Bonn – Viele technische Meisterleistungen der Geschichte wurden in China vollbracht: Das Schießpulver, das Porzellan, der Kompass oder der Buchdruck wurden alle zuerst in China erfunden, ehe sie auch in Europa entwickelt oder, in vielen Fällen, importiert wurden. Beim bewegten Bild ist es allerdings umgekehrt: Der auf die Leinwand projizierte Film fand in China bald nach seiner Erfindung in Europa großen Anklang. Die Sinologin Meimei Xu von der Universität Bonn hat nun untersucht, wie das neue Medium gegen Ende des 19. Jahrhunderts im kaiserlichen China Fuß fasste.

Der Boden dafür, was die Chinesen später "Diàn yĭng" nennen (Elektrische Schatten), war bereits in den Jahrhunderten davor von der Laterna Magica bereitet worden, ein im 17. Jahrhundert (wahrscheinlich in den Niederlanden) entwickeltes Projektionsgerät: In einen beleuchteten Kasten wurden bemalte Glasscheiben eingeschoben, die Motive erschienen durch Linsen vergrößert an der Wand. In China galt die "Magische Laterne" als Kuriosum zwischen Kunst und Zauberei, vorgeführt in reisenden Varietétheatern – oder verwendet von Missionaren, um dem chinesischen Publikum die Inhalte des christlichen Glaubens nahezubringen. Am populärsten bei den Zuschauern seien jedoch europäische Landschaftsbilder gewesen, berichtet Xu: "Das fanden die Chinesen einfach sehr exotisch."

Schon zwei Jahre nach der Erfindung des Kinematographen durch die französischen Gebrüder Lumière kam die neue Technik nach China. "In Hongkong gastierte 1897 Maurice Chavet, in Schanghai gleichzeitig Harry Welby Cook", berichtet Xu. Beide waren reisende Unterhaltungskünstler. Chavet benutzte einen Lumière’schen Kinematographen, Cook ein "Animatoskop", wahrscheinlich aus England. Was auf dem Programm stand, "wissen wir leider nicht", bedauert Xu. Überhaupt ist die Quellenlage zu dieser Ära der Filmgeschichte dürftig. Als hilfreich erwiesen sich vor allem Anzeigen in der Schanghaier "Shenbao", der damals meistgelesenen chinesischsprachigen Tageszeitung.

Der "Boxeraufstand" änderte das Medienverhalten

Zum Prüfstein für die junge Technik geriet zwei Jahre später der Kampf der Bewegung "Fäuste der Gerechtigkeit und Harmonie" gegen die acht Kolonialmächte zwischen 1899 und 1901 (in Deutschland als "Boxeraufstand" bekannt). "In dieser Zeit hat sich das Kino im chinesischen Bewusstsein vom Kuriosum zum Massenmedium entwickelt", meint Xu. Westliche Filmteams drehten demnach zahlreiche Dokumentationen über die Ereignisse. Englisches Zelluloid zeigte dezidiert antichinesische Propaganda; das amerikanische hingegen bemühte sich um eine neutrale Darstellung des Konflikts.

Interessierte Chinesen nutzten bald die Gelegenheit, sich mit den Möglichkeiten der laufenden Bilder bekannt zu machen – denn die westlichen Filmemacher brauchten Hilfskräfte vor Ort. Dadurch wurde das Wissen über diese Technik auch in die chinesische Bevölkerung getragen.

Der erste "echt chinesische" Film entstand 1905: eine Aufnahme von Szenen der chinesischen Oper "Dingjun Shan" (Der Berg Dingjun), die von einer bedeutenden Schlacht im Jahre 219 erzählt. Der Pekinger Fotostudiobesitzer Ren Fengtai kaufte eine Filmkamera, engagierte einen Kameramann und hat ihn sich einfach auf der Bühne aufstellen lassen, weil er ein großer Fan dieser Oper war." Leider ging die einzige Kopie des Streifens in den 1940er Jahren durch Feuer verloren. (red, 20.12.2016)