Wien – "Ich bin mit einem Freund in mein Stammlokal gekommen. Sie ist gleich her und hat mich angeschmust", schildert Damir P., wie die Geschichte mit Frau H. in den frühen Morgenstunden des 25. September begonnen haben soll. Geendet hat sie für den 41-Jährigen vor einem Schöffengericht unter Vorsitz von Andreas Böhm – P. soll die Frau nämlich nach dem Lokalbesuch in deren Wohnung vergewaltigt haben.

Stimmt nicht, beteuert der geschiedene Familienvater. Es seien einvernehmliche geschlechtliche Handlungen gewesen. Man sei einander bereits in dem Café in Wien-Ottakring körperlich nähergekommen, schließlich habe er die Betrunkene und ihren Hund nach Hause gebracht.

Der Vorsitzende kann seine Verwunderung über eine derart leidenschaftliche Begrüßung durch eine Unbekannte nicht verbergen. "Ich hatte schon im Sommer 2015 eine kurze Bekanntschaft mit ihr", behauptet der Angeklagte. Damals sei es nach einem zufälligen Treffen in einer Grünanlage zu "schnellem Sex" gekommen.

Frage nach Kondom

Ein gutes Jahr später habe das nach seiner Darstellung wieder so gewirkt: "Vor ihrer Wohnungstür hat sie mich gefragt, ob ich ein Kondom dabeihabe." Hatte er nicht. Als sie daraufhin die Tür von innen schloss, sei ihm aufgefallen, dass ihre Schlüssel noch außen stecken. "Ich habe dann nochmals geklopft, um sie ihr zu geben, da hat sie aufgemacht und gesagt, sie habe ein Kondom."

So, wie es der gut 100 Kilogramm schwere Mann schildert, habe es die Frau kaum erwarten können, mit ihm zu verkehren. Im Schlafzimmer sei sie sogar gestürzt, dabei müsse sie sich wohl die vom Arzt diagnostizierte Wunde am Hinterkopf zugezogen haben. Die schmächtige junge Frau sagt, er habe sie gegen die Wand gestoßen, dabei habe sie sich verletzt.

Auch für die Tatsache, dass Frau H. Kopfhaare ausgerissen wurden, sie Würgemale und mehrere Hämatome hat, bietet der Angeklagte eine Erklärung. "Beim Sex greif' ich halt überall hin, auch ein bisschen härter", sagt er. "Wir haben aber auch gekuschelt." Daher sei man gemütlich im Bett gelegen, als es um etwa 5.15 Uhr an der Tür klopfte. Die Zeichengeber waren Polizisten, die der Nachbar alarmiert hatte.

Rufe nach der Polizei

Dieser junge Mann hatte seit etwa 4.30 Uhr die Frau gehört. "Sie hat laut 'Nein, bitte, geh!' geschrien", erzählt Milan J. dem Gericht. "Erst habe ich mir noch nichts gedacht, aber dann habe ich 'Hilfe, Polizei!' gehört, da habe ich dann angerufen." Die Beamten hielten bei ihren Ermittlungen fest, Frau H. habe "weinerlich, ängstlich und aufgelöst" gewirkt, als sie die Tür öffnete.

Der Angeklagte kann sich weder das noch die Sache mit den Hilferufen erklären. Er habe keine gehört. "Der Nachbar hat also paranoide Wahnvorstellungen? Das ist aber nicht recht überzeugend", kann sich der Vorsitzende nicht verkneifen.

Verteidiger Rudolf Mayer baut auf zeitliche Ungereimtheiten. Sein Mandant – und dessen damaliger Zechbruder als Zeuge – sagen, P. und Frau H. seien um etwa 3.30 Uhr aus dem Lokal gegangen. "Ich habe ihn danach noch zweimal angerufen, aber er hat nicht abgehoben", sagt der Freund des Angeklagten. "Es waren zwei eingehende Anrufe, um 3.44 und um 3.46 Uhr, das habe ich später bei der Polizei auf meinem Handy gesehen", sagt der Angeklagte.

Verwirrung um Zeit

Die Kellnerin seines Stammlokals behauptete bei der Polizei dagegen, P. und Frau H. seien um 4.47 Uhr noch da gewesen. Sie habe zu diesem Zeitpunkt für einen anderen Gast ein Taxi gerufen, wie aus ihrer Anrufliste ersichtlich ist. Auch das Opfer, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit einvernommen wird, sagt, man sei ab etwa 4.45 Uhr in der Wohnung gewesen.

Für den Verteidiger ist dieser Unterschied aber wesentlich, er glaubt an den Aufbruch um 3.30 Uhr. Denn: "Ein fast zweistündiger Kampf, von dem der Nachbar nur die letzten paar Minuten mitbekommt, ist unmöglich", argumentiert Mayer. Da sei die Freiwilligkeitsversion seines Mandanten viel plausibler. "Die Verletzungen können durchaus durch harten Sex entstehen."

Mayers Antrag, die Rufdaten seines Mandanten und des Zeugen auswerten zu lassen, lehnt das Gericht dennoch ab. Ebenso das Begehren, die Kleidung der Frau auf DNA des Angeklagten überprüfen zu lassen. Die werde nämlich dort nicht zu finden sein, ist der Verteidiger überzeugt, da die Frau ihr Gewand selbst ausgezogen habe.

Fünf Jahre unbedingt

In der Begründung für die nicht rechtskräftige unbedingte fünfjährige Haftstrafe erklärt Böhm dann, warum der Senat keinen Grund dafür gesehen hat. "Das Opfer hat selbst gesagt, es kann sein, dass sie sich die Kleidung selbst ausgezogen hat." Der Zeitpunkt, wann das Paar das Lokal verlassen habe, sei ebenso irrelevant. Schließlich habe die Frau bei ihrer Aussage vor Gericht gesagt, sie habe sich zunächst nicht gewehrt und erst später um Hilfe geschrien.

Für Böhm sei die Zeugin allerdings "absolut glaubwürdig gewesen". Und vor allem: "Warum sollte ein völlig unbeteiligter Nachbar die Polizei rufen? Und die Frau sofort von Vergewaltigung sprechen, sobald die Beamten da sind?"

Neben dieser Strafe widerruft das Gericht noch eine bedingte Vorstrafe von fünf Monaten, die im Jänner verhängt worden ist. P. hatte damals dem neuen Freund seiner Ex-Frau einen Faustschlag verpasst und ihr Droh-SMS geschrieben. "Der Widerruf erfolgt, da Sie absolut uneinsichtig sind und nach der Verurteilung gleich wieder eines der massivsten Gewaltdelikte gesetzt haben", erklärt Böhm dem schluchzenden Angeklagten. (Michael Möseneder, 10.12.2016)