in all seiner Vielsprachigkeit, Gemischtheit und lebendigen Aktualität endgültig auf Österreichs Literaturlandkarte sichtbar zu machen, dazu ist Beatrice Simonsen angetreten. Denn wer genauer hinsieht, findet oft die wahren Preziosen erst im Schatten.

Glanz alter Tage

Ein Kaleidoskop der Literatur im, über das und aus dem Burgenland bietet Simonsen in der von ihr herausgegebenen sehr, sehr lesenswerten Anthologie Grenzräume – Eine literarische Spurensuche im Burgenland. Das Buch ist der Optimalfall einer Anthologie, die nicht nur Beiträge verschiedener Autoren versammelt, sondern sich auch unterschiedlicher Genres bedient, etwa des Essays und der Reportage, aber auch freudiger Mischkulanzen wie Ana Schoretits' Blick auf die burgenland-kroatische Literatur.

Das literarische Burgenland (be)sucht die Herausgeberin in zwei Beiträgen gleich selber. Sie porträtiert zeitgenössische Autorinnen wie Mundartdichterin El Awadalla und einen Autor, Clemens Berger. In Gesprächen mit Literaturdoyen Helmut S. Milletich, Katharina Tiwald und Ex-ORF-Burgenland-Chef Günter Unger spürt sie den Rahmenbedingungen der Literaturproduktion nach und dem Glanz alter Tage, als Unterrabnitz internationaler Hotspot für Hörspiele war.

Beiträge von Autoren aus den Nachbarländern zollen, auch in Originalsprache, der sprachlichen Vielfalt des Landes Tribut. Da ist gleich einmal der Eröffnungsbeitrag der ungarischen Autorin Krisztina Tóth, Jahrgang 1979 und Homo recordans, wie auch ihr Beitrag heißt, in dem sie sich an den Fall des Eisernen Vorhangs erinnert. Michal Hvorecký erzählt eine drollige Anekdote über die verbindende Kraft der Blasmusik in Österreich und der Slowakei.

Fallende Hügel

Komplementär dazu wirft der Salzburger Cornelius Hell den innerösterreichischen Blick aufs Burgenland in einem Essay mit Bachmann-Anleihen. Im umfangreichsten Text der Anthologie spürt Martin Kubaczek dem Burgenland in der Literatur nach und findet viel Lesenswertes, etwa Klaus Hoffers Bei den Bieresch, zeigt aber auch auf, dass dieses Land fallender Hügel der Literatur oft als Folie für Abgründiges dient, in dem sich meist der Faschismus verbirgt.

Müsste Kubaczek diesen Text noch einmal schreiben, er käme nicht darum herum, Theodora Bauers Gedichte, die den Schlussstein dieser Anthologie bilden, aufzunehmen. Zärtliche Liebesgedichte, die vor Sommer und Burgenland überquellen. Bauer ist die jüngste einer literarischen Generation des Burgenlands, zu der auch Michaela Frühstück, Bernhard Strobel oder Wolfgang Millendorfer gehören. Eine, die sich nicht viel um den Grenzraum schert, ja, die Grenze abgesprengt und den Raum freigelegt hat. Jungstörchen gleich brechen ihre Vertreter zu neuen Gefilden auf. (Dominic Horinek, 6.1.2017)