Wien – Für Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) scheitern Reformen in Österreich vor allem an den Kosten und der "Kurzsichtigkeit der verantwortlichen Personen". Um das zu ändern, soll künftig berechnet werden, wie viel es kostet, wenn ein Gesetz nicht umgesetzt wird, schlägt Mahrer im Interview mit dem STANDARD vor.

Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) führt den "Sphero" vor – ein Spielzeug inklusive App, mit dem Kinder programmieren lernen sollen. Mahrer will sich für mehr Digitales im Unterricht einsetzen.
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STANDARD: Die aktuelle Pisa-Studie zeigt, dass in Österreich jene Schüler mehr werden, die massive Probleme beim Lesen haben. Die Spitzengruppe wurde kleiner. Was läuft falsch im Schulsystem?

Mahrer: Die bislang gesetzten Maßnahmen haben sich zu sehr am Mittelmaß orientiert. Wir haben tabuisiert, dass es Risikoschüler gibt, und zu wenig über Hochbegabtenförderung gesprochen. Das ist ein Drama, denn die Experten sagen uns, wir brauchen ein System, in dem alle mit dem Aufzug nach oben fahren können. Das versuchen wir jetzt mit der Bildungsreform, die wir Schritt für Schritt umsetzen. Wir stärken auch den elementarpädagogischen Bereich. Wenn Eltern ihre Kinder nicht so fördern können oder wollen, wie es notwendig ist, dann ist es die verdammte Aufgabe der Republik, und damit von uns allen, kein Kind zurückzulassen.

STANDARD: Wenn der Kindergarten so wichtig ist, warum dann nicht das Personal auf akademischem Niveau ausbilden?

Mahrer: Der Trend muss in diese Richtung gehen. Ob das für alle Aufgaben im frühkindlichen Bereich nötig ist, wird sich weisen. Bei den Leitungen ist es notwendig. Ich weiß, das ist eine Kostenfrage und viele Schrecken deshalb davor zurück. Es ist aber das beste Investment, weil wir uns damit langfristig Kosten im Sozialsystem sparen. Derzeit investieren wir wenig in den Anfang der Bildungskarriere, stattdessen geben wir viel Geld für jene aus, die mit 15 Jahren keine Ausbildung und keine Arbeit finden. Das halte ich für vollkommen schwachsinnig und einen mittelalterlichen Ansatz. Sie haben recht, es beginnt bei den Pädagogen und deren Ausbildung, bei den Räumlichkeiten und den Qualitätskriterien.

STANDARD: Bei den Qualitätskriterien ist nichts umgesetzt.

Mahrer: Deshalb muss man es erarbeiten.

STANDARD: Über diese Themen redet die Politik seit Jahren. Warum gibt es den Qualitätsrahmen für Kindergärten immer noch nicht?

Mahrer: Weil in Österreich viele Fragen an den Kosten scheitern und an der Kurzsichtigkeit der verantwortlichen Personen. Man betrachtet diese Fragen immer nur sektoral, also auf Gemeinde- oder auf Landesebenen. Die fragen sich berechtigterweise, wer das bezahlen soll. Es bräuchte stattdessen eine gesamtstaatliche Betrachtung über einen langfristigen Zeitraum hinweg. Wir beachten nicht, was es kostet, wenn wir eine Maßnahme nicht umsetzen. Das sollte man zwingend tun. Klar, das kann nur eine Schätzung sein, aber es würde eine ganzheitliche Sicht bringen.

Mahrer: "Wir beachten nicht, was es kostet, wenn wir eine Maßnahme nicht umsetzen. Das sollte man zwingend tun."
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STANDARD: Sie glauben, dass nach so einer Rechnung die Gemeinden und Länder den Reformen zustimmen werden?

Mahrer: Wenn man das nicht macht, ist das glasklarer Zukunftsraub bei den Kids. Geld hat kein Mascherl, das gehört nicht dem Bund oder den Ländern oder den Gemeinden, es gehört den Steuerzahlern, es ist ihnen raubritterhaft abgeknöpft worden. Daher haben die Steuerzahler ein Recht, dass mit ihrem Geld möglichst effizient, effektiv und zukunftsorientiert umgegangen wird.

STANDARD: Das Gesetz zum Ausbau der Schulautonomie wird seit Oktober verhandelt. Geplant war ein Beschluss vor Weihnachten.

Mahrer: Ich habe gesagt, dass es mich freuen würde, wenn das fertige Gesetz unter dem Christbaum liegt. Ich habe aber nie die Komplexität der Materie unterschätzt. Das dauert, es gibt eine Reihe von Fragen zu klären, auch mit den Schulpartnern. Aber ich bin positiv gestimmt, dass das zu einem vernünftigen Abschluss kommt.

STANDARD: In Grundzügen ist diese Reform schon im November vor einem Jahr präsentiert worden. Warum geht das so langsam?

