Lernen fürs Leben – und für Leckereien: Weißbüschelaffen schauen sich von Artgenossen ab, wie sie am besten an verborgene Köstlichkeiten kommen.

Foto: Heribert Corn

Wien – Obwohl es Nachmittag ist und die Weißbüschelaffen um diese Zeit lieber kuscheln, dösen und einander das Fell kraulen, genügt die bloße Ankunft fremder Personen, um sie aufzuwecken. An den Wänden der zweieinhalb Meter hohen Drahtgehege hängen binnen kürzester Zeit bis zu einem Dutzend Äffchen, die die Neuankömmlinge mit großem Interesse und erstaunlich menschlichen Gesichtern betrachten. Es ist schwer, der Versuchung zu widerstehen, einen Finger durch das Gitter zu stecken und sie am Bauch zu kitzeln.

"Viel von Zoos abgeschaut" hat sich Thomas Bugnyar, Leiter des Departments für Kognitionsbiologie an der Universität Wien, bei der Einrichtung der Affengehege am Biologiezentrum in der Wiener Althanstraße. Zum Beispiel die Laufgänge, die nicht nur durch den Raum, sondern auch über den Gang in ein angrenzendes Zimmer mit einer weiteren Affengruppe führen. Auf dem Weg dorthin gibt es überall Schiebetüren, mit denen die Wissenschafter den Zugang der Tiere zueinander, zu einem Außengehege und in Testräume steuern können. In Letzteren werden die kognitiven Fähigkeiten der kleinen Affen erforscht.

Soziale Fähigkeiten

Weißbüschelaffen leben in bis zu 15-köpfigen Familiengruppen, die aus den Eltern und ihren Jungen – teilweise auch schon im Erwachsenenalter – bestehen. Zur Fortpflanzung kommt nur das Elternpaar, die Jugend verzichtet, wahrscheinlich durch die Einwirkung elterlicher Pheromone, darauf und hilft stattdessen beim Aufziehen der Geschwister. Laut einer gängigen Hypothese gehen mit einer solchen kooperativen Jungenaufzucht erhöhte Duldsamkeit und Hilfsbereitschaft einher, was die Fähigkeit begünstigt, von anderen zu lernen.

Wieweit die Äffchen tatsächlich imstande sind, sich Dinge von anderen abzuschauen, ist eine der Fragen, die Bugnyar und Kollegen zu klären versuchen. Den Anfang nahm Bugnyars Forschung dazu bereits vor 20 Jahren, als er ein Holzkästchen mit einer Klapptür baute: Die darin enthaltene Belohnung konnten die Affen erreichen, indem sie entweder an der Tür zogen oder sie aufschoben.

Versierte Tiere, die eine der beiden Techniken gelernt hatten, führten ihre jeweilige Variante unerfahrenen Tieren vor, die sich in der Folge selbst an der Apparatur versuchen durften. "Es gab deutliche Anzeichen dafür, dass sie imstande sind, einfache motorische Abläufe durch Zusehen von anderen zu lernen", erzählt der Kognitionsbiologe.

Das ist nicht so trivial, wie es vielleicht klingt: Immerhin erfordert Nachahmung nicht nur die entsprechende motorische Fähigkeit, sondern auch die nötige Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung. Dass die Weißbüschelaffen über diese Kompetenzen nicht nur unter Laborbedingungen verfügen, konnte Bugnyars Mitarbeiterin Tina Gunhold-de Oliveira in Brasilien, der Heimat der Tiere, zeigen: Sie wiederholte die Experimente mit der Holzkiste mit freilebenden, aber an Menschen gewöhnten Weißbüschelaffen und kam dabei zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Damit jedoch nicht genug: Die Biologin wiederholte den Test mit denselben Individuen nach zwei Jahren, und siehe da: Auch nach dieser Zeit verwendeten die Affen noch die Methode, die sie zuvor erlernt hatten.

Dabei muss das Vorbild für den Lernprozess nicht einmal ein "richtiger" Affe sein: Gunhold-de Oliveira und ihre Kollegen spielten wildlebenden Weißbüschelaffen fünfminütige Videosequenzen vor, in denen jeweils ein unbekannter Artgenosse eine von zwei Möglichkeiten vorführte, wie man einen Futterapparat öffnen kann. Eine Vergleichsgruppe erhielt keine derartige Unterweisung. Der Fernkurs funktionierte: Als sie selbst dran war, sich die Belohnung zu holen, schnitt die Videogruppe nicht nur deutlich besser ab als die Kontrollgruppe, sie verwendete auch signifikant häufiger die vorgezeigte Methode.

Ohne Vorbilder müssen die Affen hingegen in jenen Tests auskommen, die Bugnyars Dissertantin Vedrana Slipogor im Wiener Labor vornimmt: Darin geht es zuerst darum, festzustellen, welche Persönlichkeitstypen die einzelnen Individuen sind. Dass auch Tiere Persönlichkeit haben, ist bekannt, wobei drei große Eigenschaftsfelder, die nichts mit dem Sozialverhalten zu tun haben, ausschlaggebend für die Beurteilung sind: die Aktivität in einem bekannten Umfeld, das Verhalten etwas Unbekanntem gegenüber und die Reaktion auf Gefahr.

Slipogor konfrontierte insgesamt 21 Weißbüschelaffen mit unbekannten Früchten (Macadamianüsse und Kastanien) und Objekten (verschiedene Bälle). Gefahr wurde mit einer Plastikschlange simuliert. Eine spezielle Testsituation war "Nahrungssuche mit Risiko", wobei eine Litschifrucht den Zugang zu einer Dose mit leckeren Mehlwürmern verbaute. "Wir haben festgestellt, dass die Affen die Litschihaut als bedrohlich empfinden", sagt Slipogor, "möglicherweise, weil sie für sie wie eine Schlangenhaut wirkt."

Frage der Persönlichkeit

Letztendlich überwanden alle Tiere ihre Hemmungen, untersuchten die neuen Objekte beziehungsweise gelangten zur Belohnung. Ob sie das rasch und beherzt oder eher vorsichtig und zögerlich taten, war jedoch individuell verschieden – und zwar über die unterschiedlichen Versuche hinweg. In einem nächsten Schritt will Slipogor nun erforschen, wie sich die verschiedenen Persönlichkeitstypen auf kognitive Leistungen, etwa den individuellen Lernerfolg und das Abschauen von anderen, auswirken.

An mangelnder Aufmerksamkeit für Neues und Unbekanntes dürften die künftigen Untersuchungen jedenfalls nicht scheitern: Es dauert etwa eine gute Stunde, bis sich die Affen nicht mehr ganz so brennend für fremde Besucher interessieren und lieber wieder quer durchs Gehege Fangen spielen. (Susanne Strnadl, 10.12.2016)