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Fahrradkuriere arbeiten nicht nur bei jedem Wetter, sondern auch oft in prekären Arbeitsverhältnissen.

Foto: Reuters/Neil Hall

Wien – Der Arbeitstag von Benni und Stefan (Namen von der Redaktion geändert) beginnt, wenn andere von der Arbeit nach Hause kommen und es zu anstrengend finden, noch zu kochen. Benni und Stefan holen ihre pinkfarbene Arbeitskleidung im sechsten Wiener Gemeindebezirk ab und radeln los. Die beiden sind zwei von rund 400 Fahrradkurieren, die in der Bundeshauptstadt für Foodora Essen ausliefern. Mittlerweile prägen die bunt gekleideten Radfahrer das Wiener Stadtbild. Auf ihren Rücken thronen Thermorucksäcke, in denen Currys, Burger und Falafel warm gehalten werden, während sie durch die Innenstadt transportiert werden. Die Arbeitsbedingungen der Zusteller jedoch sind mancherorts fragwürdig.

In Wien waren Mjam und Lieferservice in der Zustellbranche lange Zeit tonangebend. Beide verbinden über eine Plattform Kunden mit Restaurants, die Essen zustellen. Seit einigen Monaten mischt jedoch Foodora – und seit Mitte Dezember auch Uber Eats – die Zustellbranche auf. Das Konzept der beiden Unternehmen ist ähnlich: Per Fahrrad wird Essen auch von jenen Restaurants zugestellt, die bisher kein Lieferservice angeboten haben. Sowohl Kunden als auch Restaurants blechen für die Dienstleistung: Zustellgebühren starten bei knapp drei Euro. Die Kommissionen, die den Lokalen abgezogen werden, liegen "zwischen 30 und 35 Prozent", sagt Vincent Pfeifer, Pressesprecher von Foodora, im Gespräch mit dem STANDARD. Der Lieferservice, der sich selbst als Start-up bezeichnet, gehört dem Zustellriesen Delivery Hero, einer Tochter des börsennotierten Unternehmens Rocket Internet.

Fahrer stellen ihr eigenes Equipment

Das Zulieferkonzept steht und fällt mit den Radfahrern – und mit einem Computer. Ein Algorithmus errechnet, welcher Fahrer sich in der Nähe eines Restaurants befindet, und schickt diesem über eine App die Bestellung und Adresse des Kunden. Bargeld ist dabei nicht im Spiel – Kunden zahlen vorab online.

Benni arbeitet als freier Dienstnehmer auf Honorarnotenbasis für vier Euro pro Stunde, plus zwei Euro Prämie pro Lieferung. Zuschläge für Wochenenden oder Nachtdienste – die Hauptarbeitszeiten der Radler – gibt es nicht. Bei einer Fixanstellung steigt der Stundenlohn auf 7,30 Euro an, pro Lieferung kommen jedoch nur noch 60 Cent hinzu. "Der Stundensatz ist den jeweiligen Marktbegebenheiten angepasst", heißt es bei Foodora. Von freien Dienstverhältnissen wolle man sich verabschieden. Foodora-Sprecher Pfeifer dazu: "Es gibt noch alte Freelanceverträge, die werden aber sukzessive umgestellt." Kuriere müssen – trotz Anstellung – ihr eigenes Equipment stellen und Fahrräder sowie ein Smartphone mit Internetverbindung zum Dienst mitbringen.

Der Verdienst sei ausreichend, wenn es genügend Aufträge gibt, sagt Benni. 2,5 Aufträge pro Stunde seien der Durchschnitt. An manchen Tagen bekomme er aber für ein oder zwei Stunden keinen Auftrag, dann verdiene er stündlich nur vier Euro. Die Fahrer können sich jede Woche für Dienste eintragen, eine Garantie, dass sie genug Stunden zusammenbekommen, gibt es nicht: "Ich weiß also nie, wie viel Geld ich nächsten Monat haben werde." Das Trinkgeld sei am Wochenende in Ordnung, sagt der Fahrer. In Büros zahle unter der Woche kaum jemand etwas dazu. Während ihrer Dienstzeit müssen die Kuriere das GPS-Signal am Mobiltelefon aktivieren. "Du wirst ständig getrackt. Die wissen immer genau, wo du bist", sagt Benni.

