Tomislav Kezarovsk bei einer regierungskritischen Demonstration auf der die Teilnehmer Masken mit seinem Konterfei tragen.

Foto: tomislav georgiev

Skopje – Tomislav Kezarovski spaziert in Freiheit an den zweistöckigen Häuschen auf dem alten Basar in Skopje vorbei. Er nimmt einen tiefen Zug Luft und sagt: "Es ist schön hier. Das Leben im Gefängnis war wie in einer engen Schachtel." Der 51-Jährige spricht langsam und erklärt in aller Ruhe, wie er aus fadenscheinigen Gründen ins Gefängnis geworfen wurde. Einige seiner Vorderzähne fehlen, weil ihm dort der Besuch beim Zahnarzt untersagt wurde. Offiziell kümmern sich dort zwei Ärzte um rund 350 Insassen, doch die hat Tomislav Kezarovski nie zu Gesicht bekommen: "Bevor du in diesem Gefängnis einen Arzt siehst, kommt der Priester oder der Hodscha, um dich zu beerdigen", sagt er.

Die mazedonische Opposition und Menschenrechtsorganisationen auf der ganzen Welt verweisen auf den Fall Tomislav Kezarovski, um darauf aufmerksam zu machen, dass sich im Land ein autoritäres Regime die Justiz untertan gemacht hat, um freie Berichterstattung zu verhindern und sich an der Macht zu halten. Im Oktober 2013 wurde der Journalist zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er den Namen eines Gerichtszeugen veröffentlicht haben soll, der sich in einem Schutzprogramm befand. Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, n-ost (Netzwerk für Osteuropaberichterstattung) und die OSZE hielten dies für einen vorgeschobenen Grund, um eine unbequeme Stimme mundtot zu machen.

Lauschangriff der Geheimdienste

Die nationalkonservative VMRO unter Ministerpräsident Nikola Gruevski kam 2006 in Mazedonien an die Macht. Seitdem hat sich die Situation für kritische Journalisten in Mazedonien konstant verschlechtert. Bei einem großangelegten und illegalen Lauschangriff der Geheimdienste wurden rund 20.000 mazedonische Bürger, darunter auch viele Journalisten, bespitzelt. In der Rangliste von Reporter ohne Grenzen ist Mazedonien unter Premierminister Nikola Gruevski von Rang 34 im Jahr 2009 auf Rang 118 im Jahr 2016 gefallen. Damit ist Mazedonien nach Russland, Belarus und der Türkei das europäische Land mit der geringsten Pressefreiheit. Das einzige Verbrechen dem sich Tomislav Kezarovski laut eigener Aussage schuldig gemacht hat, ist unabhängiger Journalismus.

Ein Unfall, der keiner war

Doch warum musste ausgerechnet Tomislav Kezarovski ins Gefängnis? Warum wurde ausgerechnet er zum "einzigen politischen Gefangenen in Südosteuropa", wie es die OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatović beschreibt. Die Gefängnisstrafe erklärt sich Tomislav Kezarovski mit seinen Recherchen zum Fall Nikola Mladenov. Der Verleger und Journalist des regierungskritischen Magazins "Fokus" starb im März 2013 bei einem Autounfall. Die Behörden und die Justiz haben den Tod von Nikola Mladenov schnell zu den Akten gelegt. Doch Tomislav Kezarovski recherchierte den Fall näher und fand Hinweise, die auf einen anderen Hintergrund des Todes hindeuten.

Dank Mautscheinen konnte Kezarovski beweisen, dass sein Kollege Mladenov zweimal hintereinander im Kreis gefahren ist. Warum hat er das getan? Warum waren gerade in diesen Momenten alle Sicherheitskameras an allen Mautstellen ausgeschaltet? Warum wurde ein solch wichtiger Fall von einem 28-jährigen Richter betreut, dessen erstes Verfahren der Fall Mladenov war? All diese Fragen sind bis heute unbeantwortet. Außerdem behauptet Kezarovski, an Mladenovs Mercedes seien Lackspuren eines anderen Autos gewesen, dass sein Auto möglicherweise von der Fahrbahn abgebracht hat. Es drängt sich für ihn der Verdacht auf, dass es sich beim Tod Nikola Mladenovs möglicherweise nicht um einen Unfall handelt und die Behörden in Mazedonien kein Interesse an einer Aufarbeitung des Falls haben.

Nachdem Kezarovski die ersten Texte zu dem Fall veröffentlichte, warnte ihn ein Bekannter aus dem Innenministerium, dass er lieber Abstand von seinen Recherchen nehmen sollte. Zwei Wochen später wurde er festgenommen. Kezarovski sagt: "In diesen Momenten habe ich nicht an meine Sicherheit gedacht. Ich habe einfach meine Arbeit gemacht und wollte herausfinden, ob der Tod meines Kollegen absichtlich so schlampig bearbeitet wurde."

