"Neu sind Immuntherapien, die das Abwehrsystem aufrüsten. Wir überlegen, diese Medikamente nicht erst im fortgeschrittenen Stadium, sondern früher einzusetzen. Die Frage ist, welche Patienten davon profitieren", sagt Lungenkrebsspezialist Robert Pirker von der Med-Uni Wien.

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Schlechte Luft in den Lungen ist ein Risikofaktor für Bronchialkarzinome: Bei einer Diagnose kommt es auf das Stadium und die genetischen Merkmale des Tumors an.

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STANDARD: Was ist das Thema des Kongresses der International Association for the Study of Lung Cancer (IASLC)?

Robert Pirker: Lungenkrebs und andere thorakale Tumoren – und das in einer multidisziplinären Ausrichtung. Wir haben drei große Schwerpunkte: aktive Prävention, genaue Diagnose und fortgeschrittene Therapie.

STANDARD: Welche Neuigkeiten gibt es in diesen drei Bereichen?

Pirker: Was die Diagnostik betrifft: Bei Lungenkrebs haben wir ab 2017 eine genauere Einteilung der Tumorstadien nach der TNM-Klassifikation (T = Tumor, N = Lymphknoten, M = Metastasten, Anm.). Davon hängt die Therapie ab. Zusätzlich sind genetische Tumormerkmale und molekularbiologische Veränderungen ein Thema.

STANDARD: Ist die Diagnose Lungenkrebs nur mehr der Überbegriff für eine Vielzahl von Erkrankungen?

Pirker: Genau, es gibt zunehmend Untergruppen, die unterschiedliche Prognosen und Therapien erfordern. Pro Jahr gibt es in Österreich 4000 Neuerkrankungen, 90 Prozent davon sind auf das Rauchen zurückzuführen. Die vielen schädlichen Inhaltsstoffe einer Zigarette, wir nennen sie Noxen, verändern Lungengewebe.

STANDARD: Wie genau?

Pirker: In der Grundlagenforschung arbeiten die Forscher daran, diese Veränderungen besser zu charakterisieren und nachweisbar zu machen. Das Ziel wäre, daraus Prognosen für bestimmte Lungenkrebsarten erstellen und entsprechende Therapien verabreichen zu können. Im besten Fall wären diese genetischen Veränderungen auch im Blut ablesbar. Diese "liquid biopsy" ist eine große Hoffnung. Es würde die Verlaufskontrollen vereinfachen.

STANDARD: Welche Fortschritte gibt es bei der Behandlung?

Pirker: Alles hängt davon ab, wann der Krebs erkannt wird. Optimal ist es im Frühstadium, wenn der Krebs sich operativ entfernen lässt. Es geht um Früherkennung.

STANDARD: Meinen Sie Routinekontrollen bei aktiven Rauchern?

Pirker: Das ist ein wichtiges, aber kontroversielles Thema. Die Frage ist, ob es sinnvoll ist, starke Raucher regelmäßig einer Computertomografie zu unterziehen. Eine US-Studie hat gezeigt, dass so die Lungenkrebssterblichkeit um 20 Prozent reduziert werden kann.

STANDARD: Was spricht dagegen?

Pirker: Die vielen falsch positiven Befunde. Viele Raucher haben Knoten in der Lunge, die aber überwiegend gutartig sind. Würde man Screenings bei allen Rauchern durchführen, würde man viele Auffälligkeiten entdecken, was auch Biopsien notwendig machen könnte. Das verursacht Aufwand und Kosten. Ich fände Früherkennung in Kombination mit Raucherentwöhnung sinnvoll.

STANDARD: Raucher sind der Fokus?

Pirker: Zigaretten sind Killer. Jeder zweite Raucher stirbt vorzeitig, in Österreich 13.000 Menschen pro Jahr, sechs Millionen weltweit. Das wird – im Vergleich etwa zu einem Flugzeugabsturz – ziemlich unaufgeregt hingenommen. Wir leben leider in einer absurden Welt. Tabakkonzerne sind global agierende Multis, da machen mir auch Handelsabkommen Sorgen.

STANDARD: Was sind die Guidelines der Lungenkrebstherapie?

Pirker: Operation, Bestrahlung und Chemotherapie bleiben die Säulen. Seit den 1990er-Jahren ist die Chemotherapie etabliert, die Zytostatika sind wirksamer und verträglicher geworden. Durch die Antiemetika, den Mitteln gegen die durch die Chemo verursachte Übelkeit, wurden auch die Nebenwirkungen reduziert.

STANDARD: Chemotherapie ist immer noch das Mittel der Wahl?

Pirker: Ja, es sind die zielgerichteten Therapien dazugekommen, die an Rezeptoren des Tumors ansetzen. Das Blockieren des EGF-Rezeptors hält die Tumorzellen eine Zeitlang in Schach. Neu sind Immuntherapien, die das Abwehrsystem aufrüsten. Wir überlegen, diese Medikamente nicht erst im fortgeschrittenen Stadium, sondern früher einzusetzen. Die Frage ist, welche Patienten davon profitieren, welche nicht. Dazu laufen eine ganze Reihe von Studien, die in Wien vorgestellt werden. (Karin Pollack, 6.12.2016)