Mahrer: Wir haben manches auch schnell umgesetzt – etwa das Paket für einen besseren Übergang zur Volksschule. Auch unsere Skizze für die Bildungsinnovationsstiftung war schnell fertig. Unsere Schulen und Kindergärten sollen keine Versuchslabore sein. Für die Bildungsinnovationsstiftung haben wir mit einer ganzen Reihe von Stakeholdern gesprochen und uns angesehen, was es international gibt. Das dauert einfach, außer man macht es schlampig. Das Gesetz ist jetzt durch und tritt mit 1. Jänner in Kraft. Das war der schnellstmögliche Prozess, und das ist eine recht einfache Materie im Vergleich zu Schulautonomie oder Behördenstruktur. Dazu kommt: Bildungsmaßnahmen wirken nicht sofort. Die Schulen müssen vorbereitet werden.

STANDARD: So weit sind wir noch gar nicht. Es gibt nicht einmal einen Gesetzesentwurf.

Mahrer: Über den verhandeln wir. Wenn es ordentlich gemacht wird, ist es irrelevant, ob das drei oder fünf Monate länger oder kürzer dauert. Es ist ein Prozess, im Hintergrund gehen schon die Wogen hoch. Ich komme mit Leuten zusammen, die mir nicht erklären, was für die Kinder gut ist, sondern was für ihre Interessengruppe gut ist. Das halte ich gelinde gesagt für merkwürdig. Da spreche ich von allen Parteien.

STANDARD: Innerhalb der ÖVP gibt es im Bildungsbereich sehr unterschiedliche Positionen. Wie bringen Sie das unter einen Hut?

Mahrer: Das gibt es nicht nur in der Volkspartei, sondern in allen anderen Parteien auch. Im Bildungsbereich ist es legitim, unterschiedliche Positionen zu haben, weil es für unterschiedliche Ansätze immer empirische Befunde gibt. Viel zu wenig passiert noch im Bereich der Pädagogik und Didaktik, ich bin sehr verwundert, dass darüber so wenig geredet wird.

STANDARD: Das wäre doch Ihre Aufgabe, Sie verhandeln die Reform.

Mahrer: Verhandeln, ja. Aber wir sind nicht ressortverantwortlich, wir sind das Spiegelressort. Wir bringen eine Menge Input, wir machen das gern. Es sollten sich aber auch Lehrer, Eltern und Schüler mehr beim Thema Pädagogik einbringen. Das sind die Experten. Es wird kaum darüber geredet, wie wir die Chancen der Digitalisierung nutzen können. Wie wir den Kindern programmieren lernen. Der "Sphero" ist ein Spielzeug, mit dem das einfach gelingt. Derzeit ist nicht einmal die Internetanbindung der Schulen so gut, dass wir so etwas nutzen können.

Karikatur von Mahrer gemeinsam mit Vizekanzler Reinhold "Django" Mitterlehner und Finanzminister Hans Jörg Schelling.
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STANDARD: Kommen wir zur ÖVP. Im August haben Sie gesagt, dass Ihrer Partei der moderne Touch fehlt. Wie kann sie den bekommen?

Mahrer: In dem sie sich mit der Zukunft beschäftigt, und das ist ganz klar die Digitalisierung. Wenn man dort die richtigen Ansätze hat, dann wird man automatisch modern. Wir tun das bereits im Rahmen der Parteiakademie. Wir sehen heute erst die Spitze des Eisbergs. Viele ziehen sich drei Lagen Pampers an und hoffen, dass sie die großen Veränderungen, die auf uns zukommen, nicht betreffen. Das machen viele Parteien. Oder ich sehe die Herausforderungen und stelle mich ihnen, das machen wir. International hat sich der Trend entwickelt, gegen alles zu sein und das Rad der Zeit zurückzudrehen.

STANDARD: Was wäre besser?

Mahrer: Ich bin der Meinung, die Volkspartei sollte die Chancen sehen. Zur Digitalisierung gehören zwei Komponenten, die wir in unserem Wertegerüst tragen: Das sind Freiheit und Eigenverantwortung. Es ist verfehlt, zu glauben, dass in diesen hochkomplexen Zeiten der Staat alles regeln kann. Wer die Chance der Digitalisierung nutzen will, soll dafür Anreize bekommen und nicht bestraft werden. Das sind jene Leute, die das Land nach vorn ziehen. Wenn man das macht, dann ist das nicht nur ein moderner Touch, sondern der richtige Weg.

STANDARD: Derzeit distanziert sich die ÖVP stark von der FPÖ. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Mahrer: Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hat nicht gesagt, dass wir uns distanzieren. Wir grenzen uns in der Profilbildung ab. Die Volkspartei wird von außen verschwommen wahrgenommen. Wir machen die Unterschiede zur freiheitlichen Partei klarer. Das heißt aber nicht, dass wir sie als künftigen Partner ausschließen. Warum sollten wir das tun? Die FPÖ ist eine demokratische Partei. (Lisa Kogelnik, 28.12.2016)