Zukunftsforscher Franz Kühmayer blickt optimistisch ins neue Jahr und hofft bei der Integration von geflüchteten Menschen auf Taten statt Worte: "Wir sehen, dass die Bereitschaft von Unternehmen, Flüchtlingen eine echte Arbeit zu geben, nicht hoch ist. Interessant ist aber: Drei Viertel derer, die bereits Flüchtlinge angestellt haben, sagen, dass es eine gute Entscheidung war."

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STANDARD: Sie beschäftigen sich das ganze Jahr über mit Zukunftsvisionen. Hat man da auch Vorsätze für das neue Jahr?

Kühmayer: Ja – ich habe jedes Jahr den gleichen: dass das neue Jahr besser wird als jenes zuvor.

STANDARD: 2016 wird gemeinhin als katastrophales Jahr bezeichnet – Begründungen gibt es zur Genüge. Hat sich Ihr Vorsatz erfüllt?

Kühmayer: Ich würde sagen, dass wir dieses Jahr einiges gelernt haben. Das ist etwas Positives. Natürlich sind die Umgebungsvariablen für Optimismus momentan ungünstig. Aber deswegen in ein Sicherheitsdenken zu verfallen wäre der falsche Geist.

STANDARD: Der Wunsch nach Stabilität ist in turbulenten Zeiten doch legitim.

Kühmayer: Natürlich. Aber Menschen und Organisationen sind sich in einem Punkt ähnlich: Das, was sie wiederholt tun, formt ihre Zukunft. Daher wird eine Organisation, die auf übermäßige Sicherheit und wenig Risiko ausgerichtet ist, starr und damit umso angreifbarer und gefährdeter in der Zukunft. Wenn man aber Experimente zulässt, Unsicherheit nicht als negatives Merkmal, sondern als Chance sieht, dann formt das einen selbst. Jetzt ist die Zeit reif für diesen Pioniergeist und um in diese Richtungen zu denken.

STANDARD: Traditionell bauen Unternehmen im deutschsprachigen Raum auf Stabilität, Qualitätsdenken und Verlässlichkeit. Sie nennen Agilität und einen besseren Umgang mit Fehlern als Zukunftsfaktoren. Wie gelingt dieser völlige Wandel?

Kühmayer: Viele Unternehmen versuchen das jetzt schon herbeizuführen, nämlich indem sie in eine Szene schielen, in der vieles anders läuft: die Start-up-Szene. Die Aufbruchstimmung, die dort herrscht, macht die Faszination für diese Szene aus. Wenn man dort mit Gründern über Ziele spricht, dann kommt am Ende des Tages immer so etwas Ähnliches wie "Ich will die Welt revolutionieren". Natürlich ist da viel Überschätzung dabei. Aber der Geist ist spannend – auch für mittelständische und große Unternehmen, die in der Sorge leben, dass ihnen Ideenreichtum abhandengekommen ist. Diese Sorge ist unbegründet.

STANDARD: Überträgt sich dieser positive Spirit, wenn sie bei Start-ups andocken?

Kühmayer: Ein Stück weit. Aber so lobenswert die Start-up-Szene auch ist, glaube ich dennoch, dass man nicht unbedingt dort andocken muss. Die meisten Unternehmen leiden nicht an Ideenarmut. Im Gegenteil: Sie beschäftigen viele Menschen, die viele Ideen haben. Es ist enormes Potenzial da, das man auch fördern kann, ohne fünf Leute in einen Co-Working-Space nach Berlin zu setzen.

STANDARD: Wie gelangen diese Ideen aber an die Oberfläche?

Kühmayer: Das ist vor allem eine Strukturfrage: Gibt es interne Finanzierungsprogramme wie Inkubatoren, gibt es für Mitarbeiter Möglichkeiten, einen Teil der Arbeitszeit für das Thema Innovation aufzuwenden, werden Ideen innerhalb des Unternehmens positiv kommuniziert? Alle wollen die innovativen Querdenker als Mitarbeiter. Sie zu finden ist schwer – noch schwerer ist es, sie zu halten. In vielen Betrieben trifft diese Leute die Dreifaltigkeit des Ideentodes: "Das haben wir schon einmal gemacht. Das haben wir noch nie gemacht. Da könnte ja jeder kommen." Wenn ich das ein paar Mal höre, werde ich entweder meine Kreativität einstellen oder gehen. Organisationen müssen also auch daran arbeiten, wie Ideen, die nicht der Norm entsprechen, überleben können.

STANDARD: Also Weitblick und Querdenken – vor allem in den Chefetagen.

Kühmayer: Hier kommt es oft zum Dilemma: Denn der Chef ist in der Regel dafür da, das Werk am Laufen zu halten. Deswegen ist gerade im Mittelmanagement ein Umdenken notwendig. Ich erlebe wenige Topmanager, die neuen Geschäftsmodellen oder Ideen gegenüber nicht aufgeschlossen wären. Wenn ich mit Mitarbeitern spreche, treffe ich entweder Menschen, die viele Ideen haben, oder Menschen, die es schon fast aufgegeben haben, ihre Ideen zu artikulieren. Der Knackpunkt liegt in der Mitte. Diese Stufe wurde geschaffen, um für Stabilität zu sorgen. In Zukunft wird die Rolle eine andere sein: Innovationsgeist zu fördern.

STANDARD: Das ist keine neue Vision. Gibt es genug Menschen, die das können und wollen?

