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Inhalte des ballesterer Nr. 118 (Jänner/Februar 2017) – Seit 15. Dezember im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

Schwerpunkt: DIETMAR KÜHBAUER

BERG- UND TALFAHRT
Die außergewöhnliche Karriere des Didi Kühbauer

DAHEIM IM BURGENLAND
Ein Besuch in Wulkaprodersdorf

Außerdem im neuen ballesterer:

SELBSTBEWUSSTER ZEHNER
Michael Liendl im Interview

LINZ AN EINEM TAG
12 Stunden, 15 Plätze

KONFLIKTE OHNE TRADITION
Die junge australische Fankultur

TRAUERARBEIT
Nach dem Tod von Fan Hannes S.

60 JAHRE AFRIKA-CUP
38 Teilnehmer, 18 Ausrichter, 14 Sieger

MEHR ALS EIN DERBY
Die Fußballgeschichte des Ruhrgebiets

DIE TRAUMVERKÄUFER
Ein Kommentar zur Ligareform

ALLE JAHRE WIEDER
Der englische Weihnachtsfußball

EINE ARENA FÜR DIE HÄHNE
Tottenhams Stadionpläne

ARABISCHER PIONIER
Salah Hasarma trainiert Israels Nachwuchs

KULTSPORT ODER SPORTKULT?
Über das Verhältnis von Fußball und Religion

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Italien, Polen, Portugal und Ungarn

Foto: Ballesterer

Don Didi: "Es heißt ja oft, ich sei ein Motivationstrainer, aber das ist ja nicht alles."

Foto: Lisa Edi

"Ich bin ein Trainer, der sehr viel Ahnung vom Fußball hat, der Spielern vertraut und sie weiterentwickelt".

Es ist die Ruhe vor dem Sturm. Wir treffen Dietmar Kühbauer wenige Tage vor dem ersten Einkaufssamstag im Advent auf der Wiener Mariahilfer Straße. Nach der Begrüßung unter dem Weihnachtsschmuck ziehen wir uns für das Interview in ein ausladendes Café zurück. Dietmar Kühbauer bestellt einen Johannisbeersaft, den er in den nächsten zwei Stunden kaum anrühren wird. Denn er hat viel zu erzählen und noch viel mehr klarzustellen.

In Ihrer Generation war es normal, das Kicken im Käfig zu lernen. Hat es so einen auch im Burgenland gegeben?

Nein, wir haben neben dem Stadion auf dem Hartplatz gespielt. Da sind wir nach der Schule hingegangen und geblieben, bis es dunkel geworden ist. Es haben immer alle mitspielen dürfen, ich habe mit teilweise sieben, acht Jahre Älteren gekickt. Aber ich war ihnen zu ballverliebt, deswegen habe ich immer in die Abwehr müssen.

Für das Tor waren Sie zu klein?

Ja, das hätte ich aber sowieso nie angestrebt. Mich hat es interessiert, zu spielen und mich gegen die Älteren durchzusetzen. Das hat mir sehr viel geholfen. Dort hat man eine gewisse Abhärtung bekommen. Geheule hat es dort sowieso nicht gegeben, man wollte ja keine Schwäche zeigen.

Ist Ihnen der Fußball vom Elternhaus mitgegeben worden?

Nein, überhaupt nicht. Mein Papa hat zwar schon Matches geschaut, war aber kein begabter Spieler. Meine Mama hat wahrscheinlich 15 Jahre lang kein Spiel von mir gesehen. Wir haben andere Sorgen gehabt: Wir haben geschaut, dass wir über die Runden kommen.

Sie sind mit 16 Jahren von Mattersburg zur Admira gewechselt. Haben Ihre Eltern damit kein Problem gehabt?

Das Wichtigste war die Schule, aber die habe ich ja auch gemacht. Nach einem Probetraining bei der Admira wollten die mich gleich dort behalten. In der Verbindung mit dem Internat in der Südstadt, war das für mich klar und auch sehr schnell für meine Eltern.

