Von der anfänglichen Begeisterung bis zur Frustration mit den Flüchtlingen: Österreichische und europäische Mainstream-Medien durchliefen im letzten Jahr einen regelrechten Wandel im Umgang mit der Flüchtlingskrise. Was die Ursachen dieses Wandels sind und ob Mainstream-Medien ihre klassische Rolle in der Gesellschaft immer noch erfüllen können, darüber wurde am 1. Dezember im Rahmen einer Podiumsdiskussion im ÖBB-Unternehmenszentrale diskutiert. Eingeladen waren junge Journalisten aus Slowenien, Kroatien, Schweden, Österreich und der Türkei, die in den letzten Monaten die größte Flüchtlingskrise in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs intensiv verfolgten.

Krise der europäischen Werte

Für Ipek Yezdani, Journalistin der Tagezeitung Hürriyet aus Istanbul, begann die Flüchtlingskrise bereits 2011, als die ersten Flüchtlinge aus Syrien in die Türkei kamen. Waren am Anfang Flüchtlingsstorys von der syrisch-türkischen Grenze gefragt, kam es mit der Zeit zu einer gewissen Ermüdung. "Jetzt haben Sie kaum mehr Flüchtlingsreportagen in türkischen Medien", sagte die Journalistin und kritisierte gleichzeitig, dass man sich in der EU medial für dieses Problem erst dann zu interessieren begann, als flüchtende Menschen in größeren Zahlen EU-Mitgliedstaaten betraten. Gleichzeitig ist sie über den Mangel des politischen Willens bei der Lösung der Flüchtlingskrise in Europa verwundert: "Wie kann es sein, dass für 500 Millionen Europäer eine Million Flüchtlinge ein so unüberbrückbares Problem darstellen können", fragt Yezdani.

Für kroatische Journalistin Ivana Dragičević vom regionalen N1-Fernsehen ist die aktuelle Krise mit geflüchteten Menschen in Europa zugleich eine Krise der EU selbst: "Wir haben eine Krise der europäischen Werte. Es haben sich während des Bosnienkrieges rund 300.000 Flüchtlinge in Kroatien mit etwas mehr als 4 Millionen Einwohnern aufgehalten", erinnerte Dragičević. Nichtsdestotrotz lobt sie das zivile Engagement in ihrem Heimatland: "Die vielen Flüchtlinge, die im letzten Herbst über Kroatien zogen, lösten eine unglaubliche Welle an Engagement unter jungen Kroaten aus", so Dragičević.

Folgen statt Ursachen

Für den slowenischen Journalisten Erik Valenčič konzentrieren sich Mainstream-Medien immer noch zu sehr auf Folgen der Flüchtlingskrise statt auf ihre Ursachen, in erster Linie im Zusammenhang mit dem Export von Waffen, aber auch von islamistischen Extremisten aus Europa nach Syrien und in den Irak. Auch fehlende Kompetenzen von Journalisten stellen zunehmend ein Problem dar: "In vielen Redaktionen werden junge Journalisten zu bloßen Übersetzern von Agenturnachrichten gemacht. Viele Mainstream-Medien tragen so zur Reproduzierung von Unwissen aktiv bei", kritisiert Valenčič.

Die schwedische Journalistin Lisa Pelling von Arena Idé aus Stockholm ortet ein ernstzunehmendes Problem in der Art der Berichterstattung: "Es ist für die meisten Medien einfacher und effektiver, sich an dramatische Ereignisse zu klammern, anstatt langfristige Prozesse zu beobachten und zu analysieren", sagt sie und beklagt gleichzeitig die zunehmende Ressourcenknappheit in der Medienwelt. Viele Medien würden populistische Diskurse übernehmen, ohne sie im bestimmten Kontext ausreichend zu analysieren. "Medien müssen eine große Verantwortung haben, populistische Diskurse nicht zu promoten", warnt hingegend Ivana Dragičević.

Spiegel der Gesellschaft

Es sei gerade der Drang zum Sensationalismus in den meisten Medien, der zum momentan negativen Bild der Flüchtlingskrise sowie zum Aufstieg von Donald Trump in den USA verhalf, meint Erik Valenčič. "Die heutige Gesellschaft scheitert daran, Antworten auf akute Fragen von Menschen zu geben. Die Medien reflektieren nur diese Gesellschaft", ist er pessimistisch. Ob Medien aus der Krise finden können? Für Valenčič liegt die Antwort in kleinen und unabhängigen Redaktionen. (Nedad Memić, 12.12.2016)