Die Lage in dem von Regierungstruppen eingekesselten Ost-Aleppo ist verheerend. Nach dem Stopp der Evakuierung durch Assad-Truppen soll diese nun fortgesetzt werden.

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Aleppo – Die am Freitag abgebrochene Evakuierung der Rebellenhochburg Ost-Aleppo soll nun doch weitergehen. Rebellen und Regierung einigten sich am Samstag auf ein neues Abkommen, das den Abzug der restlichen Kämpfer und Zivilisten aus dem umkämpften Stadtteil ermöglichen soll.

Schiitendörfer betroffen

Neben Ost-Aleppo sollten auch die beiden von den Aufständischen eingekesselten Schiiten-Dörfer al-Fua und Kefraya evakuiert werden, kündigte Rebellensprecher al-Faruk Abu Bakr aus Aleppo gegenüber dem Nachrichtensender al-Arabiya al-Hadath an. Zudem sollten Verletzte zwei Orte nahe der libanesischen Grenze verlassen dürfen, die von Kämpfern des Regierungslagers belagert werden. In syrischen Regierungskreisen wurde dies bestätigt.

Nach Hisbollah-Angaben fuhren in Aleppo bereits Busse los, um die Menschen in al-Fua und Kefraya abzuholen. In den beiden Dörfern sind nach Angaben der oppositionsnahen "Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte" etwa 20.000 Menschen gefangen, unter ihnen etwa 4.500 Kämpfer aufseiten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad. Die Evakuierung Ost-Aleppos solle zeitgleich mit dem Abtransport Verletzter aus den beiden Dörfern ablaufen, sagte ein Unterhändler der syrischen Regierung. Auch aus den Orten Sabadani und Madaya sollten Menschen abziehen dürfen. Während der Evakuierung Ost-Aleppos war von Greueltaten durch syrische Regierungstruppen an den Evakuierten berichtet worden.

Die Schiiten-Dörfer al-Fua und Kefraya liegen in der Provinz Idlib und sind von den Rebellen eingekesselt. Die Orte Madaya und Sabadani sind von Kämpfern des Regierungslagers umstellt. Die Evakuierung Ost-Aleppos war am Freitag inmitten gegenseitiger Schuldzuweisungen der Konfliktparteien abgebrochen worden. Dabei ging es unter anderem um die Forderung, dass auch Menschen in anderen belagerten Orten eine Chance zur Flucht erhalten sollten.

Zehntausende Menschen sollen noch in Aleppo ausharren. Derweil halten Menschen weltweit und in Wien Mahnwachen, um auf die prekäre Lage in Aleppo aufmerksam zu machen und den betroffenen Syrern zu gedenken.
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Die Vereinten Nationen schätzen, dass noch rund 30.000 Menschen im Osten Aleppos ausharren. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Syrien will sich auf keine Schätzung mehr festlegen. Nach seinen Angaben könnte die Evakuierung des überfüllten Stadtteils jedoch mehrere Tage dauern. Ein Teil der Menschen aus Ost-Aleppo soll in die Provinz Idlib gebracht werden, die großteils von radikalen Islamisten beherrscht wird. Der Rest soll in Stadtteile Aleppos ausweichen, die unter der Kontrolle der Regierung sind. Idlib ist bereits Ziel russischer und syrischer Luftangriffe. Ob die Regierung dort nun auch eine Bodenoffensive vorantreiben wird oder die Rebellen zunächst verschont, ist unklar.

Trump für "Sicherheitszonen"

Der designierte US-Präsident Donald Trump kündigte am Freitag an, seine Regierung werde "Sicherheitszonen" einrichten, um den Zivilisten im syrischen Bürgerkrieg zu helfen. Der scheidende US-Präsident Barack Obama warnte indes, dass sich solch ein Vorhaben kaum umsetzen lasse. "Die Verantwortung für diese Brutalität tragen das Assad-Regime und seine Verbündeten Russland und Iran", erklärte Obama. "Sie haben Blut an ihren Händen und sind schuld an diesen Gräueln."

Der russische Außenminister Sergei Lawrow beriet nach Angaben seines Ministeriums am Samstag mit seinen Kollegen aus der Türkei und dem Iran über die Syrien-Krise. In ihrem Telefonat hätten die Minister betont, die internationale Gemeinschaft müsse in einer gemeinsamen Anstrengung Hilfe für die Menschen in Syrien leisten und eine politische Lösung ermöglichen.

Tausende harren aus

Die syrische Führung hatte die Evakuierung am Freitag gestoppt, nachdem es zu Gefechten gekommen war. In den Rebellengebieten warten nach Angaben von Hilfsorganisationen und Aktivisten noch Tausende Menschen darauf, die belagerten Stadtviertel verlassen zu können.

Das Regime in Damaskus und die Opposition hatten sich nach dem Aussetzen der bisherigen Transportfahrten durch die Regierung gegenseitig die Schuld dafür zugeschoben. Russland als enger Verbündeter Syriens erklärte den Transport von Kämpfern und deren Familien aus Ost-Aleppo am Freitag für beendet. Es seien nur noch Kämpfer in den Rebellengebieten, hieß es aus dem russischen Verteidigungsministerium.

Nach Angaben des UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Staffan de Mistura, befinden sich in dem fast vollständig von der syrischen Armee zurückeroberten Osten von Aleppo hingegen noch etwa 40.000 Zivilisten sowie bis zu 5.000 Rebellenkämpfer und ihre Familien.