Unmenschliche Bedingungen im Gefängnis

Im Gefängnis teilte sich Tomislav Kezarovski zeitweise eine acht Quadratmeter große Zelle mit drei anderen Männern, die wegen Mordes, Heroinsschmuggels und Kreditkartenbetrugs inhaftiert waren. Sein Zellenkamerad wurde wegen des Besitzes von 13 Kilo Heroin zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Tomislav Kezarovski wegen der Veröffentlichung eines Textes zu viereinhalb Jahren.

Die sanitären Einrichtungen in der Zelle bestanden aus einem Loch im Boden an der Ecke. Manchmal stand das Wasser in den kleinen Räumen: "Auf acht Quadratmetern, kannst du nur leben, wenn es strenge Regeln gibt. Wir mussten innovativ sein, um ein bisschen Privatsphäre zu haben. Das galt vor allem für die Toilette". Das "Fenster" war so groß wie ein Din A4-Blatt und ließ sich nur wenige Zentimeter weit öffnen. Außerdem hatten die vier Insassen noch viele andere kleine Mitbewohner. "In der Zelle gab es alles, außer Schildkröten und Schlangen. Getier, Käfer und Insekten in Braun und Schwarz. Ich habe gelernt, dass es auch Spinnenweben in den verschiedensten Farben gibt," sagt Kezarovski.

Zwei bis dreimal pro Woche haben die Insassen die Wände der Zelle mit türkischem Eau de Cologne eingerieben, dass zu achtzig Prozent aus Alkohol bestand und es mit einem Feuerzeug angezündet, damit die vielen Insekten und Spinnen nicht mehr in der Zelle herumkrabbeln. Vor dem Einschlafen legten sie ein Tuch auf den Mund, damit die Insekten nicht in sie hineinkrochen. Über die Zeit im Gefängnis schreibt Kezarovski ein Buch. Der Arbeitstitel: "Mein Leben in der Schachtel".

"Ich kann nicht einfach meinen Frieden mit der Sache machen"

Tomislav Kezarovski und seine Familie wurden von verschiedenen Journalistengewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen unterstützt, ansonsten wären sie wirtschaftlich ruiniert gewesen. Seine Frau und seine damals 13-jährige Tochter, durften ihn nicht im Gefängnis besuchen: "So geht es allen Menschen im Gefängnis. Die Bedingungen dort sind unbeschreiblich schlecht und müssen sich radikal verändern." Doch auch im engeren Umfeld von Tomislav Kezarovski wirkt der lange und repressive Arm des Ministerpräsidenten Nikola Gruevski. Sein Bruder und seine Frau verlieren ihre Arbeit beim Staat. Kezarovsi und seine Frau sind weiterhin ohne feste Arbeit. Der Journalist hält sich mit kleinen Aufträgen und Projekten über Wasser. Zunächst wurde er zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, welche in einem Berufungsverfahren auf zwei Jahre gemindert wurden. Nach knapp einem Jahr durfte er das Gefängnis verlassen und den Rest seiner Haftstrafe unter Hausarrest absitzen.

Der Journalist will mit seinem Fall Menschen aufrütteln und ihnen zu berichten wie die Lebenssituation von Häftlingen in Mazedonien ist und wie es seit dem Machtantritt der nationalkonservativen VMRO mit der unabhängigen Justiz im Land bergab ging: "In Mazedonien herrscht ein System der Willkür. Ich kann nicht einfach meinen Frieden mit dieser Sache machen."

Menschen sitzen auf gepackten Koffern

Kezarovski hofft, dass die politische Spaltung zwischen Nationalkonservativen und Sozialdemokarten, zwischen ethnischen Mazedoniern und Albanern nach den kommenden Wahlen abnimmt. Das Land ist maximal gespalten: "So geht es nicht weiter. In manchen Familien redet der Bruder nicht mehr mit der Schwester und die Schwester nicht mehr mit dem Bruder," sagt er. Hundertausende Menschen haben das kleine Land in den vergangenen Jahren verlassen und es könnten immer mehr werden, wenn sich die politische Situation in Mazedonien nicht verbessert. Kezarovski sagt: "Die Menschen in Mazedonien sitzen auf gepackten Koffern. Wenn sich nach den Wahlen nichts ändert, dann werden noch mehr Menschen das Land verlassen. Dann verliert Mazedonien seine Zukunft." (Krsto Lazarević, 11.12.2016)