Damals Wirtschaftsministerin im Kabinett von Ex-Premier Nicolas Sarkozy, seit 2011 Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF): Christine Lagarde.

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In Paris hat am Montag der Prozess gegen die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, wegen einer Finanzaffäre begonnen. Der früheren französischen Wirtschafts- und Finanzministerin wird "Nachlässigkeit" im Umgang mit öffentlichen Geldern vorgeworfen. Ihr drohen bis zu ein Jahr Haft und eine Geldstrafe von 15.000 Euro.

Der Fall liegt weit zurück. Der französische Fußballmanager Bernard Tapie hatte den Sportartikelhersteller Adidas 1992 an die Staatsbank Crédit Lyonnais verkauft, dabei aber womöglich ein sehr schlechtes Geschäft gemacht. Wütend ging er vor Gericht, wo er aber rundum abblitzte. Also versilberte er seinen letzten Trumpf – seine hohe Popularität im Volk.

Nicolas Sarkozy machte sie sich zunutze: Er spielte Tapie von Staats wegen, aber via privates Schiedsgericht eine Entschädigung von 404 Millionen Euro zu; dafür rief Tapie 2007 – erfolgreich – zur Wahl Sarkozys auf.

Wahlschacher

Lagarde hatte mit diesem Wahlschacher, wenn es denn einer war, nichts zu schaffen. Aber als Sarkozys Wirtschaftsministerin musste sie die Billigung des Schiedsgerichts nachträglich mit ihrer Unterschrift absegnen. Wusste sie um den Deal, für den es keine Beweise gibt? Hätte sie zumindest wissen müssen? Die Linksopposition in Paris verlangte 2011 Aufklärung, wobei sie nicht Lagarde im Visier hatte, sondern Sarkozy, der ein Jahr später zur Wiederwahl antreten wollte. Eigentlich müsste er auf der Anklagebank Platz nehmen. Doch da der Staatschef Immunität genießt und die Ministerin unterschrieben hatte, blieb die Affäre an ihr hängen.

Dass sie den Kopf für den französischen Präsidenten hinhalten muss, entlarvt dessen faktische Stellung über dem Gesetz, auch über den Bürgern. Man muss den handschriftlichen Brief lesen, mit dem Lagarde ihrem "lieben Nicolas" Nibelungentreue schwor.

Nibelungentreue

"Ich bin an deiner Seite, um dir zu dienen", schrieb sie in dem Dokument, das den Ermittlern bei einer Hausdurchsuchung in die Hände fiel. "Benütz mich so lang, wie es dir passt. Wenn du mich benützt, brauche ich dich als Führer und Helfer. Ohne Führer wäre ich wirkungslos." Gefolgt von der Unterschrift: "Mit meiner immensen Bewunderung, Christine L."

Man kann nur staunen, wie eine Frau, die eine internationale Topinstitution, den Währungsfondd IWF, seit fünf Jahren souverän leitet, ihre eigenen Führungsqualitäten anzweifelt. Oder, anders betrachtet, wie sich eine Vertreterin des Pariser Hofes, und sei es als Ministerin, dem Wahlmonarchen im Élysée-Palast auf Gedeih und Verderb ausliefert.

Interessen des Staates

Das führt zu der entscheidenden Frage, wie Lagardes Verhalten strafrechtlich einzustufen ist. Der Gerichtshof der Republik wirft ihr "Nachlässigkeit" vor – ein unbefriedigender Ausdruck für ihren wegschauenden Kadavergehorsam. In Interviews erklärt die IWF-Direktorin, sie habe die "Interessen des Staates" befolgt. Das klingt unglaubwürdig, es sei denn, sie meint damit auch die persönlichen Interessen des Präsidenten.

Sicher ist, dass eigentlich niemand Lagardes Prozess wünscht. Und schon gar nicht eine Verurteilung, die für die Weltwirtschaft nur destabilisierend wäre. In Finanzkreisen genießt die frühere Businessanwältin einen guten Ruf. Viele Griechen sehen in ihr zwar eine eiserne Lady, die das Land mit harten IWF-Bedingungen erwürge. Aus dem Süden kommt aber der Gegenvorwurf, die Französin stehe vorzugsweise den Europäern zu Diensten.

IWF steht hinter seiner Chefin

So hieß es 2015 in einem internen IWF-Papier, der Fonds vergebe seine Kredite an Athen aufgrund politischer, nicht "unabhängiger und technokratischer" Kriterien. Diese Kritik zielt aber nicht unbedingt auf die Person Lagarde; die Schwellenländer wollen damit ihren Anspruch auf den nächsten IWF-Vorsitz anmelden.

Der Gerichtshof der Republik scheint nicht willens oder unfähig, das zentrale Momentum der "Affäre Lagarde" – die absolute Macht des französischen Präsidenten – in Betracht zu ziehen. Sonst stünde Sarkozy vor Gericht. Der IWF-Exekutivausschuss jedenfalls hat Lagarde vorige Woche erneut sein Vertrauen ausgesprochen – als wollte er klarmachen, dass er daran unabhängig vom Prozessausgang festhalten möchte. (Stefan Brändle aus Paris, 12.12.2016)