Waren Sie damals auch schon so eine Leitfigur wie später?

Ich habe das als natürlich empfunden: Auf den Platz zu gehen und alles für die Mannschaft zu tun, um Erfolg zu haben. Ich habe die Rolle als Führungsspieler nie beansprucht, das hat sich durch meine Einstellung zu dem Beruf und meine Leidenschaft ergeben. Wenn man etwas macht, soll man es auch anständig machen. Das war schon in jungen Jahren meine oberste Prämisse – und das wird bis zu meinem Lebensende so sein. Das ist einfach die verdammte Pflicht eines Profis.

Hatten Sie auch einmal eine schüchterne Phase? Zum Beispiel in der Schule?

Nein, ich war in der Klasse beliebt, ich bin mit jedem gut ausgekommen. Ich bin den Leuten zur Seite gestanden, die herumgeschubst worden sind. Auch auf die Gefahr hin, dass ich dann eine bekomme. Das hat mich schon als Kind gestört, und das vertrage ich bis heute nicht, wenn sich darüber lustig gemacht wird, dass einer nicht die neueste Kleidung hat oder Ähnliches.

Sie haben gesagt, bei der Admira hat es sich ergeben, dass Sie Führungsspieler wurden. War das bei Rapid genauso?

Na ja, bei der Admira war das gar nicht so das Thema. Als ich zu den Profis gekommen bin, habe ich auf der Außenbahn spielen müssen. Irgendwann habe ich dann gesagt, dass es im Zentrum keinen Besseren gibt als mich – und wenig später bin ich weggegangen. Bei Rapid habe ich gleich im Zentrum gespielt, der Rest hat sich ergeben. Ich bin nicht hingegangen und habe gesagt, dass ich jetzt hier der Chef bin.

Debütiert haben Sie in der Bundesliga unter Gustl Starek mit der Admira. Nach einer halben Stunde haben Sie Gelb gesehen und sind in der Halbzeit ausgetauscht worden.

Verloren haben wir auch. Ich muss zugeben, dass es ein schlechtes Spiel war. Genial war die Vorbereitung. Wir haben uns am Westbahnhof getroffen und sind mit dem Zug nach Innsbruck gefahren. Ich war mit dem Gustl Starek in einem Abteil, und er hat Geschichten von früher erzählt.

Starek hat Sie ja auch zu Rapid geholt.

Ja, aber damals waren die wirtschaftlichen Probleme riesig. So richtig gelaufen ist es dann mit Ernst Dokupil, als wir bessere Spieler hatten und eine Mannschaft entstanden ist. Eine gute Truppe, eine richtige Clique.

Wie schnell haben Sie bei Rapid funktionieren müssen? Andreas Herzog hat nach seinem Abgang ja eine Lücke hinterlassen.

Die Probleme waren aber andere. Als junger Spieler gehst du zu Rapid und denkst dir, da wirst du reich. In Wahrheit haben wir ewig auf unser Geld warten müssen. Aber ich habe es ja nicht deswegen gemacht, Rapid war immer schon mein Lieblingsklub. Dort zu spielen, war für mich das Allergrößte.

Dokupil hat der Mannschaft viele Freiheiten gegeben. Sie haben sich sogar das System selbst aussuchen können.

Er hat uns komplett an der langen Leine gelassen, das war enorm wichtig. Wir waren schon eine schräge Truppe und sind auf viel Blödsinn gekommen, aber bei der Arbeit waren wir komplett fokussiert. Auch wenn wir im Winter im Schnee trainieren mussten. Am ersten Tag ist es ja noch lustig, aber am zweiten ist alles festgefroren, da geht dann kein ordentliches Training mehr. Trotzdem habe ich Dokupil gesagt, dass der Stephan Marasek und ich noch weitertrainieren. Am nächsten Tag habe ich nicht mehr gescheit gehen können. Der Dokupil wird sich halt gedacht haben, dass wir zwei Trotteln sind.

