Ankara/Athen – Einmal twittern hat schon genügt, und 24 Stunden später holte ihn die Polizei zu Hause ab: Mit Hüsnü Mahalli ist diese Woche ein weiterer regierungskritischer Journalist in der Türkei ins Gefängnis geworfen worden. Das Signal für die Festnahme des 67-Jährigen gab ein Moderator des regierungsnahen Nachrichtensenders A-Haber. Der nannte Mahalli den "Hund, der einem Mörder gehört". Mit dem Mörder war Syriens Präsident Bashar al-Assad gemeint.

Mahalli, selbst ein gebürtiger Syrer der turkmenischen Minderheit aus Jarablus und seit 2011 türkischer Staatsbürger, hatte die Haltung der türkischen Führung angesichts der Kämpfe und Massaker in Aleppo scharf kritisiert. "Das Ende der Lügen ist gekommen", twitterte er vergangenen Montag und nannte die politischen Verantwortlichen in Ankara "Scharlatane". Jeden Tag würden sie über die toten Zivilisten in Aleppo klagen, aber nun sehen, wie das Volk in Aleppo die "Befreiung von den Terroristen"_feiern würde. Der türkischen Führung warf Mahalli indirekt Hilfe für islamistische Milizen vor – Ankara stütze etwa die frühere Nusra-Front –, was ihm nun ein Strafverfahren wegen Beleidigung des Präsidenten und von "Amtsinhabern" sowie die sofortige Inhaftierung eingebracht hat.

Kritik an passivem Westen

Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan und Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu traten diese Woche als lautstarke Fürsprecher einer humanitären Intervention in Aleppo auf und klagten die Passivität des Westens an. Erdoğan mühte sich in Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin um einen Waffenstillstand in der umkämpften syrischen Stadt zur Evakuierung der Bevölkerung.

Dem diplomatischen Kraftakt gingen allerdings Monate der Zurückhaltung angesichts der russisch-syrischen Militäroffensive gegen die Rebellen in Aleppo voraus. Mit einem Mal entglitt der türkischen Führung kaum noch ein Wort über die russischen Bombenangriffe in Syrien. Die Normalisierung mit Russland und die angestrebte Aufhebung der wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen die Türkei waren der eine Grund; das Stillhalten der Russen, das den im August begonnenen Einmarsch der türkischen Armee in Nordsyrien gegen die Kurden ermöglicht, der andere Grund.

Mahalli ist nur einer der rund 140 Journalisten, die derzeit in türkischen Gefängnissen sitzen. Human Rights Watch veröffentlichte am Donnerstag einen umfangreichen Bericht über Inhaftierungen, Entlassungen und physische Bedrohungen von Journalisten in der Türkei seit dem Putsch und der Verhängung des Ausnahmezustands vor fünf Monaten. Die Menschenrechtsorganisation rief dabei die EU und die USA auf, jede Gelegenheit zu nutzen, um die Türkei zur Achtung der Meinungsfreiheit und zur Reform ihres Strafrechts zu drängen. (Markus Bernath, 16.12.2016)