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Anton Kuh, größter "Sprechsteller" (Kurt Tucholsky) der Welt.

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Ankläger Man hat in dem Wiener Journalisten und Redner Anton Kuh (1890- 1941) sehr zu Recht den einzigen Gegner von Karl Kraus erkannt, der diesem auch gewachsen war. Kuh war ein Publizist von furchterregender Fruchtbarkeit. Etwa seit den 1910er-Jahren belieferte der Spross einer angesehenen Journalistendynastie Blätter in Wien, Prag und Berlin mit seinen ungemein beobachtungsscharfen Artikeln und Glossen.

Attraktion Zur Höchstform lief Kuh dann auf, wenn er, mit nichts als einer Flasche Cognac und seinem Geist bewaffnet, eine Bühne betrat und über einen beliebigen Stein des Anstoßes stundenlang extemporierte. Kuhs Schmährede wider den Fackel-Kraus hieß Der Affe Zarathustras (Karl Kraus). Gehalten wurde sie am 25. Oktober 1925 in Wien. Sie ist die einzige (stenografisch) erhaltene Probe von Anton Kuhs mündlicher Improvisationskunst.

Behextheit An Kraus tadelte Kuh eine Praxis des Schreibens und Denkens, in der er eine besonders verwerfliche Form des jüdischen Selbsthasses zu erkennen meinte. An Kraus bemängelte er im Besonderen, was er den vielfach jüdischen Fackel-Lesern im Allgemeinen vorwarf. Kraus sei ein Rechthaber. Als solcher gebärde er sich als Advokat, der Missstände anprangere, die ihn nichts angingen. Kuhs Polemik ist noch dort frappierend, wo sie keineswegs recht behält. Dem Kämpfer gegen den falsch gesetzten Beistrich (Kraus) unterstellt er sexuelle Unreife, die durch sterile Reinheit im Sprachlichen wettgemacht würde.

Feuilleton Anton Kuh als Feuilletonisten zu bezeichnen erscheint gerechtfertigt – und verfehlt das Wirken dieses Hochnervösen doch im Kern. Als Korrespondent reiste er ruhelos von Wien nach Berlin, von dort nach Prag und wieder retour. Er verzeichnete mit Spott und Wehmut den Untergang der Donaumonarchie 1918, konnte aber genauso über den "Gigolo" schreiben, der, um betuchten Frauen zu gefallen, die Liebe zum Hauptberuf macht und sich so in einen "Servierkellner der eigenen Grazie" verwandelt.

Formulierung Kuhs Bühne war der Kaffeehaustisch. Von den Ziseleuren unter den Zeitungsschreibern unterschied er sich durch sein unbestechliches Ethos, sein Eintreten für die Bedürftigen. Intellektuelle Raufhändel suchte er, Phrasen geißelte er. Pointen flogen ihm zu, doch missbrauchte er sie nie als Dekoration. Über Feuilletonisten schrieb er: "Eine wandelnde Chemiefabrik. Hinten kommt, übelriechend, der Rohstoff einer Eitelkeit hinein; gelangt dann in die Pointengießerei, in die Facettenschleiferei, in die Adjektivputzerei; und kommt vorne als duftende Formulierung wieder heraus."

Kuh Den eigenen Namen nahm er wie folgt in Schutz: ",Quod licet bovi, non licet Jovi' – was der Kuh darf, ist kaum dem lieben Gott erlaubt."

Nazis Seine Feinhörigkeit machte den "Wirr- und Feuerkopf" (Friedrich Torberg) früh aufmerksam auf die nationalsozialistischen Schläger und Phrasendrescher. Schrieb er zum Beispiel über den Gauleiter Sauckel, so lenkte Kuh die Aufmerksamkeit seiner Leser auf den Umstand, dass sie das "r" von "Saukerl" bei der stillen Lektüre unbedingt mitzuhören hätten. Am Tage des Nazi-Einmarsches in Österreich, dem 11. März 1938, dankte es der Reporter seiner Intuition, dass er bereits am frühen Nachmittag den Zug in die Tschechoslowakei bestieg und so den Häschern entkam. 1938 emigrierte Kuh in die USA.

Unauffälligkeit In seinen letzten Lebensmonaten beschäftige Kuh sich eingehend mit seinem Status als jüdischer Flüchtling. Er schmähte den Hang zur Selbstverleugnung in der neuen Umgebung von New York. Würde war für ihn nur mit Weltbürgertum vereinbar.

Werkausgabe Dem Anton-Kuh-Wissenschafter Walter Schübler ist eine editorische Herkules-Tat zu danken. In der Wallstein-Werkausgabe sind in entbehrungsreicher Kleinarbeit mehr als 1500 Texte zusammengetragen worden, an 140 Druckorten. Das alles liegt jetzt mustergültig kommentiert vor. Viele, viele Blumen der Kuh'schen Tagesarbeit, für die Ewigkeit gesammelt und gepresst. (Ronald Pohl, 30.12.2016)