"Dieses Objekt abtragen und an seiner Stelle einen Parkplatz oder etwas vergleichbar Banales errichten": Hitlers Geburtshaus.

Foto: Manfred Fesl

Seitdem die Debatte, was mit dem Geburtshaus Hitlers geschehen solle, heftiger wurde, habe ich dafür plädiert, dieses Objekt abzutragen und an seiner Stelle einen Parkplatz oder etwas vergleichbar Banales zu errichten. Bloß nichts, was zum "Gedenken" und zur "Besinnung" einladen könnte! Kein Mahnmal, keine Erinnerungstafel. Damnatio memoriae. Warum?

Während der "Aufarbeitung" des Nationalsozialismus war es üblich geworden, die Annektierung Österreichs durch Hitler nicht mehr als einen politischen Zwangsakt darzustellen. Allzu offenkundig war, dass die Massen in Hitler einen Heilsbringer mit einer Art religiöser Aura gesehen hatten. Diese Aura wurde von der Betroffenheitsliteratur rhetorisch ins Dämonische umgedeutet: Jede menschliche Motivation schien zu kurz zu greifen, um die Antriebskräfte zu verstehen, welche zum Holocaust führten.

Hitler repräsentierte nun das "Teuflische", und zwar akkurat in Bekundungen ansonsten aufgeklärter Geister, engagierter Intellektueller, die an Wissenschaft, Psychologie und Psychoanalyse appellierten. Dagegen schien ein Buch zu opponieren, das von einer deutschen Jüdin stammte. Hannah Arendt verfolgte in Jerusalem den Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann; das Ergebnis: Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil (1963). Darin charakterisierte Arendt Eichmann nicht – wie allgemein erwartet – als Monster oder Bestie, sondern im Gegenteil: als einen einigermaßen normalen Menschen, der in der Nazibürokratie, angetrieben von durchschnittlich moralischen und unmoralischen Motiven, von Gehorsamsbereitschaft und Karrierestreben, schließlich zu dem wurde, weswegen er nun zum Tode verurteilt werden sollte: Planungschef der "Endlösung", des Völkermords an den Juden.

Saturnalien des Teufels

Bildete das Buch über die Banalität des Bösen ein Gegengewicht zur Dämonisierung Hitlers? Arendt legte das Hauptgewicht ihrer Überlegungen auf den dehumanisierenden Charakter des institutionellen Nazigetriebes mit seiner entpersönlichenden "Betriebssprache". Dahinter stand eine klare politische Botschaft: Der Unmensch Eichmann war in erster Linie ein Produkt dessen, was, mit ihrem Lehrer Heidegger gesprochen, als "Gestell" den Menschen formte und deformierte: entmenschlichte. Eichmann war demnach kein geborener Verbrecher, kein Uomo delinquente im Sinne Cesare Lombrosos.

Arendts Buch löste heftige Diskussionen aus. Ein Hauptvorwurf lautete, Arendt leiste der Verharmlosung des personifizierten Bösen Vorschub. Doch man konnte ihre Botschaft auch anders lesen. Demnach verkörpert sich das Radikalböse zwar dramatisch in den Schlächtern der Weltgeschichte; mittels ihrer Gräueltaten feiert der Teufel extravagante Saturnalien. Arendts scharfsinniger Blick hingegen konzentrierte sich auf die "glanzlose", alltägliche, mausgraue Präsenz des Bösen.

Es ist demnach die Neigung zum Abgrund, die jeden Menschen mehr oder weniger charakterisiert. Bereits für Kant, den Aufklärer par excellence, eignete der menschlichen Natur ein "böses Herz". Kant sah das Wirken des "radical Bösen" im, wie er dachte, transpsychologischen – "transzendentalen" – Hang des Einzelnen, ohne Not, ja mit Gusto, "böse Maximen" zur Grundlage des eigenen Handelns zu machen. Das klang zu Kants Zeit verdächtig nach einem Fortwirken der Erbsündenlehre, und in der Tat: Der historisch vielfach ernüchterte Philosoph glaubte annehmen zu müssen, dass die menschliche Natur "im Grunde" verdorben sei. Kants Resümee: unbegreiflich!

