Ein von einem Polizisten (links im Bild mit der Zigarette im Mund) aufgenommenes und im Internet veröffentlichtes Video zeigt, wie Rohingya von Sicherheitskräften geschlagen und getreten werden.

Foto: AFP / Youtube / Zaw Myo Htike

Naypyidaw/Wien – Am liebsten hätte Aung San Suu Kyi den Konflikt rund um die muslimische Minderheit der Rohingya weiter unter den Teppich zu kehren versucht, wie es vor ihr bereits jahrzehntelang die Militärjunta in Myanmar (Burma) gemacht hat. Doch die Ereignisse des 9. Oktober 2016 machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Es folgte eine Eskalationsspirale, die bis heute andauert und nun auch international gehörige Wellen schlägt.

Was war an besagtem Tag passiert? Bewaffnete attackierten Polizeiposten und töteten neun Beamte. Hinter dieser Tat werden junge Rohingya vermutet, und auf diesem Verdacht basierend entsandte das Militär Truppen ins Siedlungsgebiet der Rohingya im Bundesstaat Rakhine. Dort soll es zu brutalen Racheakten gekommen sein: niedergebrannte Häuser, vergewaltigte Frauen, verprügelte und getötete Männer. Dies berichten mehrere der bis dato etwa 50.000 Rohingya, die vor der erneuten Gewalt ins benachbarte Bangladesch geflüchtet sind.

Was folgte, waren massive internationale Proteste, unter anderem von Amnesty, der Uno und 23 Nobelpreisträgern, die "ethnische Säuberungen" monierten. Nun sorgt ein vor wenigen Tagen publik gewordenes Video einer Militäraktion vom November für großen Wirbel: Zu sehen sind Polizisten, die Rohingya ohne ersichtlichen Grund schlagen und treten.

Berichte über weitere Folter

Auch jetzt gibt noch es Misshandlungen durch Sicherheitskräfte in Rakhine, sagt Ambia Perveen, eine geflüchtete Rohingya, die heute in Bonn lebt und sich für die Rechte ihres Volkes einsetzt. "Meine Verwandten dort erzählen mir, dass weiterhin gefoltert wird, es kein Essen und Wasser gibt", sagt sie zum STANDARD.

Der ganze Wirbel passt so gar nicht zum Plan, den die seit März 2016 im Amt befindliche Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi verfolgt. Im August gründete sie eine Kommission unter Führung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan, die Verbesserungsvorschläge für die Lage der Rohingya machen sollte.

"Das war aber nur ein gutes PR-Manöver, denn die Vorschläge dürfen lediglich im Rahmen der bestehenden Gesetze erfolgen", sagt Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker zum STANDARD. Denn gerade in den Gesetzen ist die Diskriminierung explizit festgeschrieben: Gemäß dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982 werden Rohingya, von denen geschätzt eine Million in Myanmar und etwa eineinhalb Millionen als Flüchtlinge im Ausland leben, nicht als Bevölkerungsgruppe anerkannt. Sie haben daher keinen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft in Myanmar, fristen also ein Dasein als Staatenlose ohne Rechte. Zusätzlich ist die muslimische Minderheit in ihrer Bewegungsfreiheit und bei der Wahl des Ehepartners gesetzlich eingeschränkt.

Unbeliebte Minderheit

Das grundsätzliche Problem dabei: Die Rohingya sind ausgesprochen unbeliebt bei der vorwiegend buddhistischen Mehrheit der Bevölkerung. Wer immer sich für sie einsetzt, büßt enorm an Popularität ein. "Erwähnt man das Wort 'Rohingya', ist man schon entlarvt als jemand, der sich für sie einsetzt", sagt Delius, der bereits mehrere Male Myanmar und dabei auch Rakhine bereist hat.

Das erklärt das abwartende und ausweichende Verhalten der Regierung, das auch darin besteht, dem Ausland mitunter die Schuld an allem zu geben. Der Grundtenor dabei: Die von außen dramatisieren ein Problem, das eigentlich gar nicht so groß ist. In diese Strategie passt das vor wenigen Tagen präsentierte Ergebnis einer Regierungskommission, wonach sie keine Polizeigewalt gegen Rohingya festgestellt habe, keine Vergewaltigungen und man nicht von einem "Genozid" reden könne.

Bei der jetzigen Eskalation gibt es aber ein Novum. Die Kritik kommt nicht nur von der Uno und NGOs, sondern auch von Regierungen anderer, muslimisch geprägter Länder wie Malaysia oder Indonesien, die teilweise offen von einem "Völkermord" sprechen. Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, der 56 Staaten angehören, hat bezüglich Rohingya einen Sondergipfel am 19. Jänner einberufen. "Das zieht politisch gefährliche Kreise für Myanmar", sagt Delius, der in diesem Druck den Grund für die Festnahme mehrerer Polizisten im Zusammenhang mit dem Video sieht, die diese Woche erfolgte.

IS-Anhänger verhaftet

Die Frage ist nun, wie nachhaltig dieser Druck ist oder ob Myanmar auch diese Krise wieder aussitzen kann. Dann droht aber eine andere Gefahr. Am Mittwoch verriet Ayob Khan Mydin Pitchay, Chef der malaysischen Antiterrorpolizei, dass ein mutmaßlicher Anhänger des "Islamischen Staates" (IS) festgenommen wurde. Er soll geplant haben, nach Myanmar zu reisen und dort für die Rohingya in den Jihad zu ziehen. "Es ist wahrscheinlich, dass der IS oder andere Islamisten ihren Glaubensbrüdern in Myanmar helfen wollen", sagte Ayob Khan.

"Die Rohingya sind die am meisten verfolgte muslimische Minderheit der Welt", sagt Delius, "bislang erfolgte noch keine Radikalisierung, gibt es aber nicht bald eine Lösung, könnten sich Islamisten ihrer Unzufriedenheit bemächtigen, sie rekrutieren und dann versuchen, einen Bürgerkrieg zu entfachen." (Kim Son Hoang, 7.1.2017)