Würden Sie Ihrer Mannschaft heute so eine Freiheit zugestehen?

Wir haben auf dem Platz schon gewusst, was wir tun. Es war ja auch nie so, dass wir Dokupil gegenüber keinen Respekt gehabt hätten, im Gegenteil. Er hat gewusst, wie er uns nehmen kann, und wir haben gewusst, wie er ist. Ich würde mir solch eigenständige Typen wünschen. Spieler, die Dinge auch selbst entscheiden.

Sergei Mandreko, Stephan Marasek, Zoran Barisic und Sie sind Trainer bei größeren oder kleineren Vereinen geworden. War das schon damals abzusehen?

Wir haben über andere Mannschaften und Trainer gesprochen. Als es dann in die Endphase der Karriere gegangen ist, habe ich mir immer mehr Gedanken gemacht. Du nimmst ja von jedem Trainer etwas mit – besonders im Umgang mit den Spielern. Man kann nie alle zufriedenstellen, aber ich habe immer versucht, authentisch und ehrlich zu sein.

1997 sind Sie zu Real Sociedad gewechselt. War der Tod Ihrer Frau der Grund, dass Sie gegangen sind?

Ich wäre vermutlich auch so weggegangen. Aber durch die Geschichte mit meiner Frau habe ich einfach wegmüssen. Es war brutal für mich, da brauchen wir nicht reden. Die Unterstützungsangebote hier waren zwar lieb, aber das hat mir alles nicht geholfen. Wie dann plötzlich Fernsehsender und Zeitungen angerufen haben, die ein Foto von meiner Frau haben wollten, habe ich einen Hass bekommen. Ich habe dann ein halbes Jahr später ein Interview gegeben, nur damit endlich einmal Ruhe ist.

Sie meinen das News-Interview?

Ja. Aber das würde ich heute auch anders machen, im Grunde hat das niemanden zu interessieren. Aber noch einmal: Wahrscheinlich wäre ich auch mit meiner Frau weggegangen, die Zeit war einfach reif.

Hat es dort funktioniert, Abstand zu gewinnen?

Im Gegenteil, ich war extrem alleine. Ich habe auch den Fehler gemacht, niemanden an mich heranzulassen. So richtig geholfen hat es mir erst, als ich 1999 mit meiner jetzigen Frau zusammengekommen bin.

Haben Sie keine Freunde in San Sebastian oder Wolfsburg gefunden?

Die waren immer hier in Österreich. Das bedeutet für mich auch Freundschaft, dass ich jemanden ein halbes Jahr nicht sehe und dann aber sofort mit ihm in einem Thema drin bin. Lose Freundschaften bringen ja nichts.

Wie würden Sie die Jahre in San Sebastian analysieren?

Zu Beginn war ich wirklich stark, dann habe ich mir das Schlüsselbein gebrochen, bin zurückgekommen, habe im ersten Spiel ein Tor gemacht und habe mir wieder das Schlüsselbein gebrochen. Das war für mich ein Knick. Die einheimischen Spieler haben dann mitbekommen, dass wir Legionäre ein bisschen mehr Geld verdienen. Das haben sie dich dann im Training spüren lassen.

Bei Ihrer nächsten Station, in Wolfsburg, sind Sie schnell Kapitän geworden.

Ich habe dort sehr gut gespielt, auch weil mir die Spielweise getaugt hat. Da war viel Bereitschaft dahinter, große Intensität im Training – teilweise am Limit. Damals hat es noch Einlaufprämien gegeben, also Geld dafür, dass du von Anfang an spielst. Das hat man auch im Training gesehen: Entweder du lässt dich einschüchtern, oder du haust auch drauf.

Ihr Verhältnis zu Trainer Wolfgang Wolf soll ja nicht das beste gewesen sein.

Er hat Dinge gemacht hat, die ich nie machen würde. Natürlich muss man erklären, warum jemand nicht spielt oder ihm zeigen, wo er sich verbessern muss. Aber er hat Unwahrheiten erzählt, damit habe ich ein Problem. Wenn ich das ignoriert hätte, hätte ich sicher noch drei, vier Jahre dort gespielt.