Im Lauf der Jahrzehnte, die dem Schrecken der Nazis folgten, mehrten sich zusehends Kunstprodukte, die das Lächerliche am "Führer" betonten. Den bisherigen Höhepunkt dieses Genres bildet Quentin Tarantinos furiose Nazivernichtungstravestie Inglourious Basterds (2009). Darin tritt Hitler nur als total verblödeter Größenwahnsinniger in Erscheinung, über den das Publikum bei Popcorn, Sportgummi und Cola guten Gewissens lachen darf.

Historischer Popanz

Tarantinos Film ist mehrfach typisch für die Sichtweise einer Generation, die Hitler als historischem Popanz begegnet, dessen Monstrosität uns nicht mehr mit dem Horror des Unsäglichen, dem Auschwitz-Horror, erfüllt. Der "Führer" tritt ein in die Reihe unzähliger politischer Massenmörder, die, weil sie einen Teil der Welt veränderten, zu Legenden wurden. Deren Untaten machen uns Nachgeborene schaudern – aber eben bloß schaudern aus der sicheren Distanz.

Lange vor Tarantinos furioser "Abrechnung" war das Radikalböse bereits zum angeblich legitimen Gegenstand der Radikalkomödie geworden. Dieser Umstand erzeugte für Beobachter, die das verstockte Schweigen ihrer Elterngeneration in den Aufbaujahren nach 1945 erlebt hatten, ein Gefühl der Unheimlichkeit. Mehr und mehr schienen die Jüngeren nicht mehr willens oder fähig, sich das Unbegreifliche des Holocausts zu vergegenwärtigen. Adornos Diktum, wonach nach Auschwitz kein Gedicht "mehr möglich" sei – ein Diktum, das er angesichts des Werks von Paul Celan relativierte -, wurde höchstens noch als die Schrulle eines Überempfindlichen gewürdigt.

Ein kommerzielles Anzeichen dieses Distanzverlusts war es, dass man nicht genug davon bekommen konnte, den Nationalsozialismus medial auszuschlachten. Der Abscheu vor dem Monströsen wurde untergründig angestachelt von einem Gefühlsmoment, das sich angesichts historischer Umwälzungen einstellt, welche die Massen – nach einem Wort von Gottfried Benn – in einen Schicksalsrausch versetzen. Man mochte es verspotten, doch es war noch immer da – die Faszination des Radikalbösen, als "klammheimlich" treibende Kraft der ewigen Aufklärung über Hitler.

Hitler und seine ...

Und so überhäuft uns das deutschsprachige Fernsehen seit vielen Jahren mit Sendungen, die, getarnt als seriöse Geschichtskunde, geringfügig variierende Titel tragen: Hitler und seine Frauen, seine Hunde, seine Generäle. Es ging und geht um Hitlers Religion, Hitlers Architekt, Hitlers Sekretärin, Hitlers Bayreuth, Hitlers Speiseplan. Vor allem aber geht es darum, den Privatmenschen Hitler zu zeigen, naturgemäß in seiner Monstrosität, aber eben doch als einen, der seinen Frauen, Hunden und auch "arischen" Kindern zärtliche Gefühle entgegenbrachte.

Darüber hinaus beeindruckten, natürlich auf höchstem Niveau, schauspielerische Anstrengungen, Hitler besser zu "geben", als dieser sich jemals selbst hätte präsentieren können, sei's entfesselt dämonisch wie Bruno Ganz in Der Untergang (2004), sei's dämonisch cool wie Tobias Moretti in Speer und Er (2005). Man wüsste nicht zu sagen, was zwielichtiger ist: Hitlerernst oder Hitlerspaß.