Kühmayer: Ich bleibe beim Können, denn mein Menschenbild ist noch immer, dass erstens alle Menschen gerne arbeiten würden und zweitens kreative und innovative Lebewesen sind. Beim Können muss man sagen, dass uns die Ausbildungen der Vergangenheit nicht wirklich in die Lage versetzt haben, mit den aktuellen Unsicherheiten in der Welt umzugehen. Wir haben ein sehr hierarchisches Bildungssystem, das in seinen Grundzügen im industriellen Zeitalter verankert ist. Dort ging es um Konformität, Fehlerlosigkeit und ums Funktionieren. Deswegen zählen Fehler in unserer Gesellschaft so stark. Das muss sich ändern, aber die wenigsten Führungskräfte sind dafür ausgebildet. Das kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Es existiert eine Forderung danach, sich mit den Themen auseinanderzusetzen, sich zu inspirieren und Dinge auszuprobieren.

STANDARD: Auch unter Personalern und Recruitern wäre in diesem Sinne bunteres, mutigeres Besetzen angesagt. Das wird seit mehreren Jahren ausgerufen, oft bleibt es aber beim Konjunktiv.

Kühmayer: Ich denke schon, dass es hier bereits mehr Offenheit gibt. Wenn man sich Lebensläufe ansieht, die einen Bruch aufweisen – wenn Leute irgendwann aussteigen und ein, zwei Jahre etwas ganz anderes machen, zum Beispiel eine Weltreise oder ein neues Studium –, dann wäre das vor wenigen Jahren für die weitere Karriere ein Todesurteil gewesen. Personaler hätten da von einem instabilen Element gesprochen. Heute werden solche Karrieren gesucht: Menschen, die vieles erlebt haben und selbstständig ihr Leben in die Hand nehmen und nicht einem vordefinierten Sollpfad folgen. Natürlich sieht man bei manchen Unternehmen noch die alten Muster: Da wird auf Notenschnitt geachtet, Mindeststudienzeit, zwei Auslandssemester, 14 Sprachen und trotzdem erst 22 Jahre alt. Und dann sollen die Leute zehn Jahre lang 60 Stunden arbeiten und schauen, ob sie es nach ganz oben schaffen. Das ist ein Bild, das jungen Menschen nicht mehr entspricht, und zudem ist es auch für Organisationen nicht hilfreich. Menschen in der Blüte ihres Lebens zu verheizen kann nicht das Ziel sein.

STANDARD: Glaubt man vielen Studien, ist das Bedürfnis nach Sicherheit bei den Jungen aber relativ stark ausgeprägt.

Kühmayer: Das ist legitim – man steht am Anfang der Karriere. Für die Generation Y wird das besonders stark betont, aber ich halte das für kein neues Phänomen. Einen guten, sicheren Arbeitsplatz zu wollen, das war schon immer so. Die sicheren Jobs von früher gibt es eben nicht mehr.

STANDARD: Neu am Arbeitsmarkt sind auch viele geflüchtete Menschen – wie mit ihnen umgegangen wird, wird 2017 ein zentrales Thema. Auch hier sind Sie optimistisch und plädieren für Vielfalt.

Kühmayer: An Botschaften, die lauten, dass alles schwierig wird und viel kostet, mangelt es nicht. Umso wichtiger erscheint mir eine Gegenposition, die ja auch von Realismus geprägt ist: Wir sehen, dass die Bereitschaft von Unternehmen, Flüchtlingen eine echte Arbeit zu geben, nicht hoch ist. Interessant ist aber: Drei Viertel derer, die bereits Flüchtlinge angestellt haben, sagen, dass es eine gute Entscheidung war. Der Ruf nach Pragmatismus heißt auch, Dinge auszuprobieren. Ist es schwierig? Ja. Aber es gehören die Anstrengungen von zwei Seiten dazu, und wenn es klappt, gibt es sehr viel zu gewinnen.

STANDARD: Viele Unternehmen haben in den vergangenen Monaten gesagt, sie möchten sich engagieren, haben ganz unterschiedliche Projekte gestartet – von spezieller Lehrlingsausbildung bis zu Sachspenden.

Kühmayer: Das ist löblich, ich möchte das gar nicht kritisieren. Nur wenn es dort endet, dann sind wir eigentlich beim Populismus. Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn Berufspolitiker das Gleiche machen: Feigenblattaktionen. Was es braucht, ist wirkliche Tatkraft: Mitarbeiter einstellen, ihnen dauerhafte Arbeit geben und nicht nur darauf zu vertrauen, dass die Probleme von der Politik gelöst werden. Denn das dauert recht lange.

STANDARD: In vielen Unternehmen gibt es für solche Themen seit längerem Diversity-Beauftragte. Die haben es aber nicht leicht und klagen über zu wenig Gestaltungsspielraum.

Kühmayer: Zu Recht. Wie individualisiert und bunt unsere Gesellschaft ist, sieht man aber nicht nur beim Thema Migration, sondern auch was Partnerschaften anbelangt, die nicht der Durchschnittsnorm entsprechen, bei den verschiedenen Glaubensbekenntnissen oder auch daran, dass es mehr Wechselwähler gibt als vor wenigen Jahren noch. Wer auf diese Entwicklungen mit Durchschnitt reagiert, wird keinen Erfolg haben. Die Benchmark für Diversity-Beauftragte ist die Zusammensetzung der Führungsteams. Wenn hier Diversität gegeben ist – von Alter über Geschlecht bis Herkunft – dann braucht es keinen Beauftragten mehr. (lhag, 2.1.2017)