Auf Yuan Longpings Schreibtisch türmen sich Manuskripte und Dokumente. Der legendäre Agrarwissenschafler mit dem markanten Gesicht, das von jahrzehntelanger Feldarbeit unter praller Sonne geprägt ist, greift nach zwei zwischen den Stapeln steckenden Rispen der Reispflanze. Eine ist goldfarben, voller Körner. Sie ist die Fortentwicklung seines Superreises. Yuan gelang, was alle Experten für unmöglich hielten. Er kreuzte mischerbige Pflanzen miteinander, erzeugte Hybride mit denen er die Erträge steigerte. Das brachte ihm den Namen ein: "Vater des Hybridreises".

Yuan in seinem Büro mit einer 500 Körner Rispe seines Superreises. Er hat gerade wieder einen Weltrekord im Reisertrag aufgestellt und plant 2017 den nächsten, mit einer Einzelernte von 17 Tonnen Reis pro Hektar, das Vielfache des Weltdurchschnitt. "Wir könnten damit 500 Millionen Menschen mehr ernähren, wenn dieser Reis auf 50 Prozent der globalen Reisflächen angepflanzt wird."
Foto: Johnny Erling/STANDARD

Der 86-jährige hält seinen neuen Zuchterfolg in fünfter Generation fast zärtlich in der Hand. "Hier sind 500 Körner dran." Als er 1961 am Anfang seiner Forschung stand, fand er eine wild wachsende, schulterhohe Reispflanze mit 230 Körner. Das waren damals doppelt soviel wie bei normalen Reis. Die direkte Nachzucht misslang. Erst nach unzähligen Fehlschlägen entdeckte er eine Methode, wie sich Hybridreis kreuzen und stabiles Saatgut herstellen lässt. Er verdreifachte damit Chinas Reisernte. Sogar die USA übernahmen 1980 seinen Hybridreis und zahlen bis heute Lizenzgebühren dafür. 2015 waren es vier Millionen US-Dollar, sagt er stolz. Es war das erste Patent, das die USA von China kauften.

Steigerung der Reiserträge

Wenn Yuan erzählt wiederholt er Fachausdrücke in Englisch, das er einst von seiner Mutter und auf einer Missionsschule lernte. Mit seiner neuen Reissorte brach er vergangenen November zum dritten Mal den Weltrekord. Auf Versuchsfeldern bei Kanton kam er bei der Doppelernte auf 23 Tonnen Superreis pro Hektar. 2017 will Yuan einen neuen Rekord auch beim Einzelernten-Reis erzielen. "Wir werden auf 17 Tonnen Reis pro Hektar kommen,", sagte er im Büro seines Reis-Forschungsinstitut in Changsha, der Hauptstadt der Bauernprovinz Hunan.

Für ihn bleibt bis heute die Steigerung der Reiserträge sein wichtigstes Zuchtziel, solange noch mehr als 750 Millionen Menschen auf der Welt hungern. Pure Not wurde vor mehr als einem halben Jahrhundert zu seinem Anstoß, sich mit Reis zu befassen. Chinas Bauern verhungerten in Maos "Großem Sprung nach Vorn". In seiner Autobiografie, die Assistentin Xin Yeyun aufschrieb, erinnert er sich. 1960 war er Agrarlehrer in der Bauernprovinz Hunan: "Ich sah mit eigenen Augen mindestens fünf Leute, die am Straßenrand, vor den Feldern, unter einer Brücke hinfielen und starben." Er habe nie mehr vergessen, "wie wichtig es ist, Getreide zu haben."

Neues Forschungsinstitut

Yuan nimmt die zweite Rispe in seine Hand. Sie sieht wie das Gegensteil seines Superreis aus, ist struppig und vergilbt. "Das ist wildwachsender Reis. Er hat nur 100 Körner." Er stamme aus der ostchinesischen Küstenstadt Qingdao vor dem Gelben Meer und wachse auf salz- und alkali-belastetem Land. "Yuan will durch Kreuzungen neues Saatgut für resistenten Hochertragsreis erzeugen. Der soll auf Böden mit bis zu 0,8 Prozent Salzgehalt wachsen können. "Das ist mein neues Projekt", noch eines, um das Hungerproblem der Welt zu lösen.