Im Hitlerspaß dominiert weniger der Widerstand gegen ein moralinsaures Lachverbot, sondern eher eine entpolitisierte Reaktionsform auf das Politische überhaupt. Herrisch schafft sich ein Unterhaltungsverlangen Raum, das gleichsam total geworden ist. Das wäre ja noch schöner, scheinen uns die Comedians auf allen TV-Kanälen zu versichern, wenn es etwas gäbe, worüber sich kein Witz machen ließe: "Sie wollen einen Sketch aus den Gaskammern? Kein Problem!"

Der "menschliche" Hitler

Einst fragte Marcel Reich-Ranicki, um die Bedenken einer "Vermenschlichung" Hitlers lächerlich zu machen: "Als was soll man Hitler denn sonst darstellen – als Kamel oder als Elefant?" Nun – so ließe sich erwidern -, man sollte Hitler jedenfalls nicht als eine Figur darstellen, auf die, in welch verdrehter Form immer, Gefühle der Größe und Tragik übertragbar sind. Denn damit klingen im Raum des Politischen religiöse Töne an. Es ist die Aura des Absoluten, die noch der kreischende Bruno Ganz im Führerbunker heraufbeschwört, wenn er gleich einem alttestamentarischen Schrumpfgott sein Volk verflucht. Es ist ebendiese Aura, die selbst das biedere Filmchen über Vera Brauns Einsamkeit in der Alpenresidenz des "Führers" mit einer Atmosphäre des Sakralen umgibt.

Hier wie dort wird eine Sehnsucht nach Geborgenheit mitbefriedigt, die Carl Schmitt – von seinen Widersachern nicht zu Unrecht als "Kronjurist Hitlers" tituliert – bereits 1922 in die Formel seiner Politischen Theologie packte. Demnach seien alle modernen Staatskonzepte "säkularisierte theologische Begriffe". Daraus folgt, dass wahre Führerschaft notwendig in einem außerpolitischen Fundament gründen müsse. Schmitt schwebte der Rechtsgrund göttlicher Stellvertretung vor, die im heiligen Wesen des Volkes wurzle. Tatsächlich war dieser Rechtsgrund unter Hitler dasjenige, wodurch alles Recht in sein Gegenteil verkehrt wurde.

Schwelende Verdrossenheit

Bewegen wir uns im Westen, der aus humanitären Motiven einer Ethik der Innerweltlichkeit das Wort redet, etwa unterschwellig wieder auf eine Politik des "Heiligen" zu? Die Sehnsucht nach einer Renaissance der Heilsgeschichte regt sich gerade im menschenrechtlich bemühten Europa immer spürbarer. Und so gesehen wären Hitlerspaß und Hitlerernst gleichermaßen Ausdruck einer schwelenden Verdrossenheit sowie eines untergründig zehrenden Verlustgefühls. Spaß und Ernst der Naziunterhaltungs- und Nazibesinnungsindustrie würden sich des Faszinosums Hitler bedienen, um dem Unaussprechbaren wieder näherzukommen – der Erlösung vom Primat des Säkularpolitischen, das alle "göttlichen" Werte umso mehr untergräbt, je demokratischer seine Grundsätze sind.

Gerade in der "Vermenschlichung Hitlers" verbirgt sich mehr, als ein Standpunkt vermuten ließe, der den Namen "realistischer Humanismus" verdient. Ihm zufolge ist dem Menschen die Anlage zum Bösen angeboren. Auch sie ist deshalb ein Merkmal des Humanum – dieses als Ergebnis des Überlebenskampfes, der Evolution und genetischen Verfasstheit des Homo sapiens gedacht. Nein, die Vermenschlichung Hitlers repräsentiert darüber hinaus eine Abwehrhaltung, die uns vor der metaphysischen Einsicht schützen soll, dass der Mensch, gedacht als ethisches Wesen, nicht ganz Mensch zu werden vermag.

Es liegt also ein tieferer Sinn in der Mutmaßung, dass Hitler und seinesgleichen Kants "radical Böses" verkörpern. Dessen Wirken im Menschen provoziert, jenseits aller Teufelsbeschwörungen, das Urteil: unbegreiflich! (Peter Strasser, 10.12.2016)