Katastrophale Lage

Für die Menschen in der verwüsteten Stadt ist die humanitäre Situation katastrophal. "Es befinden sich noch viele Menschen im Osten der Stadt", sagte der Leiter des Deutschen Roten Kreuzes, Christof Johnen, am Samstag im Deutschlandfunk. "Es fehlt wirklich an allem." Die Menschen, die bereits aus der Stadt herausgebracht worden seien, befänden sich teilweise in einem schlimmen Gesundheitszustand.

In West-Aleppo seien viele Flüchtlinge in den ehemaligen Lagerhallen einer alten Baumwollfabrik untergebracht worden, berichtete Johnen. "Da leben jetzt die Menschen. Das sind Betonböden oder gestampfte Lehmböden." Es sei kalt, die hygienische oder sanitäre Situation sei furchtbar. Die Staaten sollten darauf drängen, dass das humanitäre Völkerrecht wieder Geltung erlange.

Hunger und Durst

Die eingeschlossenen Zivilisten haben weder Lebensmittel noch Trinkwasser. Sie ernähren sich lediglich von Datteln. Weil sie geglaubt hatten, sie würden die Stadt verlassen, hatten viele Bewohner ihren Besitz verbrannt, damit er nicht in die Hände der Soldaten fällt. Seit Donnerstag wurden nach Angaben von Aktivisten rund 8.500 Menschen, darunter 3.000 Kämpfer, nach West-Aleppo gebracht.

Der scheidende UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sagte am Freitag in New York bei seiner letzten Pressekonferenz, dass der Name der umkämpften Stadt inzwischen zu einem Synonym für die Hölle geworden sei. "Das Blutbad in Syrien bleibt ein klaffendes Loch im globalen Gewissen."

US-Präsident Barack Obama prangerte das Vorgehen des Assad-Regimes und Russlands in Syrien mit scharfen Worten an. Das Blut der Syrer klebe an ihren Händen, sagte Obama am Freitag auf einer Pressekonferenz in Washington insbesondere mit Blick auf Aleppo.

Russland hatte als enger Verbündeter der Führung in Damaskus zusammen mit der syrischen Armee Mitte November eine Großoffensive auf die Rebellengebiete in Ost-Aleppo gestartet. Die Stadt war die vergangenen Jahre heftig umkämpft und zwischen dem Regime im Westen und den Aufständischen im Osten geteilt. Vor der Operation hielten sich nach Schätzungen der Vereinten Nationen 250.000 bis 300.000 Menschen in den Rebellengebieten im Osten auf.

Treffen Russlands mit Türkei und Iran

Die Außenminister Russlands, der Türkei und des Irans haben am Samstag ein baldiges Treffen zum Syrien-Konflikt bestätigt. Ein Datum teilte das russische Außenministerium zunächst nicht mit. Die Türkei hatte zuvor den 27. Dezember als Termin für Gespräche in Moskau genannt.

In dem Telefonat hätten die Chefdiplomaten Sergej Lawrow, Mevlüt Cavusoglu und Mohammed Jawad Zarif unter anderem über die Lage in Aleppo beraten, hieß es.

Am Freitag hatte Russlands Präsident Wladimir Putin ein neues Format für Syrien-Gespräche ins Spiel gebracht, bei denen sich die Türkei als Unterstützer der syrischen Opposition stärker einbringen soll. Ort des Treffens könnte demnach das zentralasiatische Kasachstan sein. "Diese Plattform soll nicht mit der in Genf konkurrieren, sondern die Genfer Gespräche ergänzen", betonte Putin. Die Friedensverhandlungen in der Schweiz unter UN-Führung kommen seit Monaten nicht voran.

Die kasachische Regierung begrüßte den Vorschlag. Wenn Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und Opposition konkreter werden sollten, wolle Astana seine Möglichkeiten prüfen, sagte ein Sprecher des Außenministeriums der Agentur Interfax zufolge.

Der scheidende UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte am Freitag eine sofortige Wiederaufnahme der Evakuierungsaktionen in Aleppo. "Aleppo ist nun ein Synonym für Hölle", sagte Ban bei seiner letzten Pressekonferenz in New York.

Demos an türkisch-syrischer Grenze

An der türkischen Grenze zu Syrien haben am Samstag mehrere tausend Menschen für sofortige Hilfslieferungen nach Aleppo demonstriert. Die Demonstranten fuhren am Samstag mit tausenden Autos und Bussen in den Grenzort Cilvegözü, wo sie ein Ende der Luftangriffe auf Aleppo und Hilfstransporte für die dort eingeschlossenen Menschen forderten.

"Russland, Mörder, raus aus Syrien", riefen die Demonstranten. Die Demonstration war von der türkischen islamischen Hilfsorganisation IHH organisiert worden, die bei den Hilfslieferungen für Aleppo eine wichtige Rolle spielt. Cilvegözü liegt dem syrischen Grenzdorf Bab al-Hawa gegenüber. Über den Grenzübergang waren im Zuge der Evakuierung der letzten Rebellengebiete im Osten Aleppos zuletzt auch einige Schwerverletzte in die Türkei gebracht worden.

Nach Angaben von IHH transportierten die Auto- und Lastwagenkonvois, die die Demonstranten nach Cilvegözü brachten, auch Hilfsgüter für Flüchtlinge aus Aleppo zur Grenze. Der türkische Rote Halbmond bereitet sich nach eigenen Angaben darauf vor, in der Provinz Aleppo nahe der Grenze zur Türkei 10.000 Zelte zur Unterbringung der Flüchtlinge zu errichten. (APA, 17.12.2016)