Führen in dieser Welt bedeutet, sich einer selbstkritischen Reflexion unterziehen zu können. Es bedeutet die Balance zwischen verschiedenen, teils einander scheinbar gegenüberstehenden Anforderungen zu finden – und nicht die marialische Ellbogentechnik auszufahren, schreibt Norbert Pauser.

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In diesen unsicheren Zeiten sind Rückgriffe auf überkommene Führungsmodelle fatal. Problematisch ist, dass laufend auch neue Modelle herhalten müssen, um den Status quo vielleicht doch noch erhalten zu können. In Organisationen bedeutet das allzu oft: Es soll sich alles ändern – nur ändern soll sich nichts. Was wird passieren, wenn wir weiterhin mit den alten Mitteln versuchen die neuen Anforderungen zu bewältigen?

Komplexität akzeptieren

Der da wie dort lauter werdende Ruf nach neuen "Führern" ist die beunruhigende Antwort auf mangelnde Fähigkeit zur Diversifizierung. Ist Führung in der Krise das Führen aus der Krise? Die Chancen stünden nicht schlecht. Zeigt es sich gegenwärtig womöglich genau umgekehrt?

Führungsaufgaben unterscheiden sich in keiner Weise von gesellschaftlichen oder innerpsychischen Bewältigungsversuchen von zuletzt enorm verdichteten Anforderungen. Es gibt Versuche, der Komplexität einen Riegel vorzuschieben. Und dann noch einen. Oder durchlässiger zu werden, allerdings nicht im Sinn der Perforierung – der bedrohlichen Durchlöcherung -, sondern in Form neuer (Kooperations-)Möglichkeiten.

Ermöglichen als Ziel

Im Führungsalltag würde das dann bedeuteten: Sich Platz nehmen bzw. erobern ist die eine Sache. Platz einzuräumen eine ganz andere. Jemandem gar den Platz anzubieten? Das setzt (Selbst-)Sicherheit voraus. Oder: über andere Bescheid zu wissen. Zu wissen, wer sie sind. Das fällt (vermeintlich) meist nicht schwer. Zu wissen, wer ich selbst bin, ist die schwierigere Aufgabe, erleichtert dafür den Umgang mit anderen deutlich.

Führungskräfte haben in der Regel eine geschärfte Auffassungsgabe. Sie analysieren, erkennen und justieren. Eine Führungstugend der Komplexität ist das Ermöglichen. Ziele auf anderen Wegen zu erreichen ist herausfordernd genug. Teilhabe an der Zielformulierung zu ermöglichen ist eine Leistung, die bloß jene erbringen, die sich auch einmal zurücknehmen. Klingt alles nicht nach martialischer Ellbogentechnik?

Ausständige Paradigmenwechsel

Woran mangelt es in der Praxis? Exklusion als Grundlage des Denkens, Fühlens und Handelns ist offensichtlich kein guter Ratgeber mehr. Auch wenn es gegenwärtig zu Rückgriffen kommt. Führung ist nach wie vor – besonders in Österreich – männlich. Vielmehr die Mutmaßung davon, was Männlichkeit ist.

Zuhören, Nachfragen, Empathie oder Kritikfähigkeit sind nicht Zeichen von Schwäche. Führen in dieser Welt bedeutet, sich einer selbstkritischen Reflexion unterziehen zu können. Es bedeutet die Balance zwischen verschiedenen, teils einander scheinbar gegenüberstehenden Anforderungen zu finden. Auf der Klaviatur der Diversität anfangen spielen zu wollen. Die eigene Lebensführung zu hinterfragen. In Einklang mit dem Tun zu bringen. Alternativen gibt es bereits. Das macht Führung nun nicht notwendigerweise weiblich, denn stereotype Entweder-oder-Zuschreibungen führen da und dort erst in die Führungssackgasse. Führung ist menschlich. Das ist und bleibt der größte ausständige Paradigmenwechsel. (Norbert Pauser, 17.02.2017)