Papierlübergabe am Marktstand: eher die Ausnahme. Von vielen Kunden bekommen die Verkäufer ein "Rechnung brauch ich keine" zu hören.

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Filigranarbeit für kalte Hände: Dass die junge Verkäuferin am Marktstand mit den duftenden Seifenwaren die Thermopapierrolle ihres Bondruckers wechseln muss, ärgert sie. Zwar nur einmal wöchentlich sei die Rolle verbraucht, trotzdem: Der Wechsel dauert und ist immer dann fällig, wenn der Rummel gerade besonders groß ist.

Einen Stand weiter auf dem Marktplatz vor dem Bahnhof Wien Mitte verkauft Erika Nagy heuer zum ersten Mal ihren Weihnachtsschmuck made in China. Die Einzelunternehmerin braucht keine Registrierkasse, es reicht die handschriftliche Aufzeichnung der Umsätze nach dem allabendlichen Kassensturz. Das hat sie der sogenannten Kalte-Hände-Regelung zu verdanken: Unternehmer, die ihr Geschäft außerhalb fester Räumlichkeiten betreiben, müssen nicht ab 15.000 Euro Jahresumsatz eine Kasse benutzen, sondern erst ab 30.000 Euro.

Erleichterungen ausgeweitet

Nach langem Gezerre wurden diese Erleichterungen nachträglich auch auf Alm-, Ski- und Schutzhütten sowie Buschenschenken ausgeweitet. Am umstrittensten waren aber die Ausnahmen für Festveranstaltungen gemeinnütziger Vereine: Damit haben sich die politischen Parteien mitsamt ihren Vorfeldorganisationen nämlich auch gleich selbst von der Kassenpflicht befreit.

Überhaupt war ihre Einführung, die wegen Bedenken des Verfassungsgerichtshofs von 1. 1. auf 1. 4. 2016 verschoben wurde, von lauter Kritik begleitet. Allen voran Wirtschaftskammer (WKO) und Landeshauptleute warnten vor bürokratischen und finanziellen Belastungen, von einem Generalverdacht gegen Unternehmer war die Rede. der STANDARD hat sich angesehen, welche Befürchtungen wahr geworden sind.

"Wirtesterben": Neben Allergenverordnung, Barrierefreiheit und Rauchverbot ist die Registrierkasse für Gastronomen nur eines von vielen Reizwörtern. Die Summe der Maßnahmen führe zu einem Wirtesterben, warnten manche.

Aus der Insolvenzstatistik lässt sich bei Gastrobetrieben allerdings kein besonderer Anstieg herauslesen. Laut Wirtschaftsauskunftei Creditreform gibt es keine Hinweise darauf, dass Gastronomen in die Pleite schlittern, weil sie ihre Umsätze jetzt ehrlicher anführten.

Auch die WKO-Betriebsstatistik lässt keine plötzliche Verschärfung eines Trends erkennen, den es so schon seit Jahrzehnten gibt: Auf dem Land sperren Dorfwirte zu, während in den Städten immer mehr Restaurants, Cafés und Imbissbuden gegründet werden. Dank ihrer hat sich die Gesamtzahl der Lokale seit den 1980ern auf 60.000 nahezu verdoppelt.

Budgeteffekt: Eine geringere Chance zum Abgabenbetrug heißt mehr Steuereinnahmen: Ob diese Rechnung aufgeht und heuer durch die Kassenpflicht jene 900 Millionen Euro an zusätzlicher Umsatzsteuer anfallen, die zur Gegenfinanzierung der Steuerreform eingeplant sind, ist weiter offen. Die verzögerte Einführung dürfte aber Spuren hinterlassen.

Erwartungen werden wohl unterschritten

Zahlen aus dem Budgetvollzug schüren Zweifel, wie sie etwa der Fiskalrat äußerte. Zwar kamen bis Oktober 835 Millionen Euro mehr herein als 2015. Wie viel davon aber tatsächlich auf eine ehrlichere Umsatzaufzeichnung und wie viel auf den durch die Steuerreform gestiegenen Konsum zurückgeht, lässt sich nicht feststellen. Die Erwartungen bei der Umsatzsteuer dürften jedenfalls unterschritten werden, schreibt das Finanzministerium (BMF) in einem Bericht über die Entwicklung des Bundeshaushalts bis Ende September. Endgültige Zahlen für 2016 werden erst im März vorliegen. Für 2017 bleibt das Ministerium bei geschätzten Mehreinnahmen von 990 Mio. Euro.

Strafen: Mit der Einhaltung der Kassenpflicht zeigt man sich zufrieden. 17.000 sogenannte Nachschauen hat es in Sachen Registrierkasse heuer gegeben – entweder im Rahmen von Betriebsprüfungen oder bei gesonderten Kontrollen. Bei jedem fünften Betrieb gab es etwas zu beanstanden, meist aber nur Formfehler bei der Aufzeichnung. "Sehr selten" seien hingegen Fälle, bei denen keine Kasse vorhanden ist, heißt es aus dem BMF. Ertappten droht eine Strafe bis zu 5000 Euro. Nicht einmal schätzen lässt sich, wie oft Umsätze trotz vorhandener Registrierkasse einfach nicht eingegeben werden. "Brauchen Sie eine Rechnung?", hört man jedenfalls noch immer vielerorts. Und das, obwohl für jedes Bargeschäft ein Rechnungsbeleg ausgestellt werden muss – unabhängig davon, ob das Unternehmen eine Registrierkasse verwenden muss oder nicht.

Nachrüsten: Schneller und einfacher werden Betriebsprüfungen ab April, wenn der technische Manipulationsschutz gilt. Aufgrund von technischen Problemen und weil Unternehmensvertreter um einen Aufschub baten, wurde auch diese Pflicht verschoben: Eigentlich sollte sie bereits am 1. 1. 2017 in Kraft treten. Viele Unternehmer müssen bestehende Kassen aufrüsten und sich über das Onlineportal der Finanz anmelden. Kritiker sehen darin einen zusätzlichen administrativen Aufwand.

Von den Marktstandlern, die bereits eine Registrierkasse benutzen, hört man auf Nachfrage wenig Klagen. Das bestätigt auch Akan Keskin. Die Infoveranstaltungen der Wirtschaftskammer hätten viele Unklarheiten und Unsicherheiten ausgeräumt, so der Obmann der Wienern Markthändler. Auch zu den im Vorfeld befürchteten Problemen mit Akkulaufzeiten bei Minustemperaturen sei ihm nichts zu Ohren gekommen.

Das könnte aber auch damit zu tun haben, dass viele Betreiber von mehreren Ständen ihre Einnahmen auf mehrere Köpfe verteilen, um unter der Umsatzgrenze zu bleiben, gibt Keskins Bundesobmann Gerhard Lackstätter freimütig zu: "Da hat dann halt auch die Frau oder die Tochter einen Gewerbeschein."

Standlerin Erika Nagy hofft jedenfalls, die Umsatzgrenze im kommenden Jahr zu überschreiten. Einen Katalog mit Kassenmodellen hat sie sich schon zugelegt. Beschwerden über Anschaffungskosten und Aufwand hört sie von Kollegen sehr wohl, aber: "Das ist immer so bei etwas Neuem." (Simon Moser, 23.12.2016)