Der französische Dirigent Georges Prêtre ist tot. Mit ihm geht unwiederbringlich eine subjektive Art und Weise des Musizierens verloren, die besondere Momente erbrachte – zweimal auch beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker.

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Paris – Gerade beim noch frischen Neujahrskonzert vor ein paar Tagen, das heuer Jüngling Gustavo Dudamel leitete, war wieder an den alten Sir zu denken. Wie nur wenige vermochte Georges Prêtre bei seinem Auftritt 2008 mit den Wiener Philharmonikern den ganz besonderen Augenblick herbeizuzaubern, jenes gewisse Etwas aus Walzern herauszukitzeln, das viel mit Melancholie und süßem Klang zu tun hat und mit einem sehnsuchtsvollen scheinbaren Innehalten der Zeit.

2008 hatte Georges Prêtre erstmals das Neujahrskonzert dirigiert – er war damals 83 Jahren alt und somit der bisher älteste Debütant. Doch Prêtre kam 2010 noch einmal zurück, um sein Meisterstück der musikalischen Poesie abzuliefern.

Es ist nicht sehr lange her, da war dieses gewisse Etwas im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins – wie nun Gewissheit wurde – noch ein letztes Mal zu erleben: Nach längerer Pause und von einer Verletzung wieder genesen, traf Georges Prêtre die Wiener Symphoniker, denen er eng verbunden war (zwischen 1986 und 1991 war er der Erste Gastdirigent des Orchesters). Und wiewohl insgesamt etwas fragil wirkend, war Prêtre wieder der nonchalante Charmeur der spontanen bedeutungsvollen und theatralischen Geste, jener verspielte Individualist unter den großen Dirigenten, der mittlerweile tatsächlich 92 Jahre alt geworden war.

Ein wahrhaft besonderer Abend: Obwohl Prêtre kein ganzes Konzert mehr dirigieren konnte, demonstrierte er etwa mit der Fledermaus-Ouvertüre von Johann Strauß noch einmal all jene Qualitäten, die ihn zum großen Könner unter den subjektiven Maestri gemacht hatten.

Zuerst Trompete

Prêtre, 1924 im nordfranzösischen Waziers geboren, neigte zunächst eher dem Instrumentalen zu, lernte Klavier und Trompete, eher er sich entschied, jene Position ein- und auszuüben, aus der heraus der Überblick über das Musikmachen zu bewahren ist.

Geld hatte er aber auch als Jazztrompeter verdient (aber auch an der Seite von Sängerin Edith Piaf und Chansonnier Yves Montand), und er schrieb sogar zwei Operetten unter dem Pseudonym "Dherian" – Prêtre wollte ja eigentlich Komponist werden. Mit 22 debütiert er dann aber 1946 an der Oper von Marseille und landete schließlich 1956 an der Pariser Opéra Comique.

Es folgten Engagements in Chicago, dann in London am Covent Garden, wobei später auch die Metropolitan Opera in New York dazukam sowie die Mailänder Scala und die Wiener Staatsoper, an der er ab 1962 tätig war. Die Position als Musikdirektor der Pariser Oper legte er, der als Lieblingsdirigent von Sängerin Maria Callas bezeichnet werden darf, 1971 bereits nach nur einem Jahr wieder zurück. Es gab da Zores mit der Gewerkschaft.

Mehr als bloß Dirigent

Prêtre schätzte wohl auch die Freiheit, sich um Administratives nicht kümmern zu müssen. Er entwickelte sich jedenfalls nach und nach zu einem der großen, reifen Orchesterleiter, wobei er sich eigentlich nicht als Dirigent empfand. Ein solcher würde sich ums Taktschlagen kümmern – er hätte das zuletzt am Ende seiner Ausbildungszeit getan, scherzte Prêtre. Zuletzt also bei seiner Abschlussprüfung am Pariser Konservatorium.

Er sah sich eher als Interpreten, also als einen, der den Kern von Musik emotional hervorholt, jenes klingende Geheimnis hinter den Noten erfühlt und subjektiv erhellt. Wobei dies natürlich vom jeweiligen Orchestermusiker hohe Konzentration erforderte, zumal der Maestro eine durchaus erst zu entziffernde Art und Weise praktizierte, Zeichen zu geben.

Fordernde Gabe

Mimik und Gestik waren bei Prêtre, der auch Francis Poulencs Oper La Voix humaine uraufgeführt hatte, individuelle, emotionale Formen der Kommunikation, Teile eines besonderen Prozesses, der sich zwischen Dirigent und Orchester abspielen sollte. Ebendiesen eigenwilligen Zugang schätzten Orchester dann doch als eine Art fordernde Gabe Prêtres, die mitunter musikalische Ausnahmesituationen hervorbringen konnte.

Diese Gabe ist nun unwiederbringlich aus dieser Welt verschwunden. Der französische Maestro Georges Prêtre, der auch den Titel des Kommandeurs der Französischen Ehrenlegion trug, ist am Mittwochnachmittag im Alter von 92 Jahren gestorben. (Ljubiša Tošić, 4.1.2017)