1.200 Kilometer pro Monat

Bei einer Vollzeitanstellung fährt ein Foodora-Fahrer rund 1.200 Kilometer pro Monat. Das entspricht in etwa einer Radtour von Wien nach Paris. Dabei werden die Räder dementsprechend abgenützt. Für die Wartung der Ausrüstung sind die Fahrer selbst verantwortlich und müssen diese auch aus eigener Tasche finanzieren. Es gebe jedoch Kooperationen mit Werkstätten in Wien, in denen Fahrer ihre Räder "zu vergünstigten Konditionen" reparieren könnten, sagt Pfeifer. "Das hat uns niemand kommuniziert. Weder bei der Infoveranstaltung noch bei der Einschulung", meint Benni.

Kuriere würden generell in praktisch allen Werkstätten Prozente erhalten, weiß Stefan, der seit mehreren Jahren als Fahrradkurier unterwegs ist. Das wäre keine Sonderleistung des Unternehmens. Bei Unfällen werden Schäden am Fahrrad zurückerstattet. Jedoch nur dann, wenn sie "ganz klar auf die Tätigkeit bei Foodora zurückzuführen sind", sagt der Pressesprecher.

Per Whatsapp zum Dienst

Der Großteil der Kommunikation innerhalb des Unternehmens findet über Whatsapp-Gruppen statt. Benni ist in drei solcher Gruppen. Hat er während der Dienstzeit einen platten Reifen, wendet er sich im Chat an seine Vorgesetzten in Berlin. "Manchmal steht da: 'Abzuholen in zwei Minuten.' Da ist dann wahrscheinlich etwas schiefgelaufen", sagt der Kurier. Auch dann schreibt er den Berlinern.

Die zweite Gruppe ist eine Diensttauschbörse für die Boten untereinander, und in der dritten kann Benni mit seinem Gruppenleiter Kontakt aufnehmen. Gruppenleiter sind Fahrer, die schon länger für das Unternehmen arbeiten. Sie sind die direkte Ansprechperson für zehn bis 15 Kuriere. "Da habe ich nur eine Telefonnummer, ich sehe ihn ja beim Arbeiten nicht", sagt Benni.

Die einzigen Arbeitskollegen der Fahrer sind ihre Smartphones: "Du hast eigentlich überhaupt keinen Kontakt zu Leuten, außer zu den Kunden." Einen Vorgesetzten hat Benni noch nie kennengelernt, auch nicht die Angestellten im Wiener Büro. Die anderen Boten kennt er nur vom Vorbeifahren in der Stadt.

"Es ist wie ein Computerspiel"

Stefan und Benni sind seit Jahren auch für andere Unternehmen als Fahrradkuriere unterwegs. Beide sagen, dass es große Unterschiede zwischen herkömmlichen Botendiensten und Essenszustellern geben würde. Die Arbeit bei Letzteren wäre wesentlich anstrengender und die Arbeitsbedingungen schlechter. Besonders stressig sei die Arbeit bei dem vegetarischen Lieferservice Rita bringt’s. Bei diesem müssten die Zusteller bis zu 40 verschiedene Speisen auf einmal zustellen und am Tag bis zu 40 Kilometer hinlegen: "Das ist sogar für geübte Kuriere Stress pur", sagt Stefan.

Beide sind trotz der zahlreichen Nachteile gern Fahrradkuriere: "Es ist wie ein Computerspiel. Eine Schnitzeljagd durch Wien", sagt Stefan. Auch Regen, Wind und Kälte gehören zu dem Job dazu. Er würde seinen Beruf deshalb aber nicht an den Nagel hängen: "Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung."

Dennoch wünschen sich die Radler, dass mehr Kuriere von Unternehmen angestellt würden und somit Anspruch auf Kranken- und Urlaubstage hätten. Viele Zustellfirmen würden rechtliche Graubereiche ausnützen, um Geld zu sparen. Die Arbeit im Straßenverkehr sei außerdem für die Boten, die mit bis zu 25 Kilometer pro Stunde unterwegs sind und teilweise mehr als 100 Kilo auf den Lastenrädern transportieren, gefährlich. Benni erzählt, dass er einmal wegen einer Verletzung für drei Monate nicht Rad fahren durfte: "Für hauptberufliche Kuriere ist das fatal." (Nora Laufer, 3.1.2017)