Zwei Wochen nach dem letzten Durchgang der Bundespräsidentenwahl kann man feststellen, dass der lange Wahlkampf an der Parteienlandschaft nichts geändert hat. Zwar haben nie zuvor so viele Menschen – nämlich 2.472.892 – einen Grünen gewählt wie bei der Stichwahl am 4. Dezember. Zwar haben nie zuvor so viele Menschen einen Blauen gewählt wie bei der Stichwahl am 22. Mai (2.220.654, nicht alle sind Norbert Hofer bis zum Dezember treu geblieben). Aber die Wahlabsichten bei einer möglichen Nationalratswahl haben sich kaum verschoben.

Dieser Befund zeigt, dass die Wahlberechtigten sehr wohl zwischen verschiedenen Wahlen unterscheiden. Sie tun das in immer stärkerem Ausmaß – "gelernt" wurde das Wechselwählen bei Kommunalwahlen, dann hat es sich bei Landtagswahlen etabliert, wo starke Landespolitiker viel bessere Ergebnisse erzielen können als ihre jeweiligen Bundesparteien bei bundesweiten Wahlen in ihrem Bundesland.

Motivierungskünste gefragt

Nun gilt also auch bei bundesweiten Wahlen: Wer ein-, zweimal Alexander Van der Bellen gewählt hat, zählt zwar zum weitesten von den Grünen ansprechbaren Wählerkreis. Aber das heißt nicht, dass diese potenziellen Wählerinnen und Wähler auch tatsächlich zu den Grünen wandern, wenn das nächste Mal ein neuer Nationalrat gewählt wird. Da wird es auf die Motivierungskünste ankommen – und Eva Glawischnig wird derzeit nur von jedem 50. Wahlberechtigten als Kanzlerin gewünscht.

Im blauen Lager ist es ganz ähnlich: Zwar bekennen sich derzeit in Umfragen viele Personen zur Wahl der FPÖ – auf die Frage, wer denn der nächste Kanzler werden soll, sagen aber nur sechs von zehn bekennenden Freiheitlichen, dass das Heinz-Christian Strache sein soll. Jeder neunte FPÖ-Wähler sagt sogar explizit, dass er für Amtsinhaber Christian Kern stimmen würde, wenn man denn den Kanzler direkt wählen könnte.

Gute Karten für Kern

Überhaupt hätte Kern derzeit in einem stark auf Persönlichkeiten abstellenden Wahlkampf gute Karten: In der Kanzlerfrage ist er mit 41 Prozent ganz weit vorn, auch etwa jeder fünfte ÖVP-Wähler würde sich einen Verbleib Kerns wünschen. Das relativiert die Aussagen der derzeitigen ÖVP-Spitze, die meint, dass es zwischen ÖVP und SPÖ kaum Wähleraustausch gebe. Aber es ist ja auch keineswegs gewiss, dass die ÖVP mit ihrem derzeitigen Spitzenteam in die Wahl geht – ein Sebastian Kurz wäre möglicherweise ein besserer "Vote-Getter" als Reinhold Mitterlehner, der in nur zwei Jahren an der Parteispitze ziemlich an Strahlkraft verloren hat. Was Mitterlehner aber nicht verloren hat, ist sein Optimismus, den er quasi zum Programm der ÖVP gemacht hat.

Das wirkt auch in die Wählerschaft der FPÖ und erst recht in die viel größere von Hofer hinein: Dass nur zukunftsängstliche Versagertypen den Freiheitlichen nachliefen, ist ein verbreitetes Klischee. Aber es ist falsch.

Vielmehr gibt es wechselbereite Wähler, die bei guter wirtschaftlicher Stimmung, verbunden mit entsprechenden Stabilitätsversprechen aus als verlässlich empfundenem Kandidaten-Mund, durchaus zu den Koalitionsparteien zurückfinden könnten – was diesen die verlorene Mehrheit zurückbringen könnte.

Auch die Grünen – und in bescheidenerem Ausmaß die Neos – könnten mit entsprechenden Angeboten auf Wechselwähler hoffen. Von diesen gab es noch nie so viele wie derzeit. (Conrad Seidl, 19.12.2016)