Nachts in der Bäckerstraße: Patron Mario Bernatovic vor seinem Kussmaul "neu" in der Wiener Innenstadt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Beef Tartare wird von Hand gehackt, Blunze wird sowohl knusprig gebraten wie zu einer Art Verhackertem verarbeitet.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Vergangenen Sommer verschwand Mario Bernatovic über Nacht aus seinem noblen, von Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner finanzierten Restaurant Kussmaul am Wiener Spittelberg. Bald danach wurde auch das Lokal geschlossen. Die spektakulär gestaltete Neo-Brasserie hat erst seit wenigen Tagen als "Das Spittelberg" wieder offen, Starkoch Harald Brunner soll sie mit seiner feinsinnig-neowienerischen Küche in vergleichsweise ruhigere Gewässer steuern.

Noch muss er aber auf die behördliche Genehmigung des neuen Herzstücks warten: einer prachtvollen Rotisserie, auf der sich schon bald große Braten, diverses Geflügel und andere Gemeinheiten um die Glut drehen sollen.

Und Bernatovic, der vorschnell Totgesagte, ist mit neuem Kussmaul auch wieder da. Ganz so spektakulär ist die neue Bleibe nicht. Dafür zeigt er im einstigen Merlo aus der Kornat-Konkursmasse in der Bäckerstraße, dass er auch aus einer verhunzten Location ein recht beachtliches Lokal zu basteln versteht.

Durchwegs Bio-Weine

Das zuvor neonblau verstrahlte, dezidiert neokroatische Interieur des Merlo hat sattem Taubengrau und Gold Platz gemacht. Die auf Hochglanz polierte Palisander-Möblage wurde abgeschliffen, die Fensterflächen zur Bäckerstraße mit dunkelschwarzer Folie beschattet – und siehe da: Plötzlich kommt hier fast so etwas wie Stimmung auf.

An der Bar wird das durch Arturo Castaneda, einen alten Bekannten vom Spittelberg, mittels gefällig animierender Drinks aus selbst angesetzten Essenzen unterstützt. Die Weine sind durchwegs bio, oft "natural" oder orange und mit Geschmack ausgesucht. Da sollte man aber die Preise nicht aus dem Blick verlieren: Wer nicht aufpasst, hat schnell ein Achtel um zehn Euro oder mehr im Glas – schluck. Flaschen unter 30 Euro sind, bis auf die tadellosen Hausweine von Buchegger (weiß) und Judith Beck (rot), gleich gar nicht vorrätig. Im Vergleich dazu wirken die Speisen moderat kalkuliert.

Es gibt ein gutes Dutzend kalter und warmer Gerichte in Kleinportionen, die Bernatovic am liebsten in der Tischmitte ("sharing is caring") einstellen lässt. Eine vor Ort geräucherte Forelle von milder Saftigkeit zum Beispiel, der mittels Passionsfruchtcreme, Austernmayonnaise und Kren brachiales Aromentuning angediehen wird. Am Gaumen kommt das erwartungsgemäß als Frontalaufprall an – nach erstem Schock aber können die Geschmacksnerven ein gewisses Wohlgefallen nicht verleugnen.

Beef Tartare wird von Hand gehackt und verkommt, endlich einmal, nicht zu gerontophilem Fleischbrei. Dazu setzen ein paar Tupfer Jalapeño-Emulsion fruchtig-scharfe Akzente.

Fette Austern

Blunze wird sowohl knusprig gebraten wie zu einer Art Verhackertem verarbeitet, Frischkäse-Kren-Mousse und Yuzucreme dürfen auch mit auf den Teller. Für sich ist jedes Element tadellos abgeschmeckt, in der Kombination aber wird ein extrem massives, in Fett schwelgendes Gericht daraus, dem es an Frische und Kontrapunkten fehlt – schade.

Viel besser: die ganz kurz pochierten, wunderbar fleischigen Austern in aromatisch funkelnder Schalentiersauce. Bernatovics famoses Lammbeuschel ist auch wieder da, samt extrem flaumigem Kapern-Topfen-Knödel. Lachs, zu zart blätternder Saftigkeit confiert, wird mit Topinamburcreme, Lachskaviar und reichlich Nussbutter zu einer vergleichsweise reduzierten, aber konzentriert köstlichen Herrlichkeit.

Im Vergleich dazu wirken die Fleischgerichte eher leidenschaftslos – die zu elastischer Trägermasse niedergegarten Kalbsmedaillons ebenso wie der gar löffelweiche Schweinebauch mit Mandelmilch und Kohlpüree. Auch gut – bald werden wir den Gürtel nämlich eh wieder enger schnallen wollen! (Severin Corti, RONDO, 23.12.2016)