Hat die Antipathie auf Gegenseitigkeit beruht?

Absolut. Er hat mich dann nicht mehr aufgestellt. Alle haben mir geraten, dass ich mich entschuldigen soll. Nur hat es nichts gegeben, wofür ich mich hätte entschuldigen können. Dieses komplette Abstellen hat mich schwer getroffen. Da habe ich gewusst, dass ich weg muss.

Kommen wir zu Ihrem Ruf als emotionaler Spieler. Es gibt aus der Champions-League-Saison 1996 dieses berühmte Bild, auf dem Sie David Beckham den Zeigefinger ins Gesicht strecken ...

Ja, da muss man dazu sagen, wieso.

Das wäre die Frage gewesen.

Beckham hat nach einem Foul an mir Gelb bekommen, dann ist er mir voll reingerannt und wie ein Stück Holz umgefallen. Dafür habe ich dann auch die Gelbe Karte bekommen. Da bin ich wütend geworden: Er stirbt da, nur damit er es mir heimzahlen kann.

Wenn Sie sich das Foto von Ihnen, Nase an Nase mit Andreas Ogris, vor Augen führen. Ist das Didi Kühbauer, oder ist das der Didi Kühbauer während eines Derbys?

Das ist einfach aus dem Zorn heraus so gekommen – bei ihm genauso. Wir waren ja beide leidenschaftlich, nach dem Spiel war das wieder vergessen. Das hat bei mir immer funktioniert: Heiß sein auf dem Platz, und danach ist es wieder gut.

Auch mit den Schiedsrichtern?

Das ist etwas anderes. Ich habe viele Gelbe Karten aufgrund meines Rufs bekommen. Ich habe dann bei Mattersburg gewisse Dinge – ein Foul und ein wenig Reklamieren – auch bewusst gemacht, um die Mitspieler und die Leute auf der Tribüne mitzureißen.

Auch in Ihrer Trainerkarriere haben Sie sehr oft das Gespräch mit den Schiedsrichtern gesucht.

Am Schluss nicht mehr. Ich bin halt emotional, wobei ich da auch oft das Gefühl gehabt habe, dass bei mir besonders hingeschaut wird. Vor allem beim vierten Schiedsrichter, da habe ich mir manchmal gedacht, der will direkt bei mir parken. Im letzten Jahr haben sich dann alle gefragt, warum ich so ruhig bin.

Und warum sind Sie jetzt ruhiger?

Ich habe gemerkt, dass ich etwas ändern muss. Ich werde immer auf diese Emotionalität reduziert. Andere Trainer sind vielleicht genauso, aber bei mir hat man nur das gesehen. An sich hatte ich gegen keinen Schiri etwas. Mit dem René Eisner bin ich immer gut ausgekommen, weil der entspannt war. Der Alexander Harkam ist da genauso. Aber es gibt halt auch die, die meinen, alles kontrollieren zu müssen.

Haben Sie sich in manchen Situationen nicht auch gedacht, dass Sie sich das jetzt hätten verkneifen können?

Natürlich, sonst würde ich lügen. Ich bin sicher kein Mensch, der alles richtig gemacht hat.

Andreas Herzog sagt, dass es Ihre größte Stärke war, Mitspieler zu motivieren. Sehen Sie das auch so?

Es heißt ja oft, ich sei ein Motivationstrainer, aber das ist ja nicht alles. Ich bin ein Trainer, der sehr viel Ahnung vom Fußball hat, der Spielern vertraut und sie weiterentwickelt. Ich habe bestimmt zehn bis zwölf Spieler hochgeholt, die heute sehr erfolgreich sind. Einige davon sind jetzt Teamspieler. Darüber wird nur nie gesprochen. (Clemens Gröbner, Stefan Kraft, Mitarbeit: Michael Graswald, 15.12.2016)