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Vor allem die 40- bis 60-jährigen Engländer leiden unter Adipositas, wie eine Untersuchung zeigt.

Foto: AP Photo/Kirsty Wigglesworth

Während sich jüngere Engländer gesundheitsbewusster ernähren, weniger rauchen und weniger Alkohol trinken, werden die erwachsenen Inselbewohner immer fetter. Dies ergab die alljährliche Erhebung des Nationalen Gesundheitsdienstes NHS. Die umfänglicheren Silhouetten führen mittlerweile zu gefährlichen Fehleinschätzungen: Übergewicht unter Minderjährigen sieht nur noch eine winzige Minderheit als problematisch an. Und beinahe die Hälfte der Eltern fettsüchtiger Kinder bezeichnete das Gewicht ihrer Sprösslinge als "mehr oder weniger normal".

Sandwich-Generation

Unter Erwachsenen hat die Fettsucht oder Adipositas in den vergangenen zwanzig Jahren um 16 Prozent zugenommen. Sie wird nach internationaler Übereinkunft bei einem Body-Mass-Index (BMI) von mehr als 30 angenommen. Besonders alarmierende Werte lieferten die 40- bis 60-Jährigen, auf der Insel passenderweise auch Sandwich-Generation genannt, weil sie häufig für abhängige Kinder und gebrechliche Eltern gleichermaßen sorgen müssen. In dieser Altersgruppe sind der Regierungsagentur Public Health England zufolge drei Viertel der Männer sowie zwei Drittel der Frauen übergewichtig, haben also einen BMI von mindestens 25. Für ein Normalgewicht nehmen die Fachleute einen BMI zwischen 18,5 und 25 an.

Aber was ist schon normal? Diese Frage beantworteten viele Eltern auf eine Weise, die Kinderärzte und Diätexperten für bedenklich halten. Neun von zehn Müttern und acht von zehn Vätern hielten ihr übergewichtiges Kind für in Ordnung. Beinahe die Hälfte der Mütter fettsüchtiger Kinder (48 Prozent) und 43 Prozent der Väter fanden, ihr Kind habe "mehr oder weniger das richtige Gewicht". Dabei sollten Übergewicht und Adipositas bei jungen Leuten "Eltern und Ärzte gleichermaßen beunruhigen", mahnt Gillian Prior vom Zentrum für Sozialforschung Nat Cen.

Der Anteil fettleibiger Jugendlicher hat sich in den vergangenen 25 Jahren verdreifacht. Immerhin scheint wenigstens in der Altersgruppe unter 15 Jahren der Trend gebrochen zu sein. Während 2004 mehr als ein Drittel der Untersuchten (34 Prozent) übergewichtig waren, fiel der Anteil 2015 auf 28 Prozent. Die Hälfte davon leidet an Fettsucht. Den Angaben der Befragten zufolge haben nicht nur der Verzehr von Süßigkeiten, sondern auch Alkohol- und Zigarettenkonsum unter jungen Leuten drastisch abgenommen. Für die jährliche Bestandsaufnahme wurden landesweit rund 8.000 Erwachsene und 5.700 unter 16-Jährige befragt und untersucht.

Milliardenkosten

Die Behandlung von Übergewichtigen und Adipösen kostet das NHS zuverlässigen Schätzungen zufolge jährlich umgerechnet mindestens sieben Milliarden Euro. Experten fordern seit Jahren eine umfassende Strategie. Die von einer Allianz aus Wohlfahrtsverbänden und Wissenschaftern seit Jahren geforderte Steuer auf extrem zuckerhaltige Drinks hat die Regierung nach langem Zögern für kommendes Jahr in Aussicht gestellt. Hingegen soll es bis auf Weiteres kein Werbeverbot für Süßigkeiten geben, eine Reduzierung des Zuckergehalts bestimmter Lebensmittel um 20 Prozent erfolgt auf freiwilliger Basis.

Muir Gray von der Universität Oxford ist Berater von Public Health England und macht Werbung für eine kleine Organisation, die den Briten das Wandern nahebringen will. "Adipositas sollte umbenannt werden in Zu-wenig-gehen-Syndrom", hat der weltberühmte Professor der "Times" mitgeteilt. Wahlweise könne man auch vom Zu-viel-sitzen-Syndrom sprechen. Jedenfalls würden die Ess- und Lebensgewohnheiten vieler Engländer nicht zusammenpassen. Dabei könnten kleine Schritte eine Veränderung herbeiführen, etwa "jeden Tag einen Schokokeks weniger". (Sebastian Borger aus London, 4.1.2017)