In Qingdao lässt er ein neues Forschungsinstitut dafür aufbauen mit einem zwei Hektar großen Versuchsfeld. Für 2018 erwartet er den Durchbruch. Im Ausland scheiterten ähnliche Experimente. "Weil sie Wildreis mit Normalreis kreuzen und nicht mit Hybridreis. So gelingt ihnen nicht die Heterosis." So heißt der Vitalitätssprung beim Reis, der durch Kreuzung unterschiedlicher Elternzuchtlinien ausgelöst wird. "Wir wissen, wie wir das schaffen. Darin besteht unsere Überlegenheit." Wenn er Erfolg hat könnte China Millionen Hektar Küsten- und Mündungsböden, die bisher brachliegen, für Reisanbau urbar machen.

Yuan im Reis-Versuchsfeld
Foto: Courtesy vom Changsha ForschungsInstitut

Der Staat unterstützte Yuan früh mit Forschungsgeldern. Zum Förderer wurde vor allem der damalige Vizepremier und spätere Parteichef Chinas, Hua Guofeng, der aus Hunan kam. Er ordnete 1975 den flächenweiten Anbau von Hybridreis in 13 Provinzen im Süden an. Heute wird der von Yuan weiterentwickelte Superreis auf 60 Prozent der für Reis geeigneten Feldern in China angebaut. Im Ausland sind es in Dutzenden Staaten erst knapp zehn Prozent der Reisanbauflächen. Yuan hofft, dass es künftig die Hälfte werden. "Dann könnten 400 bis 500 Millionen mehr Menschen satt werden. Das ist ein Teil meines Traums."

Auszeichnungen

Auf einer großen Seidenstickerei in der Ausstellungshalle seines Forschungsinstituts ist sein Traum abgebildet. Er träumt ihn noch heute: "Ich liege im Feld und ruhe mich aus. Vor meinen Augen wächst Reis in Strängen so hoch wie Sorghum-Pflanzen. Seine Rispen spenden mir Schatten. Sie sind lang wie Strohbesen, die Körner groß wie Erdnüsse."

An der Wand in Yuans Büro hängen seine Auszeichnungen. Nur der Friedensnobelpreis fehlt. 1970 erhielt ihn der US-Agrarforscher Norman Ernest Borlaug für die Steigerung von Weizenerträgen und der "Grünen Agrarrevolution" Das Nobelpreis-Kommitee schrieb: Borlaug habe mehr als jeder andere beigetragen, "eine hungrige Welt mit Brot zu versorgen."

Yuan erzählt immer wieder von seinem Traum, der Thema einer Seidenstickerei in seinem Institutsmuseum ist. "Vor meinen Augen wächst der Reis so hoch wie Sorghum-Pflanzen. Die Rispen sind so lang wie Besenstile und die Körner so groß wie Erdnüsse. Ich schlafe im Schatten der Pflanzen."
Foto: Johnny Erling/STANDARD

Das trifft auf Yuan und seinen Reis ebenso zu. Seit 2008 steht er auf Oslos Kandidatenliste. 2015 wurde er "von einem Botschafter" vorab informiert, der "effektive Kandidat" zu sein. Das Kommitee, das wegen seiner Nobelpreise für den Dalai Lama und den Dissidenten Liu Xiaobo unter dem Bannfluch Pekings steht, ließ bei Yuan vorfühlen. Doch die Zeit ist noch nicht reif. Pekings Führung hätte sich quergestellt und ihm nicht erlaubt nach Norwegen zu fahren, um den Preis entgegen zu nehmen. Alles sei zu politisiert, sagt er. Er wolle nicht zwischen die Fronten geraten. "Ich bin Wissenschaftler kein Funktionär."

Kein KP-Mitglied

In seiner Autobiografie beschreibt er, wie er mit seinen Mitarbeitern nach 1964 neun Jahre brauchte, um eine Lösung für Hybridreis zu finden. Reis ist eine Selbstbestäuber-Pflanze. Sie mussten Abarten mit unfruchtbaren männlícher Samen finden. Nur so konnten sie Wildreis mit anderen Reispflanzen in Fremdbefruchtung kreuzen. 1973 waren sie so weit, dass sie seinen Reis flächenweit anpflanzen konnten. Die Ernten steigerten sich um 15 bis 20 Prozent. Es dauerte weitere 20 Jahre, bis sie mit verbessertem Saatgut einen mit hochertragsstarken Wildreis-Genen hybridisierten Superreis entwickeln konnte. Seither purzeln die Rekorde.

Auf Yuans Bücherschrank stehen Fotos mit Chinas KP-Führern. Er gehört bis heute nicht der Partei an. Beinahe wäre er frühen Verfolgungskampagnen gegen Chinas Intellektuelle zum Opfer gefallen. Doch der Agrarwissenschaftler steht in Peking hoch im Kurs. Fünf Jahre nach Maos Tod erschien 1981 ein offizielles Parteidokument als Rückblick auf die turbulenten Zeiten seit Gründung der Volksrepublik. Es nennt Yuans Hybridreis eine der drei wichtigsten "wissenschaftlich-technischen Errungenschaften" des neuen China. Die beiden anderen sind der Test der Wasserstoffbombe und der Satelittenstart. 2013 gab Chinas Post Sonderbriefmarken zu 40 Jahren Hybridreis heraus.

Solche Wertschätzung zeigt den Stellenwert an, den Getreideernten im Denken der Pekinger Führung spielen. Ein offizielles Buch "Die Ernährung der Nation" erinnert daran, dass sich 80 Prozent aller Volksaufstände in der Geschichte Chinas an Agrarkrisen entzündeten.

Strukturprobleme

Erneut wird heute in Peking über die Ernährungsfrage debattiert. Im Dezember warnte das Statistische Amt, dass Chinas Getreideproduktion erstmals seit 13 Jahren 2016 um fünf Millionen Tonnen auf 616 Millionen Tonnen Getreide fallen wird. Grund sei der Verlust an Anbauflächen durch die Urbanisierung und geringere Hektarerträge. Nur die Reisproduktion, die ein Drittel der Getreideernte ausmacht, nahm zu.

Agrarökonomen der Regierung halten die Strukturprobleme für alarmierender als den Ernterückgang. Chinas Landwirtschaft könnte zwar einer Ernte von 620 Millionen Tonnen Getreide 2015 die errechnete Nachfrage von 650 Millionen Tonnen fast autark erfüllen. Doch tatsächlich importierte das Land 2015 nicht 30 Millionen, sondern eine Rekordmenge von 130 Millionen Tonnen Getreide, darunter 82 Millionen Tonnen Soyabohnen. China kaufte 64 Prozent des Soya-Weltmarktangebots auf. Die Städter konsumieren heute mehr Fleisch und Milch. Unverkäuflicher Mais und überschüssiger Reis füllen die Vorratslager.

Eine zersplitterte Kleinbauern-Landwirtschaft hat ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren, schlug der Agrarexperte Chen Xiwen Alarm. Getreide ist heute beim Anbau in China um 30 bis 50 Prozent teurer als auf dem Weltmarkt. Die Lage ist kritisch. Parteichef Xi Jinping warnte im Dezember 2013 nach seinem Amtsantritt vor der "zu naiven" Vorstellung, dass Chinas Nahrungsproblem schon gelöst sei. Sollten plötzlich Probleme bei den Ernten auftreten, würde das gesamte verfügbare Handelsgetreide der Welt nicht einmal den halben Jahresbedarf Chinas decken können.

"Jedes Korn ist ein Meisterstück"

Yuan glaubt an weitere Ertragssteigerungen mit Hilfe der Wissenschaften. Auf Kritiker seines neuen Superreis, die ihm jetzt vorwarfen, Wachstum auf Kosten von Qualität und Geschmacks zu erzielen, reagierte der 86-Jährige mit Humor.

Yuan verschickt vakuumgepresste Probierpakete seines Superreis an Kritiker, die behaupten er schmecke nicht. Auf die Verpackung hat er in Schönschrift gepinselt: "Daogu Shule" (Der Reis ist reif) und "Jedes Korn ist ein Meisterstück." Eigenhändig schrieb er das richtige Mischungsverhältnis auf den Reis.
Foto: Johnny Erling/STANDARD

Er schickte ihnen selbst designte, vakuumgepresste Probierpakete seines Superreises ins Haus. Auf die Verpackung pinselte er: "Daogu Shule" (Der Reis ist reif) und "Jedes Korn ist ein Meisterstück." Dann schrieb er das Mischungsverhältnis auf, damit der von ihm so geliebte Superreis richtig gut schmeckt: "1,2 Teile Wasser auf einen Teil Reis." (Johnny Erling, 